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VM-Test BMW i4 M50: Tesla-Jäger mit Nieren- und Nasenfaktor

Die i4-Topversion klotzt mit im Alltag irrelevanter, aber irrer Performance und tollem Handling, fährt aber wie die Basis die Kompromisslinie des Multiantriebskonzepts: Mit mauer Raumeffizienz und mäßiger Reichweite.

Lange Haube, große Niere: Der i4 als M50-Version zieht vor allem die Blicke junger Männer auf sich ... | Foto: J. Reichel
Lange Haube, große Niere: Der i4 als M50-Version zieht vor allem die Blicke junger Männer auf sich ... | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Die Niere und die Nase, das sind vielleicht die wichtigsten Distinktionsmerkmale des BMW i4 M50, die vor allem jungen Herren an der BMW-Heimstatt Milbertshofen reihenweise die Köpfe (ver)drehen lassen. Wobei das natürlich auch Resultat der bewussten Strategie und Art des Hauses ist: Der i4 schaut kaum anders aus als ein M440 mit nach- statt vorangestelltem "i" und deutet mit seiner Krawalloptik am Heck sogar einen vierflutigen Auspuff an ... Über die monströse Aggro-Niere kann man auch geteilter Meinung sein, weil sich über Geschmack bekanntlich trefflich streiten lässt. Gerade friedlich ist die Ausstrahlung des doch so emissionsfreien und (außerhalb des Krawallmodus Sport) flüsterleisen Bayern-Stromers jedenfalls nicht. Egal, wenn es dazu dient, der Stammklientel die Brücke in die E-Mobilität zu bauen, soll es recht sein.

Kompromissline unterm Propeller

Die Nase, sprich die lange Haube, verrät dann aber noch mehr über die Kompromisslinie, die die Marke mit dem Propeller im Emblem seit dem Führungswechsel von Krüger auf Zipse mit bajuwarischem Dickschädel durchzieht: Der i4 basiert auf dem 4er-Grand Coupé und den gibt es eben auch weiterhin mit hochmotorisierten Verbrennereinheiten. Die E-Maschine bräuchte das nicht unbedingt. Beim M50 ergänzt ein Frontmotor, der etwas angeberisch unter der gleichen protzigen Verschalung wie beim Verbrenner platziert ist, das Heckantriebsset des 250 kW-Motors und ist damit identisch dem des ungleich uneleganteren Elektro-SUV iX. 400 kW Systemleistung stehen also zur Verfügung und statt der ohnehin üppigen 430 Nm Drehomoment des Hecktrieblers satte 795 Nm, Werte, die einem 12-Tonner-Lastwagen zur Ehre gereichen.

Lange Haube -  für den Sechszylinder

Doch zurück zum Nasenfaktor: Die lang gestreckte Haube, die auch den am Mittleren Ring weiter hochgehaltenen Reihensechszylindern Platz bieten muss, sorgt dafür, dass es hinten eher knapp zugeht für ein fast 4,80 langes Mittelklasse-Mobil. Im Vergleich zu einem immer wieder referenzierten, luftigen und geräumigen Tesla Model 3, dem der i4 das Revier streitig machen will, geht es sogar eng zu. Vor allem im Fond fehlt es an Bein-, Knie- und Kopfraum, das Entern durch den schmalen Einstieg mit den hohen Schwellern erfordert Gelenkigkeit und den Mittelplatz, der von einem hohen "Kardantunnel" durchzogen wird, will man allenfalls Kindern auf Kurzstrecke zumuten. Zudem erhöht der Akku den Boden etwas, sodass man mit kurzer Beinauflage mehr "hockt" als "sitzt". Positiv ausgedrückt: Der i4 passt wie ein gut geschnittener Anzug, eher "Slim Fit"-Sorte. Aber es heißt ja nicht umsonst "Coupé". Das "Grand" könnte man allerdings streichen, da reißt der Hersteller die Klappe etwas weit auf.

