VM-Report: Der ganz normale Bahn-Sinn - wehe, wer sein Bike befördert!

Vor dem Start des Neun-Euro-Tickets hinterlässt der Konzern keinen guten Eindruck, bei einem Selbstversuch mit Bahn & Bike. Zum kompletten Ausfall des seit langem gebuchten Zugs kommen Kommunikationsdefizite, Bürokratismus und bizzarre Pseudodigitalisierung mit Nachrichten aus einem Geisterzug.

Wie Feuer und Wasser: Wer in Deutschland multimodal und umweltfreundlich per Bahn & Bike reisen will, sollte Nerven haben wie Oberleitungen. Wir wurden unsanft und unter Androhung der Polizei wieder aus dem Zug entfernt. | Foto: J. Reichel
Wie Feuer und Wasser: Wer in Deutschland multimodal und umweltfreundlich per Bahn & Bike reisen will, sollte Nerven haben wie Oberleitungen. Wir wurden unsanft und unter Androhung der Polizei wieder aus dem Zug entfernt. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Eines vorneweg: Wir wollen die Bahn lieben! Wir wollen umweltfreundlich unterwegs sein! Und selbstverständlich fahren wir nach einer 9er-Gruppen-Radtour gen Strassburg und Karlsruhe per Bahn zurück: Klimaneutral hin, klimaneutral retour. So ist das Prinzip. Aber nach diesem Trip grummelt es in der Gruppe grantig: "Das nächste mal mieten wir einen Transporter!". Mit dem Claim "Unverschämt" wirbt ausgerechnet ein Festival vor dem Karlsruher Bahnhof an diesem Sonntag am Ende des langen Himmelfahrtswochenendes. Das trifft es ziemlich genau. Doch der Reihe nach.

Der sogenannte DB-Reisebegleiter hatte uns zwar per E-Mail gewarnt, dass die "Reiseverbindung nicht mehr möglich ist". Allerdings spulte in einem offenbar völlig unvernetzten, digitalen Paralelluniversum die DB Navigator App ihr Programm stur ab: Ihre Reise steht an, machen Sie sich bereit, etc. pp. man wähnt sich in trügerischer Sicherheit, auch wenn einem nach schon vielen Frusttouren per Bahn & Bike Übles schwant. Der Plan war simpel und gut: IC1299, 16:06 Karlsruhe HBF nach München HBF, ohne Umsteigen mit ein halbes Jahr vorreservierten Fahrradplätzen, wie bequem ist das denn?! Oder besser wäre ...

Denn der Zug fällt einfach aus, wie uns dann auch am Infoschalter die vor dem Hintergrund des dräuenden "Neun-Euro-Chaos" noch recht freundliche Dame eröffnet. Wie, Zug fällt aus? Komplett?! Und warum? Weil: BAUSTELLE! Viel mehr Information gibt es nicht. Man möge sich zwecks Alternativen an das Reisezentrum wenden. Oder noch schnell zum 15:06-IC gen Stuttgart eilen, ob man etwa mitfahren könne. Hoffnung keimt auf, und die stirbt bei Bahn&Bike-Reisen stets zuletzt.

Bitte alles wieder aussteigen! Sonst kommt die Polizei!

Gesagt getan: Tatsächlich erreichen wir in einer gewaltigen Passagierkarawane den von Gleis 13 auf Gleis 10 verlegten IC gen Stuttgart, verteilen die Räder sozialverträglich auf den ganzen, gut besetzten, aber bei weitem nicht überfüllten Express, sodass niemand im Weg steht. Ein einziger offizieller Radslot in dem Doppelstockzug ist in unserer Nähe, auf dessen Revier auch noch ein Kinderwagen Platz finden muss. Wir hoffen und warten, dass es endlich losgeht. Schließlich haben wir teure Tickets gebucht, nur halt nicht für diesen IC. Doch dann kommt die junge Schaffnerin, selbst Rennradlerin, und bittet uns ziemlich zerknirscht ob ihres Hiob-Jobs, wieder auszusteigen. Sie müsse sonst leider die Polizei holen und uns aus dem Zug entfernen lassen. Warum kann das eigentlich eine gestandene Zugbegleiterin so etwas im offenbar streng hierarchisch organisierten "Top-Bottom"-Konzern nicht situativ und nach eigenem Ermessen entscheiden, fragen wir uns.

