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VM-Interview EIT Urban Mobility: "Wir brauchen ein radikal neues Paradigma für urbane Mobilität"

Judith O'Meara ist Director of Innovation Hub Central bei EIT Urban Mobility in München. Im Gespräch mit VM erklärt sie, warum sie an die Kraft der EU und "Fit for 55" glaubt, wie man akademische in unternehmerische Exzellenz umsetzt, weshalb es ein neues Paradigma für urbane Mobilität braucht und wie man Ökonomie und Ökologie vereint.

Feiner Zug: Die Lösung von PANTOhealth zielt darauf ab, die Instandhaltung der Züge zu optimieren, was wiederum zu einer Verringerung der Emissionen und zur Einsparung natürlicher Ressourcen führt und den bescheidenen Anteil der Bahn von 8 % am europäischen Personenverkehr erhöht. | Foto: EIT
Feiner Zug: Die Lösung von PANTOhealth zielt darauf ab, die Instandhaltung der Züge zu optimieren, was wiederum zu einer Verringerung der Emissionen und zur Einsparung natürlicher Ressourcen führt und den bescheidenen Anteil der Bahn von 8 % am europäischen Personenverkehr erhöht. | Foto: EIT
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Johannes Reichel

VM: Welche Rolle spielt EIT Urban Mobility für die nachhaltige (urbane) Mobilität in Europa?

Judith O'Meara: EIT Urban Mobility, ein Instrument des Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT), ist die größte europäische Innovationsgemeinschaft für urbane Mobilität in Städten. Seit Januar 2019 arbeiten wir daran, die Art und Weise, wie sich Menschen in Städten bewegen, positiv zu verändern, um sie lebenswerter zu machen. Als solche arbeiten wir gemeinsam an Verkehrsstrategien und Mobilitätsplänen auf EU-, nationaler und lokaler Ebene mit dem Ziel, einen positiven Einfluss auf die Umwelt und die Lebensqualität zu nehmen.

Angesichts der enormen Geschwindigkeit und des Umfangs, die für den Übergang zu einer nachhaltigen städtischen Mobilität erforderlich sind, kann keine Organisation allein innovativ sein. Was in Europa fehlt, ist nicht so sehr die Exzellenz in der Forschung, sondern die Umsetzung dieser Exzellenz in Unternehmertum, innovative Lösungen und neue Unternehmen. So ermöglichen wir den Partnern in unserer Gemeinschaft, den Übergang zu einem dekarbonisierten städtischen Verkehrssystem zu beschleunigen.

  • Erstens bringen wir Organisationen aus Industrie, Forschung, Hochschulen und dem öffentlichen Sektor zusammen und vernetzen sie, um neue Lösungen zu entwickeln, die zu Verhaltensänderungen führen.
  • Zweitens bringen wir Talente in die Wirtschaft, indem wir die nächste Generation von Unternehmern und Innovatoren im Bereich der urbanen Mobilität durch Hochschulabschlüsse und Kurse für Fachleute ausbilden und ansprechen.
  • Drittens bringen wir Innovationen auf den Markt, indem wir marktreife Lösungen in Städten in ganz Europa einführen und erproben, da sie oft nur langsam angenommen werden.
  • Und schließlich unterstützen wir Startups und investieren in sie, um sie zur Marktreife zu bringen. (Übrigens wurden wir von Dealroom als die Nummer 1 der Investoren im Mobilitätssektor in Europa im Jahr 2023 anerkannt, da wir in 127 der vielversprechendsten Startups aus 29 Ländern investiert haben, von denen 43 % von Frauen geführt werden. 

VM: Gibt es herausragende Erfolge oder Projekte, die sich bereits am Markt etabliert haben?

JM: Seit 2020 hat EIT Urban Mobility mehr als 140 Innovationsprojekte unterstützt, und über 100 neue Lösungen wurden auf den Markt gebracht. Ein herausragendes Beispiel aus Deutschland ist ein Projekt für digitale Lieferzonen in Stuttgart, das darauf abzielt, mit Hilfe von Technologie den gewerblichen Verkehr effizienter zu steuern, um der wachsenden Zahl von Gütertransportfahrzeugen in der Stadt Rechnung zu tragen. Es wurde die Plattform „Smart Loading Zones“ entwickelt, die es Lieferdienstleistern ermöglicht, die Parkbedingungen in Echtzeit zu überprüfen. Sie lieferte auch wertvolle Erkenntnisse für andere deutsche Städte, die mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen haben, wie Berlin, Hamburg, München und Bonn.

