VM-Interview Niu-CEO Yan Li: Auch ein Autoland kann man für Mikromobilität begeistern

Der CEO des chinesischen E-Scooter-Pioniers NIU Technologies Yan Li ist überzeugt, dass man mit guten Produkten auch einen auf's Auto fokussierten Markt wie Deutschland knacken kann. Er glaubt: Scooter verändern die Mobilität grundlegend. Weil sie unschlagbar energie- und raumeffizient sind.

Leichte Roller für die Stadt: Scooter und Kickscooter mit E-Antrieb könnten die urbane Mobilität revolutionieren. Im Bild: IFA-Neuheiten von NIU, die nur knapp zwölf Kilo wiegen, 700 Watt Leistung bieten und 50 Kilometer weit reichen sollen. | Foto: Niu
Leichte Roller für die Stadt: Scooter und Kickscooter mit E-Antrieb könnten die urbane Mobilität revolutionieren. Im Bild: IFA-Neuheiten von NIU, die nur knapp zwölf Kilo wiegen, 700 Watt Leistung bieten und 50 Kilometer weit reichen sollen. | Foto: Niu
Johannes Reichel

VM: Deutschland als Autoland ist ein schwieriges Terrain für eine größere Verbreitung von E-Rollern/E-Scootern. Wie wollen Sie mit Niu hier vorankommen?

Yan Li: Die deutsche Automobilgeschichte ist ikonisch. Unser Engagement in Deutschland sehen wir deshalb eher als eine Chance, denn als Wettbewerb. NIU will mit seinen Produkten das bestehende Mobilitäts-Ökosystem ergänzen, indem wir agile, kostengünstige und umweltfreundliche Alternativen anbieten. Deutschland war der erste internationale Markt, den NIU 2016 für sich erschlossen hat, und er ist heute unser größter in Europa. Aus Deutschland stammen rund 50 Prozent aller NIU-Nutzer in Europa.

Das ist ein klarer Beweis dafür, dass man mit einem herausragenden Produktangebot, Konsumenten selbst in einem Autoland wie Deutschland für Mikro-Mobilität und entsprechende Transportmittel begeistern kann.

VM: Welche Rolle können E-Roller für die Mobilitätswende in den Städten spielen? Wie schätzen Sie das Potenzial von E-Tretrollern ein?

Yan Li: E-Scooter und E-Mopeds verändern die urbane Mobilität grundlegend. Sie sind perfekte Verkehrsmittel für Kurzstrecken oder sogar für die "letzte Meile", wenn E-Roller als Bindeglied zu den öffentlichen Verkehrsmitteln eingesetzt werden.

Durch die Kombination dieser Verkehrsmittel können Pendler in der Stadt Staus vermeiden und Zeit sparen – so wird aus einer einstündigen Autofahrt ein entspannter 20-Minuten-Trip. Da immer mehr Menschen vom Auto auf E-Scooter/E-Mopeds umsteigen, werden die Verkehrsstaus weniger und Straßen-Ressourcen frei. Der elektrische Antrieb verringert den Kohlenstoff-Fußabdruck des täglichen Pendelns im Vergleich zu benzinbetriebenen Fahrzeugen deutlich.

Noch interessanter ist der Vergleich zwischen E-Scooters/Mopeds und Elektroautos, denn sie sind  achtmal energieeffizienter. Das heißt mit 1 kWh elektrischer Energie legt man mit ihnen im Vergleich zu Elektroautos die 8-fache Wegstrecke zurück.

Und schließlich macht das Fahren mit E-Scootern/Motorrädern auch noch richtig Spaß, sodass das lästige tägliche Pendeln zu einem unterhaltsamen Ausflug wird.

VM: Sehen Sie das größere Potenzial im privaten Besitz eines E-Rollers oder in Sharing-Systemen?

Yan Li: Die Zukunft der E-Mobilität ist vielfältig, und wir bei NIU stellen uns darauf ein. Der Privatbesitz bietet den Komfort, immer einen Roller zur Verfügung zu haben. Auf der anderen Seite bieten Sharing-Angebote, wie die unserer Partner Emmy und Suwag Energy in Deutschland, mehr Flexibilität durch den Einsatz auf Abruf. Wir arbeiten auch mit Dance in Berlin zusammen, das ein Abo-Modell und somit einen Mittelweg zwischen Privatbesitz und Sharing anbietet. Ein weiterer NIU-Partner ist Grover, Anbieter eines Mietmodells, das noch mehr Flexibilität für Verbraucher bringt.

VM: Immer mehr Anbieter drängen auf den Markt. Wie will sich NIU dabei abgrenzen, wo sehen Sie die Alleinstellungsmerkmale, was macht einen Niu aus?