Heckklappe als Vorteil zum Tesla

Apropos Klappe: Einen Vorteil - neben der deutlich besseren Verarbeitung und Materialqualität natürlich - gegenüber dem kalifornischen Rivalen führt der i4 ins Feld - die weit aufschwingende Heckklappe. Die sorgt dafür, dass man ein Rennrad mit schmalem Lenker nach Klappen der Sitze und Entfernen der Abdeckungen auch mit Sattel einigermaßen durch den nicht sonderlich breiten Raum zwischen den Radkästen bugsiert. Formal fasst der Kofferraum anständige 470 Liter, maximal 1.290 Liter, wobei das Model 3 den Bayern abledert mit 561 Litern im Heck. Und einen Frunk, beim Tesla nochmal brauchbare 88 Liter Extra unter der viel kürzeren Flachhaube, sucht man beim i4 natürlich auch vergebens. Immerhin darf der i4 1.600 Kilo Anhängelast ziehen, wo schon die "Nutzlast" auf 375 Kilo schrumpft.

Immerhin: Preisparität zum Verbrenner

Alles Nachteile, die das Multiantriebskonzept mit sich bringt, die die kosten- und margenbewussten Münchner aber einstweilen in Kauf nehmen. Schließlich verkaufen sich auch die Verbrennermodelle des 4er-Grand Coupé weiter wie geschnitten Brot, gerade auch als M-Version mit Reihensechszylinder, die als M440iXDrive (275 kW, 500 Nm, 48-Volt-Mildhybrid) mit um gut 70.000 Euro Brutto ziemlich exakt auf dem Niveau des Stromers liegt. Hier herrscht immerhin Preisparität. Einen Grund, den Verbrenner zu nehmen, gibt es für die im Zweifel ziemlich solvente BMW-Kundschaft allerdings nicht. Man versteht nicht wirklich, warum auf den Bändern von BMW noch so viele Krawalllimousinen mit Fossilantrieb zu finden sind. Eine Art irrationale Torschlusspanik, weil die Klimakrise uns eigentlich zum sofortigen Stopp des Verbrennerfahrens gemahnt und man die Gelegenheit noch mal nutzen will?

BMW-Gene vom Feinsten: Top Handling, tolle Performance

Denn, und damit zur Sahneseite des i4 M50, Performance und Fahrspaß im Strom-Bayern ist über jeden Zweifel erhaben. Nicht, dass das im verstauten mobilen Alltag irgendwie relevant wäre, es ist eher von akademischem Wert für Technikfetischisten: Aber der i40 M50 zieht dem Verbrennerpendant mit 3,9 Sekunden auf 100 km/h zu 4,7 Sekunden beim M440iXDrive rasent die Lederhosen aus. Beim Zwischenspurt kommt man kaum nach mit Stoppuhr-Drücken, in jeweils anderthalb Sekunden schnappt der Strom-Schnelle von 50 auf 80 oder 80 auf 120 km/h, wenn es denn sein muss - und kann. Kann es halt selten, weswegen auch der BMW, wie übrigens zahlreiche neue Stromboliden, das Schicksal eines "rollenden Konjunktivs" teilt und ähnlich wirkt wie ein Bodybuilder, der vor lauter Kraft kaum noch gehen kann.

Der Bolide beherrscht auch die sanfte Tour

Ist die Strecke mal einigermaßen frei, macht aber auch das flotte Cruisen definitiv viel "Freude am Fahren". Eine knackige Lenkung legt einem die gewogene 2.360 Kilo schwere E-Limousine perfekt und organisch in die Hand, der durch den 81 kWh-Akku tiefe Schwerpunkt sorgt erst recht für satte Straßenlage, der Bayer pappt förmlich auf der Piste und man surft durch die Kurven auf einem Niveau wie es sonst allenfalls ein Model 3, Porsche Taycan oder Audi e-tron GT erreicht. Allenfalls auf engen Landstraßen und bei voller Auslastung merkt man, dass man hier einen 2,7-Tonner pilotiert und der Wagen wirkt ein wenig träge, mit seiner Masse.

