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VM-Fahrbericht Sono Sion: Das Fairphone auf Rädern reicht jetzt weiter

SEV statt SUV: Das Münchener Start-up will beweisen, dass nachhaltige Automobilität möglich ist. Und muss dafür unzählige Hürden überwinden. Die Folgen der Pandemie torpedierten den Zeitplan: 2023 soll das "inoffizielle Auto für eine bessere Welt" jetzt starten, mit größerem LFP-Akku und schnellerem CCS-Lader, wie die Vorbesteller wünschten. Erste Fahreindrücke mit dem "Fairphone" auf Rädern.

Der Sonne entgegen: VM-Redakteur Reichel staunte nicht schlecht, dass die Solarpanele des Sion sogar im Scheinwerferlicht der Halle Energie aufsammeln, ganz zu schweigen vom gleißenden Tageslicht vor der Zenith-Halle in München. | Foto: Sono
Der Sonne entgegen: VM-Redakteur Reichel staunte nicht schlecht, dass die Solarpanele des Sion sogar im Scheinwerferlicht der Halle Energie aufsammeln, ganz zu schweigen vom gleißenden Tageslicht vor der Zenith-Halle in München. | Foto: Sono
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Johannes Reichel

Gut Ding will Weile haben, sagt das Sprichwort – und im Falle des Sono Sion darf man das ganz wörtlich nehmen: Denn um den Beweis zu erbringen, dass es auch „gute“ Automobile für eine bessere Welt gibt, braucht es nicht nur Geld, sondern es dauert auch seine Zeit. Die das 2016 gegründete Start-up aus München in einem Plan mit „brutalstmöglicher“ Transparenz online und fast in Echtzeit darstellt wie wohl selten einer der so geheimnisverliebten Automobilhersteller zuvor. „Roadmap until SOP“, heißt das Werk, fast „Hollywood-reif“, Zeitplan bis Produktionsstart. Sono will eben anders sein: Dem unseligen SUV-Trend stellt man den SEV (Solar Electric Vehicle) entgegen. Und das kostet Zeit: Bis etwa die Lieferkette sichergestellt ist und man weiß, das Kobalt aus dem Kongo ist unter fairen Bedingungen gewonnen.

Neuer Akku: Ohne kritische Rohstoffe, mit mehr Reichweite

Oder noch besser: Bis man - gemeinsam mit dem Akku-Partner - eine Batterie entwickelt hat, die gleich ganz darauf verzichtet. Die Lithium-Eisenphosphat-Technologie (LFP) des jüngst präsentierten größeren Akkus mit 54 kWh Kapazität gilt als eine der sichersten Batterien auf dem Markt bei gleichzeitigem vollständigen Verzicht auf Kobalt, Mangan und Nickel. Getüftelt hat man auch, bis der Lebenszyklus auf 3.000 Ladevorgänge oder 900.000 Kilometer verlängert war und die Batteriesicherheit im Bezug auf Brennbarkeit verbessert war.

Konsequent nachhaltig: CO2-freie Produktion im alten Saab-Werk

Oder bis man einen Produktionspartner wie NEVS findet, der wirklich CO2-freie Herstellung von jährlich geplant 43.000 Expemplaren des Sion realisieren kann. Vorbildlich nicht in einem neuen Werk, sondern in der „Bestandsimmobilie“ von Saab in Trollhättan. Wo bekommt man all die Komponenten her, die als nüchtern-zweckmäßige „carry over“-Parts den Preis von 25.500 Euro halten sollen: Das reicht von den Schaltern und Hebeln aus dem PSA-Sortiment, über den Akku, den ElringKlinger paketiert, bis hin zum Motor und Antrieb, den man von Conti-Tochter Vitesco bezieht und der auch im Opel Corsa-e und quer durch den PSA-Konzern (nicht übertrieben effiziente) Antriebsdienste leistet.
 

Mehr als ein Auto: Sharing with Friends on board

Oder bis man die innovative Solartechnologie auf der Karosserie soweit hat, dass sie nicht nur effizient ist mit derzeit 21 Prozent Wirkungsgrad, sondern auch nach der erwartungsgemäß längeren Nutzungspanne eines (Elektro)Automobillebens fast komplett recyclierbar ist. Oder bis man eine App programmiert hat, die den nahtlosen Zugang zum Fahrzeug zur Not auch ohne Mobilfunknetz, das „barrierefreie“, sprich komfortable Sharing unter den Käufern und sogar das Ride-Sharing unter den Nutzern ermöglicht. Oder bis man das „Power Sharing“, bidirektionales Laden (11 kW AC, 3,7 kW Schuko) geschmeidig so geschmeidig umgesetzt hat, dass der Solar-Wagen zur Powerbank oder zum Pufferspeicher für das Netz mutiert. Oder wie man das Auto so gestaltet, dass es möglichst wenig Wartungsaufwand verursacht, von dem der Nutzer unter Anleitung vieles selbst erledigen kann.