Yan Li: NIU-Produkte bestechen durch herausragende Design- und Technologielösungen, die es uns ermöglicht haben, eine Produktpalette zu entwickeln, die den gesamten Bedarf urbaner Mobilität abdeckt. Wir sind der einzige Anbieter urbaner Mobilität, der gleich für zwei Produkte mit allen wichtigen Designpreisen ausgezeichnet wurde (Red Dot, iF, Good Design, IDEA, DFA, Golden Pin, Red Stern). Unser neuestes Produkt (aktuell nur in China verfügbar), das kompakte Elektromotorrad SQi, gewann sogar die Red Dot Design-Auszeichnung.

Was Technologie anbelangt, haben wir die Kategorie der intelligenten Mopeds mit Lithium-Ionen-Batterien geschaffen. Außerdem hat NIU die Entwicklung des intelligenten Internet of Things (IoT) weiter vorangetrieben, etwa durch vollständig vernetzte E-Mopeds, einen komplett schlüssellosen Betrieb und optimierte Antriebssysteme für mehr Geschwindigkeit und Reichweite.

Unterstützt durch unser hervorragendes Design und unsere technologischen Fähigkeiten bieten wir eine breite Produktpalette für jeden Bedarf - vom E-Kickscootern über E-Bikes und E-Mopeds bis hin zu E-Motorrädern. Das macht uns zu einem der wenigen echten Full-Range-Anbieter für Mobilität.

VM: Neben der Anschaffung spielen auch Service & Wartung in Deutschland eine große Rolle. Wie ist NIU hier aufgestellt?

Yan Li: Wir haben in Deutschland ein robustes und gut ausgebautes Netz von Servicezentren, mit über 200 Einzelhandelsgeschäften und After-Sales-Points in 100 Städten. Wir wollen das Kundenerlebnis mit NIU-Produkten so problemlos wie möglich machen – vom Kauf bis hin zum Kundensupport nach dem Erwerb.

VM: E-Scooter statt E-Auto: Auch in Firmenflotten spielen Roller kaum eine Rolle. Wie sieht es hier von Seiten NIU aus und gibt es auch Leasing-Angebote?

Yan Li: Wir suchen aktiv nach Partnerschaften mit Unternehmen, um E-Mopeds zu einer praktikablen Option für Unternehmensflotten zu machen. Wir arbeiten auch mit Partnern zusammen, die Business-Leasing-Optionen anbieten, die auf die Bedürfnisse von Unternehmen zugeschnitten sind. In diesen Märkten sehen wir ein großes Potenzial.

VM: Außer der reinen Nutzung spielen auch die Haltbarkeit, Produktion und das Recycling einen wichtigen Part für die Nachhaltigkeit eines Produkts. Wie wird das bei NIU berücksichtigt?

Yan Li: Nachhaltigkeit ist das Kernstück der NIU-Mission. Von der Produktion bis zum Recycling halten wir uns an umweltfreundliche Praktiken. Unsere Roller sind auf Langlebigkeit ausgelegt, und wir forschen an Möglichkeiten, sie noch besser recycelbar zu machen. Übrigens haben unsere Nutzer bislang weltweit 20 Milliarden Kilometer auf NIU-Produkten zurückgelegt, was einer Reduzierung der Kohlendioxidemissionen um 4,8 Millionen Tonnen entspricht, wäre diese Strecke mit Benzinautos zurückgelegt worden.

VM: Wie sind die weiteren Pläne von NIU in Sachen leichter E-Mobilität? Könnte es auch in Deutschland Pedelecs, E-Lastenräder oder E-Trikes der Marke geben – oder vielleicht irgendwann sogar ein L7e-Fahrzeug?

Yan Li: Wir forschen an einer Reihe leichter E-Mobilitätslösungen. Ich kann zwar nicht alles verraten, aber wir haben definitiv einige spannende Projekte in der Pipeline. Gerade haben wir auf der IFA in Berlin unsere neuesten Kick-Scooter, den NIU KQi Air X und KQi Air, vorgestellt.

Diese Leichtgewichte bestehen aus Karbonfaser, wiegen nur 11,7 kg und haben eine Reichweite von etwa 50 km - ein echter Wendepunkt für das Pendeln in der Stadt.

VM: Wo liegen technologisch noch die größten Potenziale – oder ist der E-Scooter bereits so gut wie „ausentwickelt“?

Yan Li: E-Mopeds und E-Scooter haben zwar einen langen Weg hinter sich, aber es gibt noch viel Raum für Innovationen.

In Europa sind aktuell weniger als 10 Prozent der verkauften Mopeds/Motorräder elektrisch.

Wir sehen Innovationspotenzial bei Batterie- und Antriebstechnologien für höhere Geschwindigkeiten, größere Reichweiten, geringeres Gewicht und niedrigere Kosten. Außerdem werden intelligente Funktionen oder sogar autonome Fahrfunktionen, die die Sicherheit des Fahrers und den Nutzungskomfort in Zukunft weiter verbessern. Um die Entwicklung in diesen Bereichen voranzutreiben, setzen wir auf interne Forschung und Entwicklung, arbeiten aber auch mit Industriepartnern zusammen.