Dabei geht trotz der 20-Zöller-Wagenräder noch nicht mal der Komfort flöten, denn der i4 M50 federt anständig, die Karosse wirkt extrem verwindungssteif, Kanaldeckel oder Bodenwellen werden ordentlich verarbeitet, selbst im Sportmodus. Der Eco-Pro-Modus sorgt für milderen Antritt von der Ampel, im Stadtverkehr dringend angezeigt, wo übrigens der große Wendekreis stört - ein weiteres Erbteil vom Verbrenner. Auch in "Eco" sorgt ein fester Tritt auf's Fahrpedal aber für enormen Schub. In "Sport" schaltet der M50 dann auf Krawall, aktiviert ein ausgefeiltes Boller-Sound-Programm, wie der dezentere Klang in "comfort" composed by Hans Zimmer und steht auch akustisch den Verbrennern kaum nach. Wie heißt es in Bayern so schön: Für den, der's mag, ist es das Höchste ...
 

Auch als Reiselimousine geeignet

Nötig ist es nicht, denn gerade die wahlweise sanfte Art dieses bayerischen "Dr. Jekyll & Mr. Hyde" imponiert. Flüsterleise und dank Akustikverglasung bestens gedämmt, fast möchte man sagen, gekapselt, schnürt man mit Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn dahin, bemerkt dann allerdings, dass die maximale Reichweitenangabe von 520 Kilometern doch etwas optimistisch ist. Überhaupt scheinen die 544 Pferde ihren Tribut zu fordern, wobei die 23,8 kWh/100 km nach Ladeverlusten und 21,4 kWh/100 km im Betrieb noch in Ordnung gehen. So stehen nach 158 Kilometern über die VM-Runde noch 58 Prozent Akku zur Verfügung, die Reichweitenanzeige prognostiziert gute 350 Kilometer, vielleicht würde man mühsam an die 400 Kilometer heranreichen.

Richtig sparsam ist er nicht

So richtig sparsam ist der Powerstromer also nicht, auch im Stadtbetrieb sinkt der Verbrauch kaum mal unter 20 kWh/100 km, mit unseren 30 Zwangsstopps lagen wir bei 21,4 kWh/100 km nach Bordcomputer. Selbst der stramme, falls gewünscht fein individualisierbare Reku-Modus mit bequemem Einpedal-Fahren, per Schalthebel nach links aktiviert, reißt es da nicht heraus. Immerhin bekommt man vom System angezeigt, wie viel Energie zurückgespeist wurde. Überland kommt man dann mit 17,8 kWh/100 km klar, auf der abschließenden BAB-Etappe mit 23,1 kWh/100 km nach Bordrechner.

Eine weitere Langstrecke im Mixbetrieb Stadt, Land, Autobahn inklusive obligatem Stau ergab auch kein besseres Bild: Nach 305 Kilometern verblieben noch 35 Kilometer oder 10 Prozent Energie im Akku, als die Anzeige zum Laden gemahnte. Die weiteren Strecken der Kollegen, meist im Autobahn- und Landstraßenbetrieb ergaben nach 875 Kilometern 25,7 kWh/100 samt Ladeverlusten, da ist definitiv noch Luft nach oben respektive unten. Feststeht: In Sachen Effizienz hält das eine ganze Ecke sparsamere Model 3 Performance den Jäger aus Bayern jedenfalls (noch) auf Distanz. Wobei wir gespannt sind auf den Test des bisherigen Basis-Bayern i4 xDrive40, der im Oktober anrollt.

Flotter Lader: Mit 205 kW geht's zur Sache

Dafür wird recht flott geladen: An der CCS-Säule erlaubt der Bordlader bis zu 205 kW, in AC an unserer Verlagssäule geht es mit 11 kW zeitgemäß zur Sache. Wobei der Bayer ein bisschen ein Blender ist. Zwar legt er am 300-kW-EnBW-Lader mit 205 kW mächtig los, fällt nach einer Minute aber schon wieder stark ab und hatte nach einer halben Stunde gerade einmal 75 Prozent der Speicher befüllt, im Schnitt mit gut 100 kW Leistung. Anderthalb Stunden hätte es bis 100 Prozent gedauert. Eine weitere Ladung bei Allego brachte die Speicher dann in einer Stunde von 20 auf 100 Prozent, genug für einen Spaziergang mit integrierter Brotzeit.

