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VM-Tour-Check Volvo XC40 Pure Electric: Ritt auf der Kanonenkugel

Mit brutaler Performance, aber entsprechend mauer Reichweite hinterlässt der erste Stromer der Schweden einen zwiespältigen Eindruck auf der Tour München-Köln. Komfort und Qualität sind aber top.

Volvo heißt: Ich wälze. Und genau das tat der 2,2-Tonnen-Stromer XC40 RC PE auf Reichels Rheinland-Runde und zwar im positiven Sinne auf hohem Komfort- und Performance-Level, in negativen bei hohem Durst. | Foto: J. Reichel
Volvo heißt: Ich wälze. Und genau das tat der 2,2-Tonnen-Stromer XC40 RC PE auf Reichels Rheinland-Runde und zwar im positiven Sinne auf hohem Komfort- und Performance-Level, in negativen bei hohem Durst. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Ein bisschen vom kantigen "Knäckebrot"-Charme der Marke hat er schon noch bewahrt, der erste Vollstromer aus Schweden mit dem kaum weniger sperrigen Namen Volvo XC40 Recharge Pure Electric. Letzteres Anhängsel unterscheidet das Modell vom Plug-in-Hybriden, den es ebenso wie einen Mild-Hybrid-Benziner und normalen Diesel auf der Multiantriebsplattform gibt. So dermaßen auf Zack wie der Elektriker ist aber keiner der semikonventionellen Geschwister: Unter fünf Sekunden katapultiert der opulente Allradantrieb mit zwei Achsmotoren die 2,2-Tonnen-Fuhre nötigenfalls aus den Startblöcken auf 100 km/h, und zwar völlig ohne Traktionsprobleme, ohne mit T-förmigen Blinker zu zucken und in einer leisen Atmosphäre, die den passabel kultivierten Volvo-Diesel sofort uralt aussehen lässt. Zumal der Strom-Schnelle liegt wie ein Brett, für das Format und Gewicht enorm agil zu steuern ist und das Zoomen Richtung Horizont zugegeben Spaß bereitet.

Und so kommt einem bei der ersten längeren Tour quer durch Deutschland von München nach Weiterstadt in Hessen und weiter nach Köln und Brühl spontan der Gedanke, man ritte wie einst Baron von Münchhausen auf der Kanonenkugel, wahlweise assoziiert man einen rasenden Ziegelstein auf Rädern. Und doch sollte man der Freude am Spurt nicht allzu oft nachgeben, denn dann ziehen die 408 Schweden-Pferde und ihre strammen 660 Nm in dem 4,42-Meter-SUV ordentlich Energie weg.

Worst case scenario: Kälte, Schee, Wind - und über 30 kWh/100 km

Also runter vom "Strom", Tempomat respektive den immer feiner regelnden "Pilot Assist" mit Spur- und Abstandsasstistenz auf 120 eingeloggt - und nach "Truckermanier" rollen lassen. Wobei der Start unter erschwerten Bedingungen stattfindet: Kurz hinter München setzt in Richtung Augsburg und schwäbische Alb heftiges Schneetreiben mit üblen Windböen ein, "worst case scenario", nennt man so was wohl für ein Elektroauto. Obwohl wir nur moderat "heizen", also jetzt wärme-mäßig gemeint, und es angepasst ruhig angehen lassen, taxiert der Bordcomputer bei über 30 kWh/100 km. Ups!

Volvo heißt: Der Schwede hält stur die Spur

Klar, erhöhter Rollwiderstand im Schneematsch, 255er-Nokian-Winterreifen sowieso, das zieht Saft. Wobei der wuchtige "Kasten-Wagen" aus Schweden stur die Spur hält als wäre er der Schneepflug und nicht das Kommunalfahrzeug vor uns. Wer sich aus dem erstmals komplett Android-Automotive basierten und in gewohnter "Google"-Manier samt Maps und Google-Sprachassistenz smartphone-simpel zu bedienenden Betriebssystem das One-Pedal-Driving einloggt, fährt quasi teilautomatisiert und mit hohem Komfort auch auf Langstrecken.

