VM-Test Renault Kangoo E-Tech: Großraumstromer mit kurzer Leine
Jetzt kommt der neue Renault Kangoo E-Tech auch als Kombi, nachdem der Kastenwagen für Handel und Handwerk zuerst den Vortritt hatte. Die zweite Generation brauchte einen ganz schön langen Anlauf und umso mehr hoffte man auf einen großen Schritt. Aber um es vorwegzunehmen: In Sachen Effizienz und Reichweite hatte man von dem Branchenpionier - der Kangoo Z.E. war der erste Serien-Elektro-Van überhaupt - vom Nachfolger mehr erwartet. Schließlich wurde ein komplett neues Antriebspackage aus eigenem Renault-Synchronmotor mit 90 kW sowie einem kompakten 45-kWh-Lithium-Ionen-Akku, neuerdings von CATL aufgesetzt - und der Vorgänger glänzte zwar nicht mit überschäumender Leistung, aber hoher Effizienz. Das ist passé. Denn von den 285 Kilometer WLTP ist man im Test- und sonstigen Alltag eine ganze Ecke weit entfernt. Viel mehr als 200 Kilometer am Stück sollte man sich nicht vornehmen, auch bei frühlingshaften Temperaturen sinkt der Verbrauch kaum mal unter die 20 kWh-Marke. Schließlich hat der Stromer auch an Gewicht zugelegt, was unsere Test-Waage unbestechlich dokumentiert: 1.935 Kilo wiegt der Kasten leer, trotz kleinem Akku, der mit 320 Kilo recht leicht ist.
Gestiegenes Gewicht schlägt auf die Nutzlast
Das erhöhte Gewicht drückt zugleich die Nutzlast Bei 2.370 Kilo Gesamtgewicht bietet der Großraumvan für das stolze Box-Format von 4,48x1,91x1,84 Meter Länge-Breite-Höhe eher maue 435 Kilo Nutzlast. Das Kofferraumvolumen ist mit 542 Liter bis Fensterlinie und 1730 respektive unters Dach 1.969 Litern aber durchaus fit für Transportaufträge, was übrigens auch die Anhängelast von 1.500 Kilo untersteicht. Wäre da nicht die unpraktisch gestaltete Rückbank: Die lässt sich zwar um 14 Zentimeter verschieben, was bei dem großen Standardkofferraum aber meist unnötig ist. Dafür lässt sie sich nicht zu einer Ebene falten wie bei den Stellantis-Vans Citroen Berlingo & Co. Und ausbaufähig ist das 2/3-1/3 umlegbare Trumm auch nicht.
So bleibt immer ein riesiges Paket im Raum stehen. Und wenn wir schon am Meckern sind: Leider kragt der Akku mit einem Sockel in den Fond-Fußraum hinein und zwingt die Passagiere zu einer hohen, aber hockenden Sitzposition, die Füße bekommt man auch nicht unter den Vordersitz verstaut. Auf längeren Strecken nur Kindern zuzumuten, die sich dafür über gute Aussicht freuen. Auch die vorderen Sitze laden jetzt nicht zum Reisen ein mit harter Auflage und wenig Seitenhalt. Aber Langstrecken sind ja ohnehin nicht das Revier des Kangoo E-Tech.
Der Verbrauch ist zum Vorgänger angestiegen
Womit wir wieder beim Thema wären: Im Test über unsere Standardrunde mit Stadt/Land/Autobahn kamen wir im leider nur mit einer Ebene gesegneten Bordcomputer des nebenbei auch ziemlich lieblos gemachten Easy-Link-Infotainment-Systems auf 22,3 kWh/100 km nach Ladeverlusten, im Ecomodus ohne Klimaanlage. Vor allem auf der Fernpiste langt die E-Maschine in dem "Großgebinde" zu und der Wert schnellt von 15 bis 17 in Stadt und Land Richtung 25 kWh/100 km BAB, obwohl bei häufiger Limitierung und 103er-Schnitt. Gemäß Bordcomputer legt man auf eine weitere gemischte Land-Autobahn-Etappe auch mal einen 17er-Wert hin, der sich aber dann relativiert, wenn man mit 8 Prozent Rest nach moderaten 202 Kilometern respektive weiteren 179 Kilometern mit kleinem Autobahnanteil an der Säule anschlägt und dann 40,6 sowie 41,4 kWh durch die Leitung fließen, entspricht 20,0 oder 23,2 kWh/100 km.
Immerhin und das ist ein großer Pluspunkt bei Renault: Der AC-Lader mit 22 kW macht schön Dampf und bringt den Speicher binnen zweieinhalb Stunden wieder auf vollen Stand. Wer nur mal schnell zwischenlädt, zapft oft nicht viel länger als mit dem relativ lahmen DC-Lader mit 80 kw Leistung, den man sich fast sparen kann. Im Paket kostet die 22-kW-Option im Equilibre-Level 1.500 Euro, der DC-Lader auf das noch üppigere Techno-Paket des Testwagens weitere 1.500 Euro, womit man bei 43.500 Euro Brutto landet, bei einem Basispreis von 39.300 Euro. Da ist man dann schon im Bereich eines langstreckentauglichen Raumfahrzeugs Tesla Model Y oder eines Hyundai Ioniq 5, aber das nur am Rande ...
