VM-Tour-Check Kia e-Niro/Ionity: Stromern für Erwachsene

Bei einer 2.300-Kilometer-Tour nach Dänemark in der Ionity-Infrastruktur erwies sich die Kombination aus effizienten, komfortablem Korea-Crossover und deutschem HPC-Netz als ideal und zuverlässig.

Auf großer Fahrt: Der zweite Ladestopp mit dem Kia e-Niro auf dem Weg von München nach Dänemark führte uns kurz vor Hamburg zur Sicherheit noch nach Lüneburger Heide/Ost - von 14 auf 55 Prozent in 26 Minuten, für 30 kWh. | Foto: J. Reichel
Auf großer Fahrt: Der zweite Ladestopp mit dem Kia e-Niro auf dem Weg von München nach Dänemark führte uns kurz vor Hamburg zur Sicherheit noch nach Lüneburger Heide/Ost - von 14 auf 55 Prozent in 26 Minuten, für 30 kWh. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Der Kia e-Niro Spirit 64 kWH hat eines gemeinsam dem Tesla Model 3: Man starrt nicht mehr ständig auf die Reichweitenanzeige, sondern fährt einfach zu. Kontinuierliche Modellpflege hat den Koreaner dazu gemacht, was er heute ist: Ein höchst effizientes, geräumiges, komfortables und agiles Elektroauto, das auch vor langen Reisen mit "Kind und Kegel" nicht zurückschreckt. 2.300 Kilometer sind wir von München aus quer durch Deutschland gestromert, bis nach Dänemark auf die Inseln Rømø und Fanø und an den Rinkøbing-Fjord.

Preiswert, schnell, insgesamt zuverlässig: Ionity-Ladenetz

Die Challenge war es, sich - bis auf eine Übernachtladung in Hamburg - ausschließlich im Ionity-Ladenetz zu bewegen. Im Power-Tarif zahlt man dann neben einer monatlichen Grundgebühr von 13 Euro pro DC-Kilowattstunde lediglich 29 Cent, sodas es nicht nur ein ökologisch-korrekter, sondern auch ein ökonomisch attraktiver Trip war. Bei den zwei Ladevorgängen in Dänemark kam noch eine "Session-Fee" von marginalen 3,90 Kronen hinzu, etwa 50 Cent. Für die Übernachtladung in der Zwischenstation Hamburg beim lokalen Energieversorger wurden im höchsten Kia-Charge-Tarif Advanced lediglich 13 Cent pro kWh fällig, ebenso für die Schlussladung an der Stadtwerke-Säule in München.

Insgesamt fielen neun Ladevorgänge an, zwei in AC, sieben an den Ionity-HPC-Säulen, wobei noch weniger an Stops drin gewesen wäre, wenn man es drauf angelegt hätte. Die Säulen selbst versahen meist zuverlässig Dienst, wenn mal eine streikte, war immer eine andere frei oder in Betrieb. Zweimal halfen wir E-Auto-Kollegen mit der eigenen Ladekarte aus, weil bei ihnen das Laden per App oder Kreditkarte nicht funktionierte. Das war's dann aber auch mit "negativen" Erfahrungen. Generell muss man entgegen aller Unkenrufe, Ängste und Vorurteile sagen: Mit Strom reisen, das läuft!

e-Niro: Fährt lange, lädt lange

Womit man auch schon bei einer der wenigen Schwächen des mit 4,38 Meter langen, 1,56 Meter hohen und 1,80 Meter breiten noch immer schön kompakten sogenannten "Crossovers" aus Korea wäre, der im Prinzip aber in der eine Art Golf Plus durchgeht: Der AC-Bordlader im Testwagen nuckelte schon mal nur mit 4,4 kW vor sich hin, maximal 7,2 und mit Sonderausstattung neuerdings 10,5 kW. Er blockiert also für eine Komplettladung schon mal sieben bis 15 Stunden die öffentliche Ladeinfrastruktur, wenn man nicht einen der noch relativ raren urbanen Schnelllader erwischt.