Trotzdem: Das können die Koreaner von Kia oder Hyundai mit 800-Volt-System, ein Tesla oder ein Porsche Taycan besser. Angenehm bei alledem: Im Display werden graphisch eindeutig und hübsch exakt die Infos geliefert, die es braucht: Ladetempo, Akkustand, Reichweite und vor allem eine sehr exakt hochgerechnete Finalzeit für den Ladevorgang. Ein weiterer Kompromiss der Multiantriebsstrategie: Der "Ladestutzen" sitzt eher unpraktisch hinten beifahrerseitig am Heck.

Kernkompetenz: Automatisiertes Fahren

Eine weitere Sahneseite des i4 ist das Thema "automatisiertes Fahren". Der sogenannte "Assisted Drive"-Modus agiert in Sachen Spurführung und Abstandshalten so wohl dosiert und cool, wie man es sich wünscht, wo andere Systeme noch eckig und unharmonisch vorgehen. Allenfalls das automatische Wiederanfahren für Stadt- und Stauverkehr oder beim "vorausschauenden" Fahren auf Landstraßen legt der Roboter vielleicht ein etwas zu flottes Gebaren an den Tag. Defensiver Fahrstil ist jedenfalls anders. Aber der Robo hört ja auch auf den Namen "M". Die Bedienung ist dabei wie generell im BMW ziemlich selbsterklärend mit den gut greifbaren Tasten am Lenkrad zu absolvieren. Feinjustieren lässt sich eigentlich fast alles im Subsubmenü, etwa die automatische Übernahme von Tempolimits oder die Hysterese desselben.

Gute Grundbedienung, wahlweise viel Schnick-Schnack

Eigentlich hat man eh schon alles auf dem "Schirm" im Zentralinstrument, aber das hübsche "curved display" liefert wahlweise noch über Dutzende von Apps Informationen und Dienste, die man nicht unbedingt braucht für die "Freude am Fahren". Auch die Redundanz eines Dreh-Drück-Stellers zusätzlich zum Touchscreen erschließt sich nicht wirklich und wirkt atavistisch. Wichtiger wäre, dass man auch die Lüftung intuitiv bedienen könnte, statt immer ins Screen-Menü eintauchen zu müssen. Aber man kann es ja mal mit der Sprachbedienung versuchen, die BMW ebenfalls schon auf ein hohes Niveau erzogen hat.

VM-Fazit:

So bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass es BMW eigentlich nicht mehr nötig hätte, Verbrenner zu bauen, wo sie selbst ohne die letzte Überzeugung derart gute Stromer auf die Räder stellen. Wie gut wäre eine E-Limousine vom Petuelring erst, wenn sie als reines E-Konzept in Sachen Energie- und Raumeffizienz weiter zulegen könnte, bei der Leistung dafür eher etwas abrüsten würde? Und wenn man sich in den Chefetagen des Vierzylinder-Hochhauses nicht dazu verstiegen hätte, als ersten reinrassigen Stromer (nach dem i3) den klobigen iX als 2,7-Tonnen-Koloss der Fünf-auf-Zwei-Meter-Klasse vom Strom-Stapel zu lassen.

Dem hat das "Multitalent" i4 noch etwas voraus: Ein "normales" Cockpit von gewohnt sportiver Eleganz und hoher Materialgüte ohne pseudofuturistischen Barock-Bombast. So etwas Kluges wie ein "i3 reloaded" als Limousine, das wär's ... Wer nicht warten will, verzichtet auf das große "M", nimmt die brutto 11.600 Euro günstigere, zudem 165 Kilo leichtere Basis i4 eDrive40 für 59.200 Euro und ist etwa 3 kWh/100 km sparsamer, dafür 75 Kilometer weiter unterwegs. Noch sparsamer soll dann die avisierte neue Basis des i4 namens eDrive35 sein, die aber mit einem kleineren Akku zu 66 kWh auskommen muss und offiziell 490 Kilometer weit kommt bei 16 bis 20 kWh/100 km Verbrauch. So oder so: Bei beiden ist man mit dem 210-kW-Heckmotor immer noch sehr flott und in einem gut geschnittenen Münchner Anzug unterwegs. Muss ja nicht der Rennanzug sein.

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