Dies ist die Art von Erfolg, die das EIT Urban Mobility anstrebt, wobei die Projektergebnisse für einen städteübergreifenden Austausch genutzt werden können und in Zukunft einen Standard für die weitere Vorgehensweise bilden werden.

VM: Was ist mit der Individualmobilität?

JM: Eine weitere Lösung kommt von dem französischen Startup Karos Mobility. Karos Mobility revolutioniert die Bildung von Carpooling für den täglichen Arbeitsweg. Das ist ein wichtiges Thema, vor allem weil Carpooling in Deutschland noch nicht sehr verbreitet ist. Das Startup hat eine in der spanischen Stadt Vitoria-Gasteiz getestete App entwickelt, die Fahrer mit Mitfahrern, die in die gleiche Richtung fahren, zusammenbringt. Diese Initiative bietet eine nachhaltige Lösung für ländliche und vorstädtische Gebiete, in denen das Fahren mit dem eigenen Auto oft die einzige Lösung zu sein scheint.

Bis heute hat die App mehr als 8 Millionen Fahrten ermöglicht, was zu einer erheblichen Reduzierung der CO2-Emissionen geführt hat. Seit dem Start des Unternehmens in Frankreich im Jahr 2014 hat Karos Mobility in andere Länder expandiert, darunter auch nach Deutschland, wo es unter der Marke goFLUX operiert.

VM: Welche aktuellen Projekte in Deutschland ragen heraus?

JM. Ein interessantes Beispiel für ein laufendes Projekt in Deutschland sind die Mikromobilitätsnetzlösungen (MiGriS: Micromobility Grid Solutions) unter der Leitung der Technischen Universität Berlin. Das derzeitige Problem ist die fehlende Standardisierung von Batteriepacks und die Schwierigkeiten bei deren Ausbau und Austausch. Die vorgeschlagene Lösung ist die Einführung integrierbarer Batterie- und Fahrzeugstationen sowie modularer und kreisförmiger Batteriesysteme.

Sie zielen darauf ab, die Mobilitätsoptionen für unterversorgte Gemeinden, z. B. in halb-ländlichen und ländlichen Regionen, zu verbessern.

Die ersten Tests werden in Berlin stattfinden, um die betriebliche Machbarkeit zu gewährleisten, während die Pilotprojekte mit der Stadt Antalya (Türkei) und der Stadt Dugopolje (Kroatien) darauf abzielen, die Skalierbarkeit und kommerzielle Machbarkeit mit unterschiedlichen Testszenarien und Nutzergruppen zu demonstrieren. Darüber hinaus werden Crashkurse zur Batteriereparatur und Fahrzeugwartung sowie ein Tool für künstliche Realität entwickelt

VM: Was ist bei EIT Mobility wichtiger: Die finanzielle Unterstützung oder der Zugang zum Netzwerk?

JM: Wir bieten unseren Partnern beide, sowohl finanzielle Unterstützung als auch Zugang zu unserem europäischen Netzwerk. Erstens bieten wir gezielte finanzielle Unterstützung durch unsere verschiedenen Aufforderungen zur Einreichung (Calls for Proposal) von Vorschlägen zu den Prioritäten der städtischen Mobilität. Im Laufe des Jahres veröffentlichen wir mehrere Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen, um die Erprobung neuer Lösungen zu unterstützen, die kurz vor der Markteinführung stehen. Einige dieser Aufforderungen richten sich speziell an KMU oder Startups. 

Alle unsere Aufforderungen zielen darauf ab, Lösungen für die Mobilitätsherausforderungen zu finden, mit denen unsere Städte täglich konfrontiert sind. Seit 2020 wurden 250 Pilotprojekte in mehr als 110 europäischen Städten durchgeführt.

Zweitens bietet unser Netzwerk unschätzbare Möglichkeiten für die Zusammenarbeit, den Wissensaustausch und den Zugang zu Fachwissen zwischen Unternehmen, Hochschulen und Städten – die Essenz dessen, was wir das „Wissensdreieck“ nennen.

Von 49 Gründungspartnern ist unsere Gemeinschaft auf über 250 Partner angewachsen, und wir arbeiten mit einem größeren Ökosystem von mehr als 950 Akteuren zusammen. Was uns von anderen Programmen unterscheidet, ist unser Ansatz, bei dem sich alle vier Sektoren aktiv an unseren Aktivitäten beteiligen. Diese Kombination aus gezielter Finanzierung und einem starken Netzwerk zeichnet uns aus und steigert den Wert, den wir unseren Partnern bieten.