Ambitionierte Ziele, tückische Umsetzung

Nur ein kleiner Katalog an Fragen, mit denen sich die Gründer von Sono Motors Laurin Hahn und Jona Christians herumschlagen. Und dann kam da ja auch noch dieses kleine fiese Virus, das die Serienentwicklung zum Erliegen brachte. Erst nach einer weiteren Finanzierungsrunde über 45 Millionen Euro Ende 2020 ging es endlich weiter. Allerdings müssen sich die 13.000 Vorbesteller nun bis zum 1. Halbjahr 2023 gedulden, bis sie ihr „Better Car“ in Empfang nehmen können.

Unterstützung von Ex-Konzern-Managern

Derzeit touren die Jungunternehmer, die sich viel automotive Erfahrung an Bord geholt haben, etwa mit Ex-Nissan-Deutschland-Chef und Sion-COO Thomas Hausch, Entwicklungschef Markus Volmer (früher Daimler/Foton), CFO Torsten Kiedel (Ex-BMW Bank, FreeNow) oder Produktleiter Johannes Bückle, der früher bei BMW-Tochter Drive Now wirkte, durch die Republik und stellen den Zwischenstand des SVC2 genannten Prototypen vor, der von Roding gefertigt wird – und dem Stand zwei Stufen vor Serie entspricht. Klar wirkt das alles noch etwas „roh“ und grob, gerade, was die Verarbeitung betrifft, das Interieur knarzt noch gewaltig in den Fugen, die Türen fallen krachend ins Schloss, die Integration der Solarpaneele in die Karosserie ist alles andere als glatt verfugt. Aber das wird alles noch, in einem Jahr werde der Sion deutlich reifer aussehen und anmuten, versprechen CTO Volmer und die beiden Gründer.

Community wünscht: Größeren Akku, schnellerer Lader!

Die gleich mal verkünden, dass der Sion dem Wunsch der eng in die Entwicklung eingebundenen „Community“ der Vorbesteller einen größeren Akku erhält. Die überwältigende Mehrheit von 90 Prozent sprach sich dafür aus. Und so sorgt jetzt der Brutto 54 kWh große LFP-Speicher statt dem vormalig vorgesehenen 35 kWh-Lithium-Ionen-Speicher im Unterboden für eine Reichweite von formal über 305 Kilometer. Dieser Radius ist ein „must have“ in der E-Auto-Szene, wenn man so will. Auch wenn die Gründer kritisch anmerken, dass sich dadurch neben dem Gewicht auch der CO2-Rucksack des Fahrzeugs erhöht: Von 2,7 auf 4,1 Tonnen CO2-Äqvivalent. Außerdem ergänzt man einen schnelleren CCS-Lader mit 75 kW Leistung, was die Reisetauglichkeit erhöhen soll. Im Alltag müssen die 11 kW des AC-Laders genügen. Damit sieht man sich gut aufgestellt, um auch 2023 noch im gerade massiv beschleunigten automobilen Elektrifizierungswettbewerb zu bestehen.

Rad nicht neu erfinden: E-Antrieb von Vitesco aus Opel Corsa-e

Die 120 kW Leistung des unter der kurzen Haube platzierten Vitesco-Synchronmotors dürfte aber Heute wie Morgen allemal genügen: Die Vorderräder kämpfen auf dem glatten Hallenboden schon mal um Halt, bis das ESP regelt. Die bisher moderate Rekuperation soll noch weiter zum „One-Pedal-Driving“ justiert werden, wie beim BWM i3, sinniert CTO Volmer. Ansonsten geht das alles schon jetzt in Ordnung: Passabler Federungskomfort, leiser Antrieb, recht kompakter, aber nicht sensationeller Wendekreis, gute Übersicht, ordentliche, per Hand zu verstellende Sitze, glasklare Ergonomie - das „rollt“ in die richtige Richtung.

Familientauglich: Ein Touran für Umweltbewusste

Doch zurück zum größeren Akku: Bei aller urbanen Motivation und dem leitenden Sharing-Gedanken, der Sion ist doch auch als „one and only“ Familienauto gedacht, mit seinem üppigen 650-Liter-Kofferraum und bequem Platz für Fünf, dem topfebenen Ladeboden bei geklappten Rücksitzen, der Anhängekupplung mit 750 kg ungebremster Zugfähigkeit. „Ein Touran für Umweltbewusste“, das soll der Sion sein, erklärt CTO Volmer. Wobei der Sion jetzt auch fast Touran-Format hat: Aufgrund eines geänderten Stoßfängers wuchs er von 4,29 auf satte 4,47 Meter in der Länge, bei 2,08 Meter Breite und 1,66 Meter Höhe (Touran: 4,52x2,08x1,66 m). Aber anders als beim Touran müssen Abstriche machen hinsichtlich der von der etablierten Konkurrenz so beliebten Individualisierungs- und Gimmickorgien, die für das Vertrieblern so liebe Zusatzgeschäft sorgen.

