VM-Vorstellung Audi grandsphere concept: Der elektrische A8
Mag sein, dass Marc Lichte das schon öfter gesagt hat, aber diesmal meint er es wirklich so richtig ernst: Es ist das schönste Fahrzeug, das er je gestalten durfte, schwärmt der Audi-Chefdesigner bei unserem Vorab-Rencontre mit dem sogenannten „concept“. Das stellt die Fortsetzung des Sportwagenkonzepts skysphere und den zweiten Streich von dem dritten Konzeptauto, dem für 2022 avisierten urbansphere dar, dürfte aber eine ganze Ecke näher an der Realität liegen als das rasant gezeichnete Sportcoupè, das wir ebenfalls bereits in Augenschein nehmen durften. Jedenfalls lehnt sich Lichte weit aus dem Fenster und schickt voraus, dass er das ja eigentlich gar nicht sagen darf. Tut es dann aber trotzdem:
„Sie werden sich noch wundern, was davon alles in Serie geht“.
Der Nachfolger des A8 läuft sich schon mal warm
Der Grandsphere Concept jedenfalls soll mal der Nachfolger des A8 werden und die optischen Qualitäten eines Coupès oder Sportback mit der Reisetauglichkeit einer GT-Limousine und dem Platzangebot eines Vans vereinen. Eigentlich sei das Konzept ein MPV, das nicht so aussieht, scherzt Lichte. Dass er auf Level 4 automatisiert fährt, erwähnt Lichte wie nebenbei. Dabei ist die autonome Fahrtechnologie, auf die man mit der Konzernsoftware-Sparte Cariad bis zur „zweiten Hälfte des Jahrzehnts“ fieberhaft hinarbeitet, der Dreh- und Angelpunkt für eine komplett andere Raumgestaltung, wie der Designer betont: Nicht mehr der Antrieb steht im Mittelpunkt, sondern das Interieur. Erst im Anschluss werden das Package, Linienführung und Proportionen entworfen.
Level 4 ändert alles: Von Innen nach Außen
Die autonomen Fähigkeiten erschließen sich aber auch auf Anhieb, denn beim Blick ins Interieur fehlt schlicht das Lenkrad, sodass man erst an ein autonomes Shuttlefahrzeug denkt. Aber weit gefehlt: Der 5,35 lang gestreckte und stattliche zwei Meter Breite, aber nur 1,39 Meter flache Grandsphere concept soll durchaus auch den aktiven Fahrer ansprechen, wenn er denn aktiv werden will. Dann öffnet sich auf Gestenbefehl eine Luke im Armaturenträger und ein Lenkrad räkelt sich an einer ausgefeilten Faltkinematik samt der Pedalerie dem Fahrer entgegen, ergonomisch durchaus mit dem Anspruch, einen aktiven Fahrstil zu unterstützen. „Der Grandsphere soll sich fahren, wie ein Audi sich fahren muss“, erklärt Lichte. Nur eben üppig elektrisch angetrieben und mit einem Raumkonzept gesegnet, das weggeht vom traditionellen Konzept „Chef sitzt hinten rechts“ – und guckt dann auf eine öde Kopfstütze, wie Lichte ätzt.
Der Chef sitzt vorne links
Stattdessen soll der Chefsessel links vorne sein, wie überhaupt die vorderen Plätze mit den eigens wie ein heimischer Edelsessel gestalteten, raffinierten Sitzschalen die „erste Reihe“ sein, mit deutlich mehr Räkelraum für Beine, Schulter und Kopf. Der Chefdesigner bezeichnet den Luxusliner denn auch als 2+2-Sitzer, während der langgewachsene Fondpassagier über den mäßigen Beinraum klagt. „So radikal wie beim Grandsphere concept haben wir das elektrische Antriebskonzept noch nie in ein Raumkonzept übersetzt“, schwärmt Lichte, selbst von langer Statur.
Das Auto sei von Innen nach Außen gedacht, eine lange Haube für den dicken V8-Motor, bisher gesetzt in der Ingolstädter Oberklasse, braucht es schlicht nicht mehr. Das Auto sollte trotz der Abweichung vom althergebrachten „Drei-Box-Design“ „maximal ästhetisch“ sein, aber eben auch mit „maximal reduzierter Optik“ bestechen. Die besteht im Wesentlichen aus einer Linie mit vier Muskeln und einem Single-Frame-Grill, dessen zentrales Element das sogenannte „sensor rack“ beherbergt, die Einheit mit den zahlreichen für Level 4 notwendigen Sensoren. Selbstredend lässt man bei so viel Reduzierung aufs Wesentliche auch die Außenspiegel weg, die durch Kameras ersetzt werden.
In der ersten Reihe: Marc Lichte räumt radikal auf mit der althergebrachten Sitzkonzeption. | Foto: Audi
Ein GT-Coupè mit der Praktikabilität eines MPV, so sollte der grandsphere werden. | Foto: Audi
Displays werden durch Beamer ersetzt. Das Bild ist trotz Holzmaserung erstaunlich scharf. | Foto: Audi
Ausgefeilte Aerodynamik auch am Heck trägt zur üppigen Reichweite von 750 Kilometer bei. | Foto: Audi
Wohnzimmer auf Rädern: Der grandsphere greift auf natürliche und recycelbare Materialien zurück, die Marc Lichte auch in seiner Heimstatt dulden würde. | Foto: Audi
Die Rückbank bietet deutlich weniger Komfort und dient eher für den schnellen Transport mehrerer Passagiere. | Foto: Audi
Audi-Zwinkern: Lichtsignatur einer Pupille
Für stämmigen Stand sorgen 23-Zoll-Alu-Räder im „Avus“-Design der 90er-Jahre, die es wahlweise mit aerodynamischer Verkleidung geben soll. Ein optischer Gimmick, an dem die Audi-Gestalter lange gefeilt haben ist das „Audi-eye“: Der scharfe Pupillen-Blick, der ein wenig an eine Sanduhr erinnert, soll die Teilschnittmenge der Audi-Ringe symbolisieren und künftig die mindestens die Oberklassemodelle der Marke charakterisieren. Die Leuchtflächen der Scheinwerfer stellen je nach Bedarf Tagfahrlicht oder dynamischen Blinker dar.
