VM-Fahrbericht Nio ET7: Auf Tausch-Station bei Sortimo

Es ist eine Wette auf die Zukunft: Laden oder Tauschen? Eine der ersten drei "Power Swap Stations" des ambitionierten chinesischen Herstellers steht im Sortimo Innovationspark. Dort kann man aber auch mit 300 kW am Kabel Strom ziehen. Allerdings nicht mit dem Nio ET7. Fasziniernde Swap-Technik, aber braucht's das?

Auf Tausch-Fahrt: Zum Start gibt es noch einen "Tausch-Wart", aber mittelfristig soll der Wechsel völlig automatisiert vonstatten gehen. | Foto: J. Reichel
Auf Tausch-Fahrt: Zum Start gibt es noch einen "Tausch-Wart", aber mittelfristig soll der Wechsel völlig automatisiert vonstatten gehen. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Das ist KEIN Fahrbericht des Nio ET7, sondern ein Tausch-Bericht. Ja, richtig gehört, der chinesische Hersteller geht eine mutige Wette auf die Zukunft ein und probiert, woran Betterplace und Renault vor knapp zehn Jahren schon gescheitert sind: Elektroautos mit Tausch-Akku salonfähig zu machen. Vielleicht war die Zeit noch nicht reif. Jetzt aber schon, glauben die Nio-Macher ganz fest und rattern wie im Schlaf alle Vorteile runter: Hohe Geschwindigkeit, simples Handling, kein Aussteigen im Regen, kein Hantieren mit schweren Kabeln, relativ mildes Laden der Akkus für ein langes Leben, Flexibilität je nach Einsatz, Update-Fähigkeit, wenn der Akku ins Alter kommt, Kontrolle über die "