Rekuperation: Kein One-Pedal-Drive
Im Gegensatz dazu muss man im Kangoo abgesehen von ein paar Applikationen der Topversion mit Holzoptik mit eher pragmatisch-praktisch-auswaschbarem Nutzfahrzeugcharme Vorlieb nehmen, was bodenständig orientierten Kunden egal sein dürfte. Robust ist das Ganze jedenfalls. Auch weniger relevant für die Zielgruppe ist, dass der Kangoo mit seiner eher weichen Lenkung und dem hohen, leicht schwankenden Aufbau kein Chefdynamiker ist, sich aber ganz brav und recht kommod fährt. Die 245 Nm des für flotten Vortrieb sorgenden Frontmotors schicken gerne mal ein Zerren in die Lenkung, die hohen Seiten und Stirnfläche verursachen einiges an Wind- und Abrollgeräuschen, die in Anbetracht des generell leisen Antriebs umso mehr auffallen.
Die Rekuperation ist nur in Stufe 3 des per anachronistisch-wuchtigem Schaltknauf einlegbaren B3-Modus wirklich spürbar, One-Pedal-Drive gibt es aber nicht, sodass man vor Ampeln aufpassen sollte, auch die Bremse zu treten. In Anbetracht der Tatsache, dass der E-Tech eher für den urbanen und suburbanen Raum taugt und auf auf Lieferdienste peilt, ein echtes Komfortmanko. Für Schnellstarter ist der E-Tech auch nichts: Es gilt, ein striktes Prozedere aus Startknopf, Park- und Fahrmodus sowie elektrischer Parkbremse abzuarbeiten, sonst rührt sich der E-Van nicht vom Fleck.
Praktische Kabeltasche im Kofferraum. | Foto: J. Reichel
Die wuchtige Mittelkonsole nervt, toll ist das Schubfach auf der Beifahrerseite. | Foto: J. Reichel
Digitale Instrumente in hübscher Optik, der Satellit fürs Radio sitzt versteckt. | Foto: J. Reichel
Die verschiebbare Rückbank ist eigentlich obsolet, die Stufe im Fond nervt. | Foto: J. Reichel
Klappe zu: Ladeslots und Handyhalter, nicht schön, aber praktisch. | Foto: J. Reichel
Fahrerassistenz auf Level 2
Ziemlich up to date ist der Kangoo in Sachen Fahrerassistenz, wo man Sensorik aus dem Konzernbaukasten auffährt - und wahlweise auf Level 2 assistiert. So wird im Volldigitalinstrument optisch hübsch aufbereitet ganz manierlich der Abstand und die Spur gehalten oder lautstark vor dem Auffahren gewarnt, wobei die Spurführung in der "Frühwarnstufe" ziemlich alarmistisch ist und auf Landstraßen eher nervt. Immerhin kann man hier im Submenü auf weniger sensibel stufen, dann passt es. Die Verkehrszeichenerkennung dürfte den erlaubten Speed auch gerne direkt übernehmen statt die Übernahme nur anzubieten. Wirklich praktisch ist die Handsfree-Funktion des Schlüssels nebst akustischem Schließsignal, speziell für Lieferdienste ein segensreiches Feature, praktisch gelöst die langarmige Halterung fürs Handy, intuitiv die Drehregler der Lüftung, die großen Analog-Spiegel erübrigen eigentlich die Digital-Rückfahrkamera. Ablagen gibt es in dem französischen Praktiker mehr als genug, allen voran die Schublade beifahrerseits, auch USB-Slots oder eine induktive Ladeschale sind obligat. Das Ladekabel verstaut man in der offenen Seitentasche im Kofferraum, hinter der weit aufschwingenden und krachend zuschlagenden Heckklappe.
VM-Fazit:
Für einen Elektro-Pionier, der auch bei den Vans früh und mutig den Maßstab setzte, hat der Kangoo E-Tech zu wenig nachgelegt, der (Fort)Schritt ist zu klein. Dem flotteren Antrieb steht vor allem die eher gesunkene Effizienz entgegen, die Reichweite ist mit gut 200 Kilometern allenfalls alltags-, keinesfalls reisetauglich. Gut ist der schnelle AC-Lader, schlecht der lahme DC-Lader. Enttäuschend schneidet der Großraumvan in Sachen Innenraumflexibilität ab. Unterm Strich ist der Kangoo E-Tech dann auch ganz schön teuer, für das, was er bietet - auch im direkten Vergleich nicht mehr als der schon etwas angejahrte Stellantis-Van, der aber bald ein Update mit effizienterem Antrieb erhält. Dann muss sich der Kangoo "warm anziehen".
Elektromobilität , IAA Mobility , SUVs und Geländewagen , Hybrid , Antriebsarten, Kraftstoffe und Emissionen , Oberklasse- und Sportwagen , Carsharing , Autonomes Fahren (Straßenverkehr) , Ladeinfrastruktur , Verkehrspolitik , Formel E , Brennstoffzellen , Fahrzeug-Vernetzung und -Kommunikation , Fahrzeuge & Fuhrpark , Automotive-Messen & Veranstaltungen , Pkw, Kompakt- und Mittelklasse , Minis und Kleinwagen , E-Auto-Datenbank, E-Mobilität-/Automotive-Newsletter, E-Auto-Tests