VM-Fahrbericht Tesla Model S Plaid: Very fast Food!
Die Zeit ist knapp und der Tag ist dunkel: Das midnight-silverne Model S hebt sich an diesem grauen Tag kaum vom ebenso grauen Tesla-Gebäude in Parsdorf ab, wohin uns Tesla für erste Fahreindrücke einlud. Bevor das Fahrzeug wieder verladen wird, bleiben uns 45 Minuten für Testfahrten, aaaber: Vorher bitte noch laden, denn mit den verbliebenen sieben Prozent Akkustand werden wir die 1.020 PS kaum lange auskosten können, doch die Supercharger stünden gleich ums Eck – interessanterweise nicht bei Tesla selbst, sondern gegenüber hinter den typischen US-Schnellrestaurants und einer italienischen Pizzakette.
Wir quälen uns mit dem kantigen Yoke-Lenkrad an die Ladesäule: Für enge Kreisel und das Rangieren auf europäischen Parkplätzen ist das eckige Volant eher ungünstig(st). Denn sobald man Umgreifen muss, wird es kantig – im Wortsinn…doch das Laden geht fix: Schon nach 11 Minuten haben wir den Akkustand von sieben auf 33 Prozent erhoben und können los – und wie!
Topspeed 322 km/h – winterreifenbedingt regelt das Model S bei Tacho 266 Km/h ab
Autobahnauffahrt Parsdorf - durchladen - und wir könnten theoretisch mit gut 200 km/h einscheren. Für die USA noch wichtiger: Die Viertelmeile würde das Model S in 9,23 Sekunden mit dann 250 km/h Endgeschwindigkeit absolvieren. Oder (mit Anrollen) in 2,1 Sekunden auf 100 km/h sprinten. Wobei Letzteres interessanter ist als Ersteres: Denn ab 100 km/h schicken die drei E-Maschinen alle 1020 Pferde an die Räder und lassen das Model S auch jenseits der 100, 150, 200 km/h immer weiterstürmen – erst bei 266 km/h wird der elektronische Zügel gezogen – der Winterreifen wegen. Im Sommer könnte man bis 322 km/h weiterstürmen…
Das Fahrverhalten: Viel straffer und verbindlicher als im Model X
Auffällig ist dabei, dass das Model S hier deutlich straffer und verbindlicher Auftritt als das Model X, mit dem wir zuvor die A94 gen Osten stürmten. Die Lenkung straff, die Stopper verbindlich – die Limousine gibt sich hier deutlich verbindlicher als das SUV. Solange man über die Autobahn fliegt kommt man mit dem Yoke-Lenkrad gut zurecht: Blinkertasten und Lautstärkeregler links, Wischwasch, Hupe und Tempomat rechts, zweimal gedrückt wird Letzterer zum „Autopiloten“. Der seinen Job gut macht und warnt, sobald man zu lange auf der Seitenlinie fährt, die Geschwindigkeitsbeschränkungen aber weitgehend ignoriert. Der „Plaid“ ist ja auch nicht zum rumtrödeln gemacht…aber trotzdem effizient: Am Ende zeigt er trotz unserer Eskapaden und kaltem Wetter 29 kWh/100 km an, mit etwas Getrödel sind auch Werte um 23 kWh/100 km drin, im Sommer könnte man ihn sicher noch weiter herunterbummeln.
Nach WLTP bis zu 600 km Reichweite
Die Reichweite gibt Tesla nach WLTP mit 600 km an, was bei einem errechneten 113-kWh-Akku wie beim Model X einen Durchschnittsverbrauch von extrem günstigen 18,9 kWh/100 ergäbe. Kurzer Exkurs zum Akku: Ingineerix hat ein Video auf Youtube hochgeladen, in dem ein Fachmann den geöffneten Akku eines Unfallwagens erklärte. Der entsteht nach wie vor gemeinsam mit Panasonic wie uns auch der Tesla-Pressesprecher erklärt und er besteht aus zylindrischen 18650-Zellen (18 Millimeter Durchmesser, 65 mm lang). Jedes Modul setzt sich aus 22 Zellen in Längs- und 72 Zellen in Querrichtung zusammen, wobei längs hier bedeutet: In Fahrtrichtung, von vorne nach hinten. Die 22 Zellen sind hintereinander (seriell) geschaltet, die 72 Zellen parallel, was man intern mit 22S72P abkürzt. Insgesamt besteht der Akku aus fünf solchen Modulen, von denen jedes 1.584 Zellen enthält – insgesamt also 7.920 Zellen für die ganze Batterie.
22 Zellen mal fünf Module ergibt 110 Zellen; diese sind hintereinander in Reihe geschaltet. Damit addiert sich die Spannung - parallel geschaltete Akkus erhöhen die Speicherkapazität. Die einst kolportierte Speicherkapazität von etwa 99 kWh muss unseren Erfahrungen nach aber höher liegen, die Nennspannung soll bei etwa 450 Volt liegen. Laut Ingineerix nutzt Tesla den gleichen Grundaufbau wie bei Model 3 und Y (die allerdings 2170-Zellen verwenden), auch das Batterie-Management-System soll identisch sein – was Sinn macht, da Tesla immer auch extrem auf die Optimierung der Produktion bedacht ist. Was aber dazu führte, dass der aktuelle Akku im Model S und X ganz anders aufgebaut ist als bei den Vorgängermodellen. Es bleibt bei der 400-Volt-Architektur, weshalb die Ladeleistung mit bis zu 250 kW am V3-Supercharger als sehr hoch gelten darf.
Haptik und Optik sind besser, aber erreichen nicht Oberklasseniveau
Diese Hausaufgaben hat Tesla also gemacht, ebenso gab man sich bei der Haptik und Verarbeitung Mühe, wenngleich man nach wie vor merklichen Respektabstand zum BMW i7, Lucid Air oder Mercedes-Benz EQS hält – zu den Deutschen auch in der Größe. Womit indirekt auch der stärkste einheimische Gegenspieler des Model S genannt wäre, der ebenfalls mit (optional) vierstelliger Leistung und extremer Effizienz auf unter vier Meter Länge punktet.
Man kann jetzt streiten, ob man das Model S in die obere Mittel- oder Oberklasse sortiert – aber es bleibt mit seinem optisch reduzierten und komplett neuen Interieur auf jeden Fall die technoide Alternative im Segment. Mit genug Platz für vier (solange die vorn Sitzenden ihren Sitz nicht ganz nach unten fahren – dann wird es für die Füße der Fondinsassen eng) samt Gepäck. Auch beim Model S hat Tesla das Soundsystem und das (jetzt aktive) Noise-Cancelling optimiert – und dem Model S seinen einst etwas ruppigen Charakter ausgetrieben. Tatsächlich gleitet man auch jenseits der 120 km/h fast lautlos dahin, mühelos sowieso.
Das Yoke-Lenkrad ist in Europa ein „bad joke“
Nach wie vor liegen uns zu viele Bedienelemente auf dem Zentralscreen und das Yoke-Lenkrad ist in Europa eher als „bad joke“ zu sehen – wirkt zwar ultracool, macht den Fahrer aber in jedem Kreisverkehr „ludicrous“ – was Elon Musk so sicher nicht gemeint hatte. Weshalb wir, wenn wir die Wahl hätten, ein klassisches rundes Lenkrad mit zwei ebenso klassischen Lenkstockhebeln vorziehen würden. Der Federungskomfort geht in Ordnung, wenngleich das Model S auf kurze Autobahnwellen und fiese Querschwellen immer noch hölzerner reagiert als die Luxuskonkurrenz. Doch mit der grundsätzlich straffen, aber nicht unkomfortablen Auslegung kann man gut leben.
Die Preise starten ab 137.990 Euro brutto, das sind 115.958 Euro netto – oder ab 1076 Euro netto monatlich, sofern man 23.727 Euro anzahlt und über die vier Jahre nicht mehr als 10.000 km monatlich fährt. Zum Abschluss noch schnell ein paar Fotos an den Schnellladern hinter den Schnellimbissen und wir sind – dank der einigermaßen freien Autobahn – tatsächlich in der vereinbarten Zeitspanne zurück!
Was bedeutet das?
Das Facelift tat dem Model S in vielerlei Hinsicht gut und wir begrüßen es, dass Tesla der Versuchung widerstand, seinen „Klassiker“ und das Fahrzeug seines Durchbruchs komplett neu aufzulegen. Wirklich „ludicrous“ im Wortsinn: Die aberwitzige Leistung und völlig verschlimmbesserte Bedienung.
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