VM-Fahrbericht Podbike Frikar: Vom Auto befreit!
Alles schon mal dagewesen, könnte man jetzt sagen. Und wem sagt man das! Der deutsche Repräsentant des norwegischen Start-ups Podbike Ralf Lewien ist ein Velomobilist und Liegeradfan seit langen Jahren und eignet unter anderem eine "Zigarre" aus tschechischer Provenienz, ein Katanga WAW - ein stromlinienförmiges Aerobike, das ursprünglich, wie die meisten Velomobile aus den Benelux-Staaten, hier aus Belgien stammt. Das einst für reine Rennzwecke designte, 2,86 Meter lange GKF/CFK-Vehikel verfügt in diesem Falle sogar über einen Bafang-Motor als Tretunterstützung, vor allem an Bergen sehr hilfreich, wie Lewien zu berichten weiß. Allerdings erfordert das Gekraxel in die Kapsel auch den ganzen "Velonauten", wie sich die Liebhaber der flachen Fahrräder nennen. Lewien pendelte damit früher häufig zu seinem Arbeitgeber BMW Motorrad vom südlich des Starnberger Sees bis in den Münchner Norden. Warum? Weil er beweisen wollte: Auch 50 Kilometer einfach sind per Bike und emissionsfrei machbar!
Doch das muss alles bequemer gehen - und vor allem preiswerter. "Velomobil reloaded", das war denn auch die Leitfrage für den norwegischen Ingenieur Per Hassel Sørensen, der das Konzept für das Frikar, norwegisch so viel bedeutend wie "Vom Auto befreit", entwickelt hat: "Wie kann man ein Velomobil so verbessern, dass es massentauglich wird?" Auf Basis einer Masterarbeit in Energietechnik diskutierte er die unterschiedlichen Designprinzipien. Schließlich trieb ihn die "anhaltende und eskalierende Klimakrise", wie er formuliert, an, zur Tat zu schreiten.
"Denn die Krise ist vor allem durch den übermäßigen Verbrauch fossiler Brennstoffe entstanden und Velomobile kommen ohne sie aus", erklärt er.
Autos verursachen Probleme, sie kosten mit ihren Diesel- und Benzinmotoren ein Vermögen im Betrieb. Sie produzieren giftige Emissionen und Treibhausgase und verbrauchen riesige Mengen an begrenzten Ressourcen. Fahrräder sind viel besser, sowohl für uns als auch für unsere Umwelt. Die Herausforderung bestand für Sørensen darin, mehr Menschen dazu zu bringen, das Fahrrad anstelle des Autos zu benutzen.
"Traditionelle Fahrräder gibt es seit über hundert Jahren, aber es fehlt ihnen an Wetterschutz und Hochgeschwindigkeitstauglichkeit und sie bieten keinerlei Schutz bei Stürzen. Elektrisch unterstützte Fahrräder, oder Pedelecs, mindern die Last des Tretens an steilen Hügeln oder bei starkem Gegenwind. Aber sie beheben weder das Problem des fehlenden Wetterschutzes, noch bieten sie irgendeinen Crash-Schutz", skizziert der Auto-Revoluzzer weiter.
Unter der Glasglocke: Feeling wie in der Pilotenkanzel
So viel zu seinem Antrieb. Nun zu seinem Ergebnis. Das steht als noch ungeschliffenes Vorserienmodell an einem kalten Januar-Nachmittag südlich des Starnberger Sees vor uns und man denkt spontan an "Top Gun" oder etwas weniger martialisch an das Cockpit eines Segelfliegers. Nach dem Hochklappen der großzügigen transpartenten Haube aus kratzfestem Polycarbonat erschließt sich das vierrädrige Chassis, das im Prinzip ein vierrädriges Liegerad mit Bodenplatte darstellt. Und auch wenn manches Detail noch hakelt und die zum Teil aus dem 3D-Drucker stammenden Karosserieteile noch knirschen und quietschen, die Dachhaube noch nicht so bündig abschließt, wie sie soll und an dem noch etwas filigranen Hebelwerk zur Öffnung noch ziemlich stark verwindet: Es wird sofort klar, in welche Richtung die Reise damit gehen soll.
Weniger wetterfeste Pendler werden sich schnell erwärmen für das "New Velomobil", das sogar über einen 160 Liter großen Kofferraum, wahlweise einen zweiten "Kindersitz" bis 22 Kilo Gewicht, eine (Weber)Anhängekupplung sowie eine Heizung samt Lüftung und Hepa-Filter und Teppichboden verfügt. Formal ist das Frikar 2300 mm lang, mit Spiegeln 839 mm breit und etwa 1100 mm hoch (Fahrhöhe). Man hat das Gefühl, in einem Sportwagen mit großen Fenstern zu sitzen. Einen Funfact erwähnt der Hersteller augenzwinkernd am Rande: Das Frikar ist 50 mm höher als ein Lamborghini Miura und 50 mm niedriger als ein Volkswagen XL1.
Tief liegt man über dem Asphalt
Die kleinen Spiegelchen lassen sich für Engstellen einklappen. Man nimmt ziemlich tief über dem Asphalt Platz, kann Sitzneigung, Pedalposition und Lenker schnell einstellen und blickt auf eine Tretkurbel, die per Riemen einen Generator antreibt, der die erzeugte Kraft wiederum an zwei baugleiche 250-Watt-E-Motoren, chinesische Industriemaschinen, weiterleitet. Ein sogenannter serieller Hybrid. So ist das Tretgefühl zwar ziemlich synthetisch, aber das soll bis zum Serienstart noch nach persönlichem Gusto definierbar sein. Ähnlich einer stufenlosen Enviolo-Schaltung soll der "Velonaut" die bevorzugte Tretfrequenz eingeben können und los geht die ruhige Fahrt.