Aber auch in DC geht es nicht so richtig ab: In der guten Stunde, in der wir am dänischen und strategisch günstig platzierten Standort Aabenraa am Strom hingen, hatte der eilige Audi e-tron-Fahrer ein einer Viertelstunde ebenfalls 30 kWh gezogen. Der e-Niro lädt anfangs mit maximal 70 kW Leistung und geht dann sukzessive runter bei 50, 60 und 80 Prozent, um es dann mit 20 kW und ganz am Schluss mit 3 kW ruhig ausklingen zu lassen. Die formal 100 kW, die er maximal abrufen können soll, erreichten wir kein einziges Mal. Kein Problem auf Urlaubsreisen und bei der satten Reichweite sowieso nicht zu häufig - und wenn dann willkommen oder sogar dringend nötig.

Next Generation: 800 Volt schon in den Startlöchern

Aber wer es, wie der Audi-Fahrer, extrem eilig hat, weil termingeplagt, der ist auf schnelle Ladung angewiesen. Wobei hinzugefügt sei, dass der e-tron, erst recht bei dem offenbar sportiven Fahrstil des Chauffeurs, im Betrieb eher 25 bis 30 kWh/100 km durchzieht - und nicht mit "schlanken" 13 bis 15 kWh/100 km glatte und wie vorm Werk angegebene 455 Kilometer in einem Hopps durchzieht, wie unser Mittelstreckenrekordler aus Korea.

Ergänzt sei natürlich auch, dass Kia im Parallelschwung mit Hyundai längst den nächsten Schritt geht und die 800-Volt-Plattform E-GMP in Form des EV6 sowie dem bereits einige Male angetroffenen Ioniq 5 einführt. Man ist der Volumensegement-Konkurrenz also anderthalb Generationen voraus, wenn man so will. Gut, und den meisten dürfte der mit 38.000 gut ausgestattete und mit 45.000 Euro vollausgestattete Korea-Crossi mit 400-Volt-Struktur wahrscheinlich ohnehin genügen. 

Sparsam im Betrieb - und an der Säule!

In Summe ist der Kia jedenfalls nicht nur im Betrieb sparsamer als das leuchtende Vorbild Tesla mit im Schnitt 14,7 kWh/100 km über die Gesamtstrecke von 2.300 Kilometer, für die wir 362 kWh aus dem Netz zogen, sondern vor allem auch an der Säule, aufgrund deutlich geringerer Ladeverluste: 15,9 kWh/100 km, da geht schon verflixt wenig flöten auf dem Weg vom Ladepunkt in den Lithium-Ionen-Akku des Kia. Beim Tesla Model 3 waren es auch bei unseren Tests, aber auch den ADAC-Prüfungen schon mal 20 Prozent, die zusätzlich zum eigentlich guten Verbrauch im Betrieb oben drauf kamen. Üppig!

Flotte Fahrleistungen - mehr braucht kein Mensch

Und schon klar, ein Model 3 bietet bereits in der Basis eine überschäumendere Performance bei ähnlicher Gesamtreichweite. Aber hey, der mit 1,8 Tonnen relativ leichte Kia geht, von gelegentlichem Scharren der Vorderreifen begleitet, dank 395 Nm Drehmoment der leise laufenden Permanentsynchronmaschine auch in knapp acht Sekunden auf 100 km/h, marschiert limitiert 167 km/h (die man nie ausreizt) und ehrlich gesagt, als echter E-Mobilist probiert man das mal aus und dann ist es auch wieder gut. Lieber nutzt man per Schaltpaddel die dreistufige Rekuperation und erfreut sich an der Rückgewinnung der Roll- und Bremsenergie. Effizienz schlägt Performance.