Die Fahrgäste werden gegeneinander ausgespielt

Auch der Vorschlag, wir könnten die Räder zerlegen und so in ein Gepäckstück verwandeln, verfängt nicht. Sie hatte Anweisung, offenbar aus der Zentrale aus Köln. Was da für ein Apparatschik in Köln hockt, der solche Anweisungen erteilt. Wenn die offiziellen und traurigen paar Radplätze belegt sind, haben die anderen halt Pech gehabt. In bizarrer "Umkehr der Beweislast" sind auf einmal wir die "Bösewichte" und Radlrambos, die uns in einen Zug drängeln und die mit dem Einsatz der Ordnungshüter bedroht werden. Kein bisschen entgegenkommender und fahrgastfreundlicher Pragmatismus, stattdessen betonharter Bürokratismus vom Amt für Schienenbeförderung. Was am meisten aufstößt: Die einen Fahrgäste (mit Radtickets) werden gegen die anderen ausgespielt (die mit dem verspäteten Zug endlich losfahren wollen).

Frustriert: Das nächste mal doch einen Transporter?!

Frustriert verlässt man Zug und Bahnsteig. Und ist drauf und dran beim Sixt einen Transporter zu mieten. Ein letzter Versuch noch: Leider ist die Recherche eher unerfreulich - alle Radplätze in den IC-Verbindungen sind laut Auskunft besetzt. Als einzige Möglichkeit wirft uns die selbst ziemlich zerknirschte Dame am Desk, einen schienenmäßigen Hindernislauf entlang der nicht radreservierungspflichtigen Regionalbahnverbindungen: Vier Züge, drei mal Umsteigen, von Karlsruhe nach München, sechs Stunden statt drei Stunden Fahrzeit, da fährt man ja von München nach Hamburg. Dazu knallvolle Regionalzüge, angesäuerte Mitreisende, das "Leben in vollen Zügen" genießen, fällt da wirklich schwer. 

In Stuttgart angelandet und aus dem quetschvollen IRE befreit, überrascht uns ein nicht in der Navigator-App gelisteter IC nach München um 18:14. Vielleicht hat der doch noch Radplätze, auch wenn das von Karlsruhe aus verneint wurde. In der Tat, das Radabteil ist leer, der Zugführer kündigt trotz der inständigen Bitte, doch noch auf den Rest der Truppe zu warten, aber gleich barsch an, er fahre pünktlich los. Die Beine in die Hand genommen und aus dem bereits geenterten MEX19479 gestiegen. Gesprintet durch den ob der Baustelle, die wir im Laufen scherzhaft "Stuttgart 2057" taufen, chronisch chaotischen Stuttgarter Hauptbahnhof von Gleis 13 auf Gleis 5. Wo wir noch die Rückleuchten des doch tatsächlich rigoros und überpünktlich ausgerückten IC sehen. Die scheinen uns hämisch anzuzwinkern. Vollsprint zurück in den TEX-MEX-Express - und wieder um eine Frustration reicher.

Wie bei Harry Potter auf Gleis Neundreiviertel

Bizarrerweise läuft unsere Navigator-App derweil weiter, hatte uns freundlich an Bord des "Phantomzugs" IC1299, eine gute Fahrt gewünscht, die Echtzeitverfolgung aktiviert, forderte zum Komfort-Check-In auf, etc.pp. Man kommt sich vor wie auf "Gleis Neundreiviertel" bei Harry Potter. Ob das "Neun-Euro-Ticket" unter diesen Umständen eine so gute Idee ist, daran zweifeln offenbar auch die Mitarbeiter selbst, die nur abwinken, wenn man den Begriff erwähnt und sich in Galgenhumor flüchten. Das gut gemeinte Angebot könnte die Bahn zum falschen Zeitpunkt und auf dem falschen Fuß erwischen.

Unterdessen erhalten wir den Hinweis vom DB-Navigator, ob wir unsere Fahrt im IC1299 bewerten wollen. Unterirdisch, würden wir die "Chronik eines angekündigten Zuges" klassifizieren. Und ja, auch das: Unverschämt! Die Bahn ist nach jahrzehntelangem Sparkurs und Straßenpriorisierung in einem bemitleidenswerten Zustand, unflexibel, unvernetzt, untauglich. Wenn schon planerisches Chaos herrscht und die aufgelaufenen Baustellen einen flüssigen Ablauf verhindern, wofür wir alles Verständnis haben, dann müsste im Zug wenigstens Pragmatismus und Flexibilität angesagt sein. Denken wir uns, als wir sechs Stunden später doch noch in München stranden. Dabei wollen wir sie doch so lieben. Und die DB signalisiert nur brüsk: Ihr könnt uns mal gern haben!

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