Und der für ein solches Fahrzeug mit Langstreckenanspruch durchaus plausibel formatierte 78-kWh-Akku (75 kWh nutzbar) lässt den XC40 als Stromer noch satten auf der Piste pappen wie die ohnehin laufruhigen konventionellen Geschwister. Zur ausgeprägten Spurtreue gesellt sich ein kommoder Federungskomfort, leises Abrollen und überhaupt exzellente Geräuschdämmung sowie knarzfreie Verarbeitung im Premium-Feeling verströmenden Interieur, das mit superbequemen Sitzen und gewohnt hoher Stilsicherheit klotzt.

Kompakt-SUV mit gutem Raumangebot: Mehr braucht man nicht

Irgendwie gemütlich wie ein schwedisches Wohnzimmer, der XC40. In dem es dank Kastenform auch reichlich Kopfraum gibt, wobei es auch an Schulter- und Beinfreiheit selbst im Fond nicht mangelt. Auch der tiefe und gut nutzbare Kofferraum (413 l) nebst Frunk (31 l) als Fililale ist so großzügig und Vier-Personen-Reise-tauglich dimensioniert, sodass man zu dem Schluss kommt: Wenn es schon SUV sein muss, dann muss er wirklich nicht größer sein.

Die hochaufragende Karosserie mit 1,65 Meter Höhe - der antriebsseitig identische Polestar 2 des neuen Volvo-Elektro-Spin-Offs misst gerade mal 1,48 Meter - fordert bei Autobahnbetrieb allerdings neben dem energiehungrigen Antrieb ihren Tribut. Der cW-Wert von 0,34 wird mittlerweile sogar von Transportern vom Schlage eines Mercedes Vito (0,32) unterboten. Sodass unter diesen erschwerten Bedinungen der erste Ladestopp schon in Stuttgart zwar nicht zwingend fällig wird, aber doch geboten erscheint: 216 Kilometer sind wir gefahren, der Schnitt laut Bordcomputer mit 29,3 kWh/100 km knapp unter der 30er-Marke.

Alles auf Google: Die bunte Welt von Alphabet

Wie bei Tesla sortiert der im Android-System auf Google-Maps organisierte Routenplaner die Ladestopps und zeigt den jeweiligen Ladestand am Zielort sowie die empfohlene Ladezeit für die Zielerreichung an, unter den akutellen Bedingungen. Justament an der EnBW-Zentrale mit selbstredend Vorzeige-Ausstattung samt freundlichem Zugang zu den Sanis im Gebäude fassen wir also erstmals DC-Strom nach, eine Stunde Pause empfiehlt der Ladeplaner.

51 Minuten und 59 kWh später haben wir wieder von 15 auf 87 Prozent in den Akkus und genug Puffer, um den nächsten Stopp bei Darmstadt zu erreichen. Angemerkt sei, dass der Volvo-Bordlader mit über 120 kW flott loslegt, aber dann stufenweise bei 20, 40 und 60 Prozent dann in 25-kW-Schritten absackt, um dann nach einer halben Stunde respektive exakt 80 Prozent Richtung 25 kW Ladeleistung zu drosseln. Ok, der Akkulebenszyklus wird es einem danken.

Direktvergleich: Skodas Enyaq auf cW-Wert von 0,25 rundgelutscht

Klar, dass wir am Zwischenziel Weiterstadt nach dem Grundsatz handeln: Parkzeit ist Ladezeit! Auch wenn die drei Stündchen, während wir (frisch Corona-getestet versteht sich) den neuen Skoda Enyaq ein erstes Mal ausfahren und über die Effzienzvorzüge eines mehr am Kombi orientierten SUV-Konzepts sinnieren (cW-Wert 0,25), an der AC-Dose in der Tiefgarage nicht die Welt bedeuten. Ein bisserl was geht immer, in dem Fall 18,79 kWh in 1:46 Stunden oder 25 auf 47 Prozent.