One and only: DER Sion verzichtet auf Extralisten

Der Sion ist wirklich DER Sion, es gibt in – noch krasser als bei Tesla, wo man ja mit Zusatzpaketen noch ganz gut hinlangt – in genau einer Version, in der alles enthalten ist, was die Entwickler für notwendig erachten. Hausch zitiert das Henry-Ford-Motto „Jede Farbe, solange es Schwarz ist“ und erklärt, wie sich mit voreingefärbten, Polymer-basierten Kunststoffen statt empfindlichem Blech, Stahlfelgen im Alu-Look und krasser Reduktion der Optionen auf null Skaleneffekte ergeben, die Komplexität reduzieren und so auch mit dem größeren Akku der Preis von 25.500 Euro halten lässt.

Lackiererei im Werk, Stahlpressen, überhaupt ein neues Werk, wie es viele E-Auto-Startups oder Hersteller erstmal auf die grüne Wiese stellen, das braucht man alles nicht. Das hochfeste Alu-Space-Frame-Chassis wird mit Kunststoffen beplankt, die auch nicht verbeulen können, ein Konzept auf das ja auch eGO Motion und Günther Schuh oder die Geely-Tochter LEVC beim TX und VN5 setzen.

Abstriche bei Design und Gestaltung: Aus der Not eine Tugend

Klar, das setzt Limits bei der Gestaltung und der Sion polarisiert mit seiner eigentlich ziemlich konsequenten Design-Verweigerung in einem Meer aus aufwändig modellierten Blechfalzen und LED-Leuchtbändern. Aber offenbar gibt es genug Pragmatiker, denen das Aussehen eines Autos ziemlich wurst ist – und das kastenartige „No-Design“ des Sion ist ja auch schon wieder ein Statement. Eigentlich ist alles an Bord, was man wirklich für ein gutes Fortkommen von A nach B benötigt. Automatisierte Fahrtechnologien mit aufwändiger und teurer Sensorik zählen nicht zu den Essentialia.

Zeitgemäße Konnektivität ist aber Pflicht

Mit im Universal-Paket sind dagegen: Zeitgemäße Konnektivität samt Funkmodem und zwei Screens, der mittige ein 10-Zoll-Infotainment mit Touchscreen, Software-Updates „over the Air“, eine bereits im Prototypenstadium geschmeidig funktionierende App samt Zugang zum Fahrzeug und Auswahl seines Sharing-Freundeskreises, eine dem Vernehmen nach klangstarke 6-Lautsprecher-Soundanlage, Klimaautomatik, serienmäßige V2G-Funktion, LED-Leuchten, den CCS-Lader und die luftreinigende Bordbemoosung.

Zweites Standbein: Solarpanele mit Fraunhofer entwickelt

Und nicht zuletzt die monokristallinen Solarpanele, die dank 1,2 kW maximaler Leistung bis zu maximal 245 Kilometer, im Jahresdurchschnitt 112 Kilometer pro Woche „aus der Luft“ greifen. Darüber informiert übrigens exakt eine Grafik im anständig auflösenden und zu bedienenden Infotainment – selbst die Hallenscheinwerfer liefern noch ein bisschen Extraenergie, draußen vor der Halle wird sichtlich ergiebig die Sommersonne angezapft. Die Solartechnologie, die man in Kooperation mit dem Fraunhofer ISI entwickelt und erprobt, soll auch gegen Vandalismus, Verschleiß und Alterung resistent sein.

Kooperationen mit MAN und EaseMile

Die Sparte wird im Übrigen immer mehr zum „zweiten Standbein“, wie Hausch anmerkt, die man mitterweile an Dritte in Lizenz vertreibe. Jüngst gab man etwa eine Zusammenarbeit mit MAN bekannt, dessen E-Van eTGE dadurch etwas reichweitenstärker wird und stattete den evTrailer ebenfalls bei MAN mit Solarpanelen aus. Oder an das Start-up EaseMile, bei dessen autonomem Elektro-Shuttle EZ10 man eng zusammenarbeitet in Sachen Energieversorgung.  

Kritik an Umweltprämie: Für ein Start-up nicht zu leisten

Wobei zur Preispolitik Gründer Hahn anmerkt, dass man sich als Start-up von der Umweltprämie benachteiligt sehe: Die Absicht, die Elektromobilität für alle erschwinglich zu machen, werde konterkariert von der Eigenbeteiligung an der Gesamtsumme, die man sich als Jungunternehmen nicht leisten könne. Wolle man also an staatlicher Incentivierung teilhaben, müsse man notgedrungen den Gesamtpreis um 3.000 Euro erhöhen, um 6.000 Euro Zuschuss zu erhalten. Förderpolitik absurd. In der Hinsicht hat sich das Unternehmen aber noch nicht festgelegt.