VM: Welche Kriterien muss ein Startup erfüllen, um mit in die Förderung aufgenommen zu werden und wie wird das überprüft?

JM: EIT Urban Mobility widmet sich der Beschleunigung des Wandels hin zu einem nachhaltigen urbanen Mobilitätsmix, indem wir impact-getriebene Startups unterstützen, hauptsächlich in der früh- bzw. pre-Seed / Seed Phasen. Wir suchen Teams mit einem Fokus auf innovative Lösungen, die die Nachhaltigkeit, Effektivität, Sicherheit und Inklusivität des Mobilitäts- und Transportsektors verbessern. Dies geschieht durch strategische Investitionen, maßgeschneiderte Unterstützungsprogramme und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Startups, Industrieakteuren und Städten. Darüber hinaus legen wir einen starken Schwerpunkt auf Vielfalt und suchen diverse Teams mit ergänzenden Fähigkeiten und einem klaren Fokus auf Nachhaltigkeit.

Unser Auswahlprozess umfasst in der Regel zwei Stufen: zunächst eine Online-Bewertung basierend auf dem Pitch-Deck und relevanten Fragen, gefolgt von einem Investition-Komitees, das aus einer Gruppe interner und externer Experten besteht, die ein breites Spektrum an Fachwissen aus der Industrie und dem Risikokapitalbereich mitbringen.

Beide Stufen beinhalten einen gründlichen Due-Diligence-Prozess, um vielfältige Teams mit unterschiedlichen Perspektiven und Fachkenntnissen zu identifizieren, um sicherzustellen, dass unterstützte Startups gut gerüstet sind, um die vielschichtigen Herausforderungen der urbanen Mobilität anzugehen und in den von ihnen bedienten Bereichen bedeutende Auswirkungen zu erzielen.

Seit der Gründung von EIT Urban Mobility haben wir mehr als 350 Startups unterstützt und in 127 aus 29 Ländern investiert, wobei ca. 44% unserer Teams divers geführt sind. In Deutschland arbeiten wir eng mit führenden Startup-Zentren wie UnternehmerTUM und Plug & Play Germany zusammen.

VM: Sie haben sehr viel mit Innovationen und Start-ups zu tun. Dennoch liegen die CO2-Emissionen auch in der EU auf Rekordniveau, die Investitionen in Öl- und Gasindustrie sind nach wie vor mit Abstand die höchsten und nach dem russischen Angriff auf die Ukraine incentivieren viele Staaten fossile Kraftstoffe. Was macht Sie trotzdem hoffnungsvoll, dass es EU-weit klappt mit „Fit for 55“?

JM: Es ist zwar unbestreitbar, dass die CO2-Emissionen in der EU ein besorgniserregendes Niveau erreicht haben, und es gibt anhaltende Herausforderungen wie fortgesetzte Investitionen in fossile Brennstoffe und geopolitische Spannungen, die sich auf die Energiepolitik auswirken. Aber es gibt zwingende Gründe, weiterhin auf die Wirksamkeit der „Fit for 55“-Initiativen in der EU zu hoffen.

  • Erstens ist es wichtig, das Engagement der EU für den Klimaschutz anzuerkennen. Der „Fit for 55“-Rahmen setzt ehrgeizige Ziele, darunter eine Reduzierung der Emissionen um 55 % bis 2023 und die Entschlossenheit, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 % zu senken. Diese Ziele unterstreichen die Entschlossenheit der EU, einen nachhaltigen Weg zu beschreiten.

Um dies zu erreichen, müssen wir ein neues Paradigma annehmen, das eine radikale Veränderung der Art und Weise beinhaltet, wie wir uns in den Städten bewegen und leben.

  • Es gibt bereits viele innovative Lösungen für eine nachhaltige urbane Mobilität, die sich jedoch oft nur langsam durchsetzen. Die Rolle des EIT Urban Mobility als Europas führendes Netzwerk für Verkehrsinnovationen in Städten besteht darin, die Akzeptanz zu fördern und diesen Wandel zu beschleunigen.

VM: Ökonomie und Ökologie müssen sich ja nicht widersprechen, oder?