Der Motor singt noch ein lautes Lied, soll aber bald wispern
Wobei: Der E-Motor heult noch ein ziemlich lautes Lied, das aber noch abgestellt werden soll. Auch die Quietschgeräusche der handgefertigten Karosserie sollen verschwinden, der Kunststoffsitz kann per optionaler Polsterung noch bequemer werden. Sodass der aussichtsreichen und ruhigen Fahrt unter der Plexiglasglocke nichts im Wege steht. Bisher ist das Gefährt als normales Pedelec konzipiert, die bis dato nur in der Kadenz, später natürlich auf die Intensität verstellbare Tretunterstützung geht also bis 25 km/h. Dank guter Aerodynamik soll es aber kein Problem sein, das Frikar bis weit über 30 km/h zu beschleunigen.
Bergab sind maximal 60 km/h drin, ab 50 km/h regelt der Antrieb per Rekuperation, die auch in hügeligem Terrain Energie zurück in den serienmäßig einen, wahlweise zwei, im Kofferraumboden platzierten, je fünf Kilo schweren 877-Wh-Akkus speist. Das reicht für Tretunterstützung auf 50 bis 80 Kilometern, bei zwei Akkus doppelte Distanz. Geladen werden die Speicher im Fahrzeug oder extern mit dem üblichen E-Bike-Ladegerät. Vorteil des seriellen Antriebs: Man kann man auch per Rückwärtskurbeln die Rekuperation jederzeit aktivieren, das schont die Bremsen.
Fahrwerktechnik nach automobilem Vorbild
Fahrstabil ist das Autorad allemal. Die Konstruktion mit Doppelquerlenkern vorne und massiven Achsaufhängungen hinten, kombiniert mit den 20-Zoll-Thermoplast/GFK-Rädern, die man auch vom E-Cargobike Citkar kennt, macht das 90 Kilo schwere Vehikel sehr spurtreu, das Frikar liegt wie das sprichwörtliche Brett und federt, vom Gerumpel aus der Rohkarosse abgesehen, eigentlich ganz ansprechend. Gelenkt wird wie bei Liegerädern üblich über zwei Hebel, die gleich einem Flugzeug auch wichtige Bedienelemente wie Blinker, Hupe (digitale Klingel!), Wahl der Kadenz oder Ein- Aus-Schalter enthalten. Als Zentralinstrument fungiert übrigens eine Handy-App, die auch das Tempo sowie sämtliche Fahrzeuginfos wie Akkustand, Kilometerleistung oder Beleuchtung in hübscher und klarer Optik anzeigt.
Aber sicher: Starke LED-Leuchten und Crashelemente
Auf letztere sind die Macher übrigens besonders stolz: Die LED-Lichtanlage verfügt über leistungsfähige Leuchten, die redundant ausgelegt sind, falls eine Stromquelle ausfällt, Blinker auf jeder Seite und natürlich Reflektoren. Apropos Sichtbarkeit: Wahlweise soll sie die Fahrzeughöhe als spätere Option von 1.100 auf 1.500 Millimeter anheben lassen, sodass man in der Stadt besser sieht. Und weil wir dabei sind: Auch Crashzonen und Elemente sind verbaut, sodass das Frikar dem Pedaleur eine gewisse Sicherheit auch hier bietet. Gebremst wird an den Hebelenden im Vorserientyp noch mit Tektro-MTB-Bremsen, vorn hydraulisch, hinten mechanisch, die gut zupacken und links auch als Feststellbremse fungieren. In der Serie sollen dann wohl vorn größter dimensionierte Stopper eines hiesigen Komponenten-Herstellers zum Einsatz kommen, die Lieferkette zu Tektro hakt ...
Up to date bleiben mit Updates over the Air
Natürlich darf eine zeitgemäße Konnektivität da nicht fehlen und so sollen sich via OTA-Update via Smartphone auf das Bike aufspielen lassen. Schon heute kann man übrigens in einem Online-Tool die CO2-Ersparnis mit dem Podbike errechnen lassen - und wie sich die Lebenserwartung erhöht. Und wenn wir schon bei den Optionen sind: Dem in der Basis mit 7.500 Euro nicht ganz billigen "Auto-Ersatz" darf natürlich nicht der Scheibenwischer fehlen, ebenso wenig wie wahlweise "Winterreifen" mit oder ohne Spikes, Scheibenheizung und - festhalten - einen Gurt! Mit Schwerpunkt Norwegen und dann Deutschland sollen die ersten "Autobefreier" noch in diesem Jahr zu einigen der 3.400 vorbestellenden Kunden rollen. Generell peilt man mal eine Stückzahl von bis zu 1.000 Exemplaren jährlich an. Und für Deutschland sondiert man aktuell den Vertrieb über die Edelbike-Schmiede Storck. Fehlt nur noch, dass man das hochwertige Gefährt als "Dienstwagen" im Leasing anbietet, was in der Tat viele der Kunden bei den ersten Vorführfahrten anregten. Modell "Jobrad" wäre denkbar, heißt es aus Norwegen. Dann ist man wirklich "vom Auto befreit", ohne auf eine Art "Auto" verzichten zu müssen.
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