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VM-Visite Utrecht: Verkehrswende mit klarem Fokus aufs Fahrrad

Die niederländische Stadt hat etwa 360.000 Einwohner – und gefühlt mindestens so viele Fahrräder. Utrecht gibt mit über 130 Euro pro Einwohner/Jahr eine Menge Geld für die Schaffung einer fahrradfreundlichen Infrastruktur aus. Die Rushhour bietet für den deutschen Besucher denn auch ein eher ungewohntes Bild ...

Rushhour in Utrecht - fast nur Fahrradfahrer, ein paar Stadtbusse und ganz wenig private PKW.| Foto: T. Kanzler
Rushhour in Utrecht - fast nur Fahrradfahrer, ein paar Stadtbusse und ganz wenig private PKW.| Foto: T. Kanzler
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Thomas Kanzler

Die alten Stadtteile Utrecht sind mit den schmalen Straßen sowieso für den Autoverkehr kaum geeignet. Aber auch die Gegend um den modernen Hauptbahnhof mit einigen Hochhäusern ist annähernd Autobefreit. Es gibt breite Radwege - und Straßen, die fast ausschließlich von den städtischen Bussen befahren werden.

Sicherheit für Fahrradfahrer schon Verkehrsplanung

Viele planerische Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit für Fahrradfahrer haben sich in der Praxis nicht bewährt. Statt geschützter Radwege und weniger Flächen für den Autoverkehr setzten deutsche Behörden in der Vergangenheit vor allem auf Markierungslösungen. So enden Fahrradstreifen oft unvermittelt, führen über Verkehrsinseln oder Kreuzungen und sind häufig unübersichtlich. Das schafft kaum Anreize, dass Auto stehen zu lassen und das Fahrrad zu nehmen Die Anzahl der tödlichen Radfahrunfälle liegt in Deutschland höher als in den Niederlanden oder Dänemark. Nur manche Städte wie Freiburg, Münster oder Göttingen verfügen über eine sehr gute Infrastruktur.

Nicht nur die faktische Unfallhäufigkeit ist relevant. Viel häufiger als tatsächliche Unfälle sind Beinahe-Zusammenstöße, sogenannte "Near Misses". Diese beeinflussen im hohen Maße das individuellen Sicherheitsempfinden. Dass dieses Unsicherheitsgefühl berechtigt ist, bestätigt auch die Unfallforschung der deutschen Versicherer in einer 2019 erschienenen Studie: Interviews und Messungen in 13 deutschen Städten ergaben ein düsteres Bild. Zahlreiche Kraftfahrzeuge missachten Radstreifen, überholen zu eng oder blockieren die Wege durch Falschparken.

Umdenken in den Niederlanden schon in den 80er Jahren

Industrialisierung und steigender Wohlstand führten auch in den Niederlanden in den 1960ern und 70ern dazu, dass sich zahlreiche Menschen ein Auto leisten. Mit dem wachsenden Individualverkehr wuchs die Zahl der Verkehrstoten dramatisch. 1971 kamen auf holländischen Straßen 3.300 Menschen um, davon 400 Kinder. 2017 waren nur noch 613 Personen Tote auf niederländischen Straßen zu beklagen (3,6 Verkehrstote pro 100.000 Einwohner – zum Vergleich: Deutschland: 3,8 Tote pro 100.000 Einwohner, insgesamt 3.180 Tote). Die hohe Zahl der getöteten Kinder löste damals massive Protestwellen aus. Unter dem Motto „Stop de Kindermoord“ forderten die Demonstranten eine Verkehrswende. Die Ölkrise hatte in der bisher autozentrierten niederländischen Politik ein Umdenken zur Folge. Ein fahrradfreundlicher Kurs und Autofreie Sonntage bildeten den Beginn, viele Städte verbannten Autos in der Folge aus den Innenstädten und investierten in Fahrradwege. Die Sicherheit stieg – und mit ihr die Anzahl an Radfahrern.

Konsequente Trennung des Auto-Verkehrs

Abhilfe schafft nur die konsequente Trennung vom Autoverkehr. Nur so lassen sich etwa die Gefährdung durch parkende Autos oder sich öffnende Autotüren verringern. Versetzte Grünphasen, bei denen Radler eher grün erhalten als Autos, können ebenso helfen wie neugestaltete Kreuzungen. Rechtsabbieger sehen so die Radfahrer, die sonst im toten Winkel liegen, besser. Als Vorreiter in Punkto Fahrradsicherheit gelten Amsterdam und Kopenhagen. Obwohl Radfahrer einen Anteil von etwa einem Drittel bis 45 Prozent der Verkehrsteilnehmer ausmachen, ist die Zahl der Unfälle prozentual um etwa 90 Prozent geringer als in Deutschland.

Man braucht viel Geld - und Platz

Um eine fahrradfreundliche Infrastruktur zu schaffen, sind vor allem zwei Faktoren entscheidend: Geld und Platz. In beiden Fällen gibt es konkurrierende Interessen. Mehr Flächen für den Radverkehr – insbesondere an Kreuzungen und Radwegen – bedeuten Einbußen für andere Verkehrsteilnehmer. Die in vielen deutschen Städten üblichen Minimal- und Kompromisslösungen erhöhen die Sicherheit nicht zuverlässig. Eine fahrradfreundliche Infrastruktur kostet erheblich mehr Geld, als die deutschen Verwaltungen bislang ausgeben. Einer Greenpeace-Studie zufolge wandten deutsche Großstädte in den letzten vier bis sechs Jahren durchschnittlich zwischen 2,30 (München), 2,90 (Hamburg), 4,70 (Berlin) und 5 Euro (Stuttgart) pro Kopf und Jahr für den Radverkehr auf. Amsterdam (11 Euro) und Kopenhagen (35,60 Euro) investieren hingegen wesentlich mehr in den Radverkehr. Weit vorn liegen Oslo (70 Euro) und vor allem - Utrecht mit 132 Euro.

Was bedeutet das?

Utrecht hat die Straßen ums Zentrum weitgehend vom Autoverkehr befreit. Auf den Straßen sind Gelenkbusse unterwegs - viele davon schon elektrisch - und vor allem Radfahrer. Manches mag nicht eins zu eins in anderen Städten umsetzbar sein. Der konsequente Weg der Fahrrad-affinen Niederländer mag im Auto-verliebten Deutschland etwas seltsam anmuten, unser Redakteur jedenfalls hat noch nie eine so entspannte Rushhour wie die in Utrecht erlebt.

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