JM: Investitionen in nachhaltige Mobilität sind nicht nur ein Umweltgebot, es muss auch wirtschaftlich sinnvoll sein. Jüngste Studien, wie unsere Analyse zu Kosten und Nutzen des Mobilitätswandels in der Stadt, zeigen, dass Städte, die der nachhaltigen Mobilität in der Stadt Vorrang einräumen, von erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen profitieren können, mit potenziellen Nettogewinnen von bis zu 128 € pro Bürger und Jahr.

Dies unterstreicht das Potenzial grüner Initiativen, die sowohl den ökologischen als auch den wirtschaftlichen Fortschritt fördern.

Darüber hinaus unterstützen zahlreiche EU-, nationale und regionale Programme diesen Übergang aktiv durch Investitionen in Forschung, Innovation und Technologieentwicklung. Diese Initiativen sind von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, die Einführung nachhaltiger Praktiken in verschiedenen Sektoren – vom Verkehr bis zur Energieerzeugung – zu beschleunigen.

Der Grundstein für eine nachhaltigere Zukunft wird bereits durch konkrete Projekte und Initiativen gelegt.

Die gesamte Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT) steht beispielsweise an der Spitze der Innovationsbemühungen in Schlüsselbereichen wie Klima, Energie, digitaler Wandel und Fertigung. Und schließlich investieren wir in die Fähigkeiten der neuen Generation im Bereich der Nachhaltigkeit.

VM: Sie sind in verschiedenen Städten Europas präsent mit EIT Urban Mobility. Gibt es eine spezielle „Münchner Mischung“ oder lokale/nationale Schwerpunkte bei den Geschäftsmodellen, die neu entstehen?

JM: München ist zweifellos die Heimat eines außerordentlich lebendigen Ökosystems, das Innovationen im Bereich der urbanen Mobilität vorantreibt und fördert. Im Zentrum steht die LHM die eng mit lokalen und regionalen Akteuren aus dem sogenannten „Wissensdreieck“ verbunden sind, nämlich den Universitäten (Technische Universität München und Hochschule München), Unternehmen und Startups, die gemeinsam die Stadt bei der Erprobung innovativer Mobilitätslösungen unterstützen.

Viele dieser Akteure sind auch Gründungsmitglieder von EIT Urban Mobility und wir beabsichtigen, diese Kooperationen auch im Rahmen einer national geförderten Initiative, dem MCube Cluster zu nutzen. Die besten Lösungen für spezifische städtische Herausforderungen kommen jedoch nicht immer aus der Region, sondern oft auch von unseren europäischen Partnern. 

Je nach Art der Herausforderung können Lösungen, die beispielsweise in der Schweiz oder in Finnland entwickelt wurden, gut für München geeignet sein, während Lösungen, die in München erprobt wurden, sehr gut für Städte in Italien oder den Niederlanden geeignet sein können.

In den letzten fünf Jahren haben wir ein starkes Portfolio von Mobilitätslösungen entwickelt, die in ganz Europa erprobt wurden, von Straßenexperimenten bis hin zu autonomen Fahrzeugen. Das maßgeschneiderte Matchmaking mit anderen europäischen Ökosystemen ist zu einem echten Markenzeichen unserer Organisation geworden.  Das macht uns zu einem wertvollen Partner, wenn es um regionale und nationale Diskussionen über Mobilitätsstrategien geht. Wir werden uns in diesem Jahr besonders darum bemühen, unsere Beziehungen zu wichtigen Akteuren und politischen Entscheidungsträgern auf Länder- und Bundesebene zu vertiefen.

Auch auf der IAA MOBILITY konnt man etwas über die Aktivitäten von EIT Urban Mobility erfahren. 

JM: Letztes Jahr hat EIT Urban Mobility sehr aktiv an der IAA teilgenommen, dem internationalen Treffpunkt für die Mobilität der Zukunft, der Anfang September 2023 in München stattfindet. Wir organisierten eine Paneldiskussion über die Umweltauswirkungen von Batterien in der Mobilität unserer Städte, zusammen mit relevanten Stakeholdern zu diesem Thema von SWM / MVG (Stadtwerke München), EIT InnoEnergy und dem Startup Circu Li-ion S.A.

Darüber hinaus nahmen wir auch an einer Sitzung über Mobilitätsdatenplattformen teil, zusammen mit wichtigen deutschen Experten und Fachleuten aus diesem Bereich von Organisationen wie Mobility Data Space, Stadt München, T-Systems und dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Wir freuen uns auf die Teilnahme an der IAA 2025, die uns erneut eine großartige Gelegenheit bietet, unsere innovativen Lösungen für die Zukunft der Mobilität zu präsentieren.

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