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Wie wirkt das 9-Euro-Ticket in den ersten sieben Tagen?

Etwa jeder dritte Deutsche ab 18 Jahren verfügt über das 9-Euro-Ticket.

Die Deutsche Bahn zählt zu den Profiteuren des 9-Euro-Tickets, viele Busreiseunternehmen zu den Verlierern. (Foto: Deutsche Bahn AG/Max Lautenschläger)
Die Deutsche Bahn zählt zu den Profiteuren des 9-Euro-Tickets, viele Busreiseunternehmen zu den Verlierern. (Foto: Deutsche Bahn AG/Max Lautenschläger)
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Redaktion (allg.)
von Claus Bünnagel

Durch den Tankrabatt und das 9 Euro-Ticket, das seit 1. Juni bundesweit im Nahverkehr gültig ist, sollen die Verbraucher im Rahmen des Entlastungspakets Kostensenkungen für Mobilität erfahren. Während eine Reduzierung der Preise für Kraftstoffe eine Woche nach Inkrafttreten bereits in Frage gestellt wird, nachdem die Mineralölkonzerne pünktlich zu Pfingsten die Kraftstoffpreise angehoben haben, ist die Wirkung der günstigen Monatskarte für den Nahverkehr offen. Beim 9-Euro-Ticket scheint sich eine Fangemeinde zu etablieren. Die Deutsche Bahn meldet positive Absatzzahlen und berichtet über eine Verdopplung der Verkäufe innerhalb einer Woche, so dass bisher etwa 6,5 Mio. Tickets allein bei der DB verkauft wurden. Der Hamburger Verkehrsverbund meldete bereits am 31. Mai die Absatzzahl von 1 Mio. Tickets (inkl. 680.000 Abonnenten, die das Ticket automatisch erhalten haben).

Alle Augen richten sich auf das 9-Euro-Ticket, bei dem der VDV von insgesamt 30 Mio. Nutzern pro Monat ausgeht. Auch hier gibt es erste Medienberichte und Kommentare, die sich vor allem auf volle Züge im Bahnregionalverkehr zum Pfingstwochenende fokussieren. Umso wichtiger ist es, möglichst schnell belastbare Zahlen zur Nutzung und den konkreten Erfahrungen bzw. möglichen Verkehrsmittelverlagerungen bereitzustellen. (Prof. Andreas Krämer, CEO der exeo Strategic Consulting AG und Co-Autor der Studie Opinion-Train)

Die Ergebnisse der Studie im Überblick

Die Studie Opinion-Train untersucht in einer Sonderwelle speziell die Nutzung des 9-Euro- Tickets zum Start der Gültigkeitsperiode im Juni. Befragt wurden am 7./8. Juni (eine Woche nach Start der Aktion) ca. 3.200 Verbraucher in Deutschland zur Kenntnis, Kaufabsicht und konkreten Nutzung der 9-Euro-Monatskarte. Neben dem hohen Bekanntheitsgrad des Angebots von etwa 97 % berichten bereits 29 % der Befragten, dass sie ein 9- Euro-Ticket besitzen (n=886). Etwa 10 % haben schon Tickets für Juli und August gekauft. Ein erheblicher Anteil von 26 % hält den Ticketkauf in der nächsten Zeit für möglich, 38 % halten ihn für unwahrscheinlich.

Die Besitzer des 9-Euro-Tickets setzen sich erwartungsgemäß tendenziell aus ÖPNV-affinen Verbrauchern zusammen. Dies ist bereits dadurch bedingt, dass Personen, die bisher über ein ÖPNV-Abonnement verfügen, automatisch zu 9-Euro-Ticket-Kunden werden. Wie die Befragung belegt, handelt es sich bei etwa einem Viertel der Besitzer des 9-Euro-Tickets um Personen, die den ÖPNV vor Juni 2022 gar nicht oder nur sporadisch genutzt haben. Aber nicht nur in diesem Teilsegment ist eine verstärkte Nutzung des ÖPNV im Verbundgebiet bzw. der Bahn im überregionalen Nahverkehr möglich. So geben 66 % der Ticketbesitzer an, das 9-Euro-Ticket sei ein Grund, den ÖPNV häufiger als zuvor zu nutzen, 89 % halten das Ticket für einfach und unkompliziert zu erwerben.

Nutzungsschwerpunkt sind Fahrten am Wohnort

Neun von zehn Besitzern haben das Ticket während der ersten sieben Geltungstage bereits genutzt. Auch wenn medial die Erfahrungen von Kunden im Vordergrund stehen, die das 9-Euro-Ticket für längere Fahrten am Pfingstwochenende genutzt haben, ist ein eindeutiger Schwerpunkt erkennbar, wenn die Befragten über ihre letzte Nutzung berichten: Etwa zwei Drittel der Fälle betreffen dabei Fahrten am Wohnort, 30 % gehen über die Grenzen des Wohnorts hinaus, bleiben aber unter 100 km Reisedistanz. Weniger als 10 % entfallen auf Reisen von mehr als 100 km Entfernung.