So richtig nachgefasst wird dann aber wieder am HPC-Lader von Fastned auf dem weiteren Weg nach Köln: 60,2 kWh zapfen wir in 57 Minuten für stolze 59 ct/kWh als Einmalzapfer (35 ct/kWh für sog. "Gold-Member"), sprich von 16 auf 89 Prozent, wobei wir in der Zeit die Tauglichkeit des schwedischen "Kasten-Wagens" als mobiles Büro zu schätzen lernen. Und auch seine Eignung als mobile Disco: Jedenfalls ist die feine Harman-Kardon-Anlage über jeden klanglichen Zweifel erhaben ist. Der Verbrauch hat sich mittlerweile bei 26,9 kWh/100 km eingependelt über die Gesamtdistanz, bei sonnigem, trockenem Wetter.

Auch am Zielort in Brühl nutzen wir die AC-Lademöglichkeit - und bringen es während des ausgedehnten Termins mit dem glatten Gegenmodell zum XC40, dem Dacia Spring Electric, von 49 auf 99 Prozent - beim letzten Prozent reißt uns dann der Geduldsfaden, diese letzten paar Zähler sind vielleicht zäh ... Unglücklicherweise verabschiedet sich - vielleicht nach dem Schneesturm des Vortags - die Sensorik des Pilot Assist und mahnt durch keinen Reset beirrbar das Beheben des Fehlers in der Werkstatt an.

Pilot Assist fällt aus: Da heißt es, füßisch am Ball bleiben

Womit man auf ein Manko der "schönen neuen Digitalwelt" trifft: Der schnöde Tempomat funktioniert nur als ACC und zwingt uns die ganze Rückfahrt den rechten Fuß auf das Fahrpedal zu tackern, ziemlich verkrampfend auf Dauer. Wie hat man das nur früher gemacht?! Immerhin scheint der Fuß so feinfühlig zu sein, dass sich der Verbrauch jetzt auf 23,8 kWh/100 km abgesenkt hat. Lass' die Vertreter doch vorbeidonnern, wir wissen, dass wir könnten (660 Nm!) und verzichten bis auf gelegentliches Springen in die Lücken, auf das "Zünden der Raketenstufe".

Entspanntes Fahrweise beschert Werksverbrauch

So rollt man entspannt zum vorletzten Ladestopp nahe an der am mit 59 ct/kWh an der HPC leider ziemlich teuren E.ON Drive-Charger an der Raststätte Dannstadt an der A61 nahe Speyer. Was uns eine feine Kaffee- und Spazierpause verschafft und einen kleinen Einblick in die Spargelernte der Umgebung, ein weiterer Vorzug des Stromerns. Die kleine Runde bringt die Speicher wieder von 25 auf 92 Prozent, 53,5 kWh sind in 56 Minuten geflossen. Eile mit Weile, ist das sinnfällige Motto, das auf der warmen und trockenen Rückfahrt für deutlich gedrosselten Stromhunger sorgt.

Den abschließenden Ladestopp bei EnBW in Ulm-Ost (49 ct/kWh) aber auch nicht erspart, lieber auf Nummer sicher und sozusagen ein "Sundowner", aber wirklich nur eine halbe Stunde von 23 bis 80 Prozent: 47 kWh sind in der Zeit gezogen. Das genügt, um mit einem Puffer von 36 Prozent in München an der SWM-Säule anzuschlagen. Bis zum Morgen sind 52,5 kWh in die Lithium-Ionen-Speicher geflossen, leider zu teuren 48 ct/kWh. Wie sich trotz kleinerer Stromspenden überhaupt einmal mehr bewahrheitet: Stromern ist weder ein flotter, noch ein billiger Spaß.