Software: Integrierte Ladeplanung fehlt noch

Wo es gegenüber Tesla noch hapert, ist die Software, vor allem in Sachen Ladeplanung: Mühselig muss man beim Kia mit der eigentlich praktischen Kia-Charge-App parallel hantieren und zu den Ionity-Ladern navigieren, will man nicht mühselig Adressen ins Stammnavi eingeben. Die Kia-App hält dafür alle relevanten Infos von den freien Säulen über Betreiber und Ladeleistung, bis hin zur aktuellen Distanz zum Ladepunkt bereit und basiert wie bei BMW oder anderen auf Basis des Münchener Spezialisten Digital Charging Solutions. Wer sich etwa nur in einem Netz bewegen will, wie wir, lässt sich einfach nur diese Betreiber auf der Karte anzeigen. Bei den Kaliforniern ist das längst alles geschmeidig ins Gesamtsystem integriert haben: Ziel eingeben und schon ploppen die möglichen Ladeoptionen auf und die Route steht, los geht's.

Hardware: Tolles Fahrzeugpackage mit Platz und Komfort

Das ist umso bedauerlicher, als der Kia ansonsten ein höchst komfortables Gefährt ist, sprich, die Hardware passt: Üppig Platz auf bequemem Gestühl für vier Erwachsene, die auch im Fond langbeinig sein dürfen, um lässig lümmeln zu können und dem erstklassigen Sound des JBL-Systems lauschen dürfen (oder den eigenen Kopfhörern). Seriöse Verarbeitung und ordentliche Materialqualität darf man sowieso bei Kia voraussetzen, ebenso eine gute Bedienung und Ergonomie. Ein mit formal 451 Liter gut dimensionierter Kofferraum, dessen doppelten Unterboden man mit Urlaubskleinkram bis in den letzten Winkel auslasten kann.

Ein erwachsenes Fahrwerk, dass auch voll beladen nie hektisch wird, Bodenwellen souverän verarbeitet und sich gegebenenfalls recht agil in die Kurven wirft, dirigiert von einer ordentliche rückmeldenden Lenkung. Hinzu kommt in der Topversion ein komplettes Paket an moderner Fahrerassistenz, die einen teilautomatisiert über die Langstrecke stromern lässt und die bis hin zum Abstandstempomaten, Stauassistenten (vorderes Fahrzeug fährt an!) und aktivem Spurassi nicht zu hektisch, sondern professionell agiert.

Leichtläufer: Der Kia rollt und rollt und rollt

Auffallend ist, wie leicht und lange der Kia rollt und wie gut doch die Aerodynamik ist, trotz der leicht erhöhten Karosserie und dem nicht ganz bündig in den Boden eingelassenen Akku. Die wollten wir natürlich nicht mit einem Heckfahrradträger versauen, den es seit kurzem dank der Kupplungsoption gibt. Das Faltrad musste genügen: In Hamburg verwöhnt das dichte Netz an Leihbikes und Scootern aller Art und in Dänemark ist ein Fahrradverleih nie fern. Wenn man sieht, was die Deutschen im Urlaub alles mit sich herumschleppen - auf auf Kleinbussen oder dicken SUV sind Dachboxen UND Fahrradträger fast Standard, zusätzliche Camping- oder Nutzanhänger nicht selten - kamen wir uns wunderbar leichtfüßig vor - und frei wie der Vogel im Ionity-Logo. Taschen rein und los.

Reisen mit gutem Gewissen: Das "Einliter-Auto" ist längst Realität

Und wenn man bedenkt, dass unser Verbrauch an Ökostrom je nachdem wie man die Vorkette der Dieselproduktion mit veranschlagt gerademal 1 bis 1,5 l/100 km an Diesel entspricht, hatten wir - auch wenn sonst gerne mit der Bahn unterwegs - kein schlechtes Gewissen bei der Tour im (elektro)motorisierten Individualverkehr. An Effizienz ist er den Stromern des VW-Konzerns und erst recht den PSA-Produkten immer noch weit überlegen. Kurzum: Der Kia e-Niro, das darf man nach 2.300 Kilometern schon mal festhalten, ist tatsächlich ein E-Auto für "Erwachsene" und eines der wenigen wirklich seriösen Angebote am Markt, mit denen man den Verbrenner komplett ersetzen kann. Und die Marke hat gerade erst richtig angefangen ...

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