Erhebliche Fahrtenverlagerung vom Pkw

In Hinblick auf die berichtete Fahrt wurden die Nutzer danach gefragt, wie die Verkehrsmittelwahl ohne das 9-Euro-Ticket ausgesehen hätte. 47 % der Fahrten wären auch sonst mit Bussen und Bahnen unternommen worden (aber mit einem anderen Fahrschein). Bei 44 % hat eine Verlagerung von anderen Verkehrsmitteln stattgefunden – wobei mehr als die Hälfte davon auf den Pkw entfällt. Weniger als 10 % der Fahrten sind induzierter Neuverkehr, d.h. die Fahrten wären ohne das 9-Euro-Ticket überhaupt nicht zustande gekommen. Effekte hinsichtlich einer Nachfrageverlagerung zugunsten von Bussen und Bahnen sind vergleichsweise geringer ausgeprägt bei den eher kürzeren Fahrten am Wohnort und stärker bei den längeren Strecken zu beobachten, die mehr als 100 km über den Wohnort hinausreichen.

Hohes Zufriedenheitsniveau

Die Befragungsergebnisse unterstreichen, dass die Erfahrungen von Kunden mit dem 9-Euro-Ticket insbesondere beim Aspekt Verfügbarkeit von Sitzplätzen vergleichsweise kritisch sind. Dies wird wiederum getrieben durch die Nutzung des Tickets auf längeren Strecken, auf die viele Medienberichte abgezielt haben. So zeigt sich jeder zweite Kunde auf Fahrten von mehr als 100 km Streckenlänge unzufrieden mit der verfügbaren Sitzplatzkapazität. Allerdings trifft dies nur ein Teilsegment der Nutzungen.

Insgesamt sind rückblickend weniger als 10 % der Kunden weniger zufrieden oder unzufrieden mit der letzten Fahrt mit dem Ticket. Dem stehen mehr als 60 % der Nutzer entgegen, die sich als vollkommen oder sehr zufrieden einordnen. Unter Einbeziehung des extrem niedrigen Preises von 0,3 Euro pro Tag geben 48 % der Ticketbesitzer an, bei Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket auch volle Busse, Bahnen und Bahnhöfe gern in Kauf zu nehmen. Dies zeigt, dass zumindest ein Teil der Kundschaft Komfortverluste im Zusammenhang mit der Ticketnutzung in Kauf nimmt. 55 % der Ticketbesitzer würden nach eigenem Bekunden das Ticket auch nutzen, wenn der Preis höher als 9 Euro wäre (Ablehnung 17 %). Dies zeigt, dass die von der Politik bezweckte Entlastung der Verbraucher zumindest in der Wahrnehmung vieler Nutzer angekommen ist. Auch nachhaltig positive Imageeffekte für den Nahverkehr zeichnen sich ab.

Die Studienergebnisse geben ein erstes – sicher kein abschließendes – Bild zur Wirkungsweise des 9-Euro-Tickets. Bezüglich der vielfach diskutierten Verkehrswende deutet die Erhebung auf vielversprechende Veränderungen in der Verkehrsmittelwahl durch das Angebot einer niedrigpreisigen Monatskarte. Gleichzeitig unterstreicht der Erhebungsansatz, wie schnell sich belastbare Daten durch Onlineerhebungen bereitstellen lassen. (Johannes Hercher, Vorstand der Rogator AG und Co-Autor der Studie Opinion-Train)

Ob das 9-Euro-Ticket aus Sicht der Politik und Wirtschaft die hochgesteckten Anforderungen und Ziele erfüllt, werden die nächsten drei Monate zeigen.

Hintergrund der Studie

Opinion-Train ist eine repräsentativ angelegte Studie zur Bewertung von Trends und des Wertewandels in der Bevölkerung. Grundlage der Untersuchung ist eine Onlinebefragung von Personen (18-80 Jahre) in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Schweden. Im Aug./Sep. 2021 wurde die dritte Erhebung durchgeführt, nachdem die erste Erhebung (Apr./Mai 2020) die Situation der Menschen zur Zeit des ersten Lockdowns beleuchtete und die zweite Erhebung (Nov./Dez. 2020) den Fokus auf den zweiten Lockdown legte. Die vierte Erhebung im Mrz./Apr. 2022 umfasst eine Befragung von n=1.357 Personen, die zu unterschiedlichen Lebensbereichen befragt werden (n=975 Verbraucher, n=382 Entscheider im Unternehmen). Im Rahmen einer aktuellen Sondererhebung untersucht die aktuelle Erhebung im Juni 2022 die Wirkungen des 9-Euro-Tickets. Befragt wurden ca. 3.200 Personen ab 18 Jahren in Deutschland, Kernzielgruppe sind n=886 Studienteilnehmende, die das 9-Euro-Ticket besitzen.

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