Präzise: Bordcomputer bezieht Ladeverluste mit ein

Bilanz einer Dienstfahrt: 1.223 Kilometer quer durch Deutschland mit 25,1 kWh/100 km laut Bordrechner, bei stets moderatem "Stromfuß" und einem 88er-Schnitt (Rückfahrt 96 km/h) auf gehobenem Lastwagenniveau. Inklusive Ladeverluste ergeben sich 314 kWh an Strommenge, entpricht einem Durchschnittsverbrauch von fast identischen 25,7 kWh/100 km. An der Effizienz muss Volvo noch arbeiten, an Performance mangelt es nicht. Doch was ist das eine ohne das andere?

VM-Fazit: SUV-Konzept und E-Antrieb - das passt nicht!

Was zu beweisen war: Elektroantrieb und SUV-Konzept, das ist eine extrem schwierige Mixtur - und funktioniert nicht wirklich: Ab 100 km/h aufwärts zieht der Verbrauch davon, da fühlt man sich fast lächerlich mit seinen 408 PS zwischen den Rädern, wenn man im Reisebustempo mit zart angelegtem "Stromfuß" dahinschleicht.

Zumindest wenn man den Anspruch erhebt, damit auch längere Strecken zu bewältigen, ist die Hochbauform im Elektrozeitalter ein Widerspruch in sich: Zu temposensibel ist die Technologie, zu empfindlich reagieren die Akkus auf auch nur etwas höhere Leistungsanforderung.

Und für kurze Strecken und die Stadt, sorry, aber dafür braucht es nun wirklich auch keinen 408-PS-Geländeboliden mit Allrad. Klarer Fall von "overengineered". Kein Wunder, dass ein E-Auto-Pionier wie Tesla extrem auf die Aerodynamik und eine flache Silhouette seiner Fahrzeuge wert legt - sieht man man vom aus der Art geschlagenen Model X ab - und selbst der schlägt, auch wenn man es kaum glaubt - den Volvo in Sachen Windwiderstand bei Weitem mit cW-Wert von 0,24.

Auch bei VW ist man sich des Zielkonflikts bewusst und versucht sich im Spagat aus vom Kunden angeblich so geschätzter Hochbaukarosserie und dennoch guter Windschlüpfrigkeit, etwa beim ID.4 oder dem Skoda Enyak. Gleich von CUV sprechen sogar schon Hyundai und Kia bei ihren 800-Volt-Boliden oder auch Ford beim Mustang, die sich mit viel Marketingmühen von den Geländewagen abzugrenzen versuchen.

Im Falle des XC40 ist es so: Wer das vorhandene Potenzial auch nur halb auf der Autobahn auslotet, steht alle 200 Kilometer an der Ladesäule. Wer sich wie wir ökonomisch fortbewegt und die Nadel maximal auf 120 km/h, mal 130 km/h steigen lässt, ist bei einem 80-Prozent-Ladeziel, alle 250 Kilometer Gast am HPC-Ladepunkt.

Das geht nicht nur ins Geld, sondern nervt auf Dauer auch - eilig darf man es jedenfalls nicht haben. Strategisch unverständlich ist, warum eine Vernunftmarke wie Volvo nicht den Fokus darauf legte eine elektrische All-You-Need-Limousine auf S60/V60-Basis auf die Räder zu stellen, als echten Tesla-Jäger. So ist der "rasende Ziegelstein" zwar irgendwie faszinierend und ein generell fein gemachtes Auto. Aber leider das falsche Konzept: SUV sind generell ziemlicher Quatsch in Zeiten, in denen man alles auf Effizienz ausrichten sollte. Und erst recht für einen E-Antrieb.

Einen Vergleichstest des Volvo XC40 Recharge PE mit dem MG ZS EV lesen Sie in der nächsten Ausgabe von VISION mobility!

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