Dass der Grandsphere zwei Meter breit ist, merkt man schon an den ausladenden Türverkleidungen, in die aber unter anderem auch VR-Brillen für das Infotainment und Gadgets wie das Holoride versenkte sind. Dass er nur 1,39 Meter hoch baut, nimmt man nicht wahr. Zudem steigt man in den topfeben gestalteten Innenraum zwischen den auf 3,19 Meter gestreckten Achsen über die gegenläufig öffnenden Türen, eher Portale, so komfortabel ein, wie es nur geht. Die Sitzposition ist angenehm erhöht und keineswegs so tief, als dass man nicht mehr aus den wunderbar bequemen und von erst 40 und dann bis 60 Grad neigbaren Liegefauteuils, mit neuartigen Airbags bewehrten herauskäme. Wozu da noch einen SUV?
Für Designer sind SUV ja eher lästig - für Aerodynamiker auch
Zumal der Hochbau dem Gestalter Lichte nicht nur die Optik, sondern auch die Aerodynamik versaut hätte. Schön flach ist die Voraussetzung für einen cW-Wert, der in Richtung 0,20 tendieren dürfte. Der Grandsphere zeigt sich jedenfalls „rundgelutscht“, ohne dadurch aber an optischer Markanz und Kontur zu verlieren, wie das etwa beim „seifenförmig“ Mercedes EQS der Fall ist. Diffusor am Heck, Air Curtains, verkleideter Unterboden, die Vier-Ringe-Gestalter haben alle Register der Kunst gezogen, um die Basis zu legen für eine Reichweite von 750 Kilometer, die der A8-Nachfolger erzielen soll.
Bis 750 Kilometer Reichweite - und Schnellladung mit 270 kW
Klar, dazu trägt schon auch ein üppiger, aber sehr flacher Akku im Unterboden der mit Porsche geteilten 800-Volt-PPE-Plattform (Premium Platform Electric) mit 120 kWh Kapazität bei, der mit bis zu 270 kW geladen werden kann: In fünf Minuten sind 100 km gezogen, in 25 Minuten soll man von 5 auf 80 Prozent kommen. Die Speicher versorgen 530 kW Leistung und 960 Nm Drehmoment auf, verteilt auf zwei Motoren in Front und Heck. Ein elektronisch geregelter Allrad ist für Audi natürlich obligatorisch. Aber im Betrieb gehe Effizienz über alles, so Lichte und die Aerodynamik sei da nun mal essentiell. Und ebenso eine Limitierung der Höchstgeschwindigkeit …
Für Wendigkeit sorgt eine Hinterradlenkung, für Komfort ein adaptives und aktives Luftfederfahrwerk mit kamera- und navigationsgestützter vorausschauender Regelung, die Anbindung mit Fünflenkerachse vorn sowie Mehrlenkerachse hinten. Das soll bedarfsweise sportives Fahren ermöglichen – oder eben sänftenartigen Komfort.
Verkauf das Haus: Der Wagen will zur Lounge werden
Die nächste Frage wäre: Wozu da noch ein Wohnzimmer? Wenn es sich im Wagen so lümmeln lässt wie auf der heimischen Couch? Die Materialien – Holz, Wolle, synthetische Textilgewebe und Metall - sind skandinavisch cool gestaltet und selbstverständlich aus nachhaltigen, sprich natürlichen oder recycelten Ressourcen gewonnen. Kein Wunder, dass die Gestalter um Lichte gleich eine Zimmerpflanze dazu garniert haben. Und auch eine mittig positionierte Minibar mit Soda-Sprudler nicht vergaßen. Leder gehört hier der Vergangenheit an.
Beam me up, Audi: Displays gibt es nicht mehr
Der eigentliche Clou ist aber: Das grau gemaserte Holz – Hainbuchenfurnier - des rundumlaufenden Frontarmaturenträgers dient als großformatige Projektionsfläche, denn Displays gibt es im Grandsphere nicht mehr – außer den gesetzlich vorgeschriebenen Infos im kleinen Screen direkt am Lenkrad, sofern das gerade ausgefahren ist. Audi nutzt die rasant entwickelte Miniaturisierung der Beamertechnologie und zaubert ein ziemlich scharfes Bild auf die Fläche, trotz der Maserung, sei es nun von der Navigation oder einem Film oder die Fahrtinfos.
Blicksteuerung: Den Wunsch von den Augen ablesen
Bedient wird per Gestensteuerung und mit einem auf Position des Türgriffe angebrachten Stabes, der eine Art MMI Touchless realisieren soll: Aufrecht per Drehring und Tasten und dann, weil man in Liegeposition natürlich auch mit dem längsten Arm nicht mehr an die Bedieneinheit heranreicht, per Gesten- und Blicksteuerung. Ein Sensor soll dem Fahrer den Bedienwunsch quasi von der Pupille ablesen. Oder er macht halt eine klare Ansage per Sprachbefehl. Wie war das nochmal: Wir werden uns wundern, was davon alles in Serie kommt? Gespannt sind wir schon jetzt darauf.
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