Nichtsdestotrotz sieht man den Sion 20 bis 90 Prozent günstiger als vergleichbare E-Autos etablierter Hersteller. 15 Prozent spart übrigens alleine der Online-Direktvertrieb, wie Hausch stolz anmerkt. Und sogar die Einnahmen aus dem CO2-Pooling hat man in die Kalkulation integriert.

Der Clou: Mit dem Sono Geld verdienen

Dass sich mit dem Sion Geld für den Nutzer verdienen lässt, das steht aber längst fest und ist Teil des Konzepts. „Uns ist bewusst, dass man ein Gut wie ein Auto nicht vorbehaltlos teilt“ erklärt Sharing-Experte Johannes Bückle. Daher habe man die Möglichkeit differenziert, erstmal engere Freunde und Familie zu integrieren oder die Kollegen in der Arbeit in den Kreis der Teilenden zu holen. Der Sono-App-Spezialist spricht von einem „Setup des Vertrauens“. In der Anwendung kann man wiederum festlegen, wer viel an Gebühr bezahlen soll, von der fixen Startgebühr bis zu den Kilometerkosten. „Und wenn die Tochter kostenfrei fahren soll, dann geht das natürlich auch“, meint Ex-BMW-Mann Bückle süffisant.

Weniger Autos! App für Sharing als zentrales Element

Das Prozedere ist denkbar einfach: Wenn das Fahrzeug nicht gebraucht wird, kann es für den jeweiligen Nutzerkreis freigeschaltet werden. Geöffnet und verschlossen wird wie üblich per App. Und das soll auch bei schlechtem Netz funktionieren, eine Erfahrung aus der Drive-Now-Zeit. Nun kann der Eigentümer auch sehen, ob der Nutzer das Fahrzeug etwa wieder an den Strom gehängt hat – und könnte das „incentivieren“. Das müsse alles einfach und leicht und aus einer Hand funktionieren, bis hin zu der Frage, wie die Versicherung erweitert werden muss oder ob man eine Zusatzversicherung bucht. Auch das übernehme man als Hersteller für den Kunden, so Johannes Bückle. Sodass dieser sich nur einmal fürs Sharing registrieren muss, und dann mit dem Autoteilen starten kann.

„Wir wollen die heute übliche Standzeit von Automobilen drastisch reduzieren und die Auslastung stark erhöhen. Das Stehzeug soll zum Fahrzeug werden“, reklamiert der Produktchef.

Ziel sei es letztlich auch, dadurch die Zahl der Autos in der Stadt zu senken. Da war sie wieder, die treibende Idee von der „besseren Welt“. So grenzt man sich übrigens auch von der Geely-Tochter Lynk & Co ab, die jüngst mit einem ähnlich gearteten Sharing-Konzept über ein Auto-Abo an den Start ging. Aber erstens sei das ein Vollformat-SUV der Luxus-Klasse. Und zweitens kein reines Elektroauto, merkt Bückles an. Trotzdem fände er den Ansatz gut und auch, wenn mehr Hersteller auf den Aspekt des Autoteilens abheben würden.

Andersartig: Stückzahl und Umsatz sind hier nachrangig

Anders als anderen Autoherstellern gehe es Sono auch nicht um bloße Stückzahl und Produktionsvolumen, versichern die Verantwortlichen. Klar, dem widerspricht schon die explizite Aufforderung, doch sein Auto „gefälligst“ zu teilen. Der Sion sei auch ein „Nutz-Fahrzeug“, ergänzt Hausch, und demgemäß so robust gestaltet, dass man es bereitwilliger aus der Hand gebe als jetzt etwa einen hochglänzenden Tesla.

Rasante Entwicklung im Markt: Alleinstellung auch noch 2023?

Ob das alles genügt, um auch im Jahr 2023 noch eine Alleinstellung im Markt zu haben? Thomas Hausch ist sich da ganz sicher. Man habe zahlreiche Patente auf das Fahrzeug angemeldet, von der Solartechnik, bis zur Bordelektronik und in dieser Mischung aus E-Antrieb, Solartechnologie, V2G-Fähigkeit, Sharing-Option, Platzangebot, Umweltbilanz zum günstigen Preis könne das derzeit und absehbar kein Wettbewerber liefern. Allerdings fließt bis 2023 auch noch reichlich Wasser die Isar und die schwedischen Flüsse herunter, die das Werk mit Ökostrom versorgen. Man darf weiter gespannt sein, wie das sympathische „Auto für eine bessere Welt“ den Weg in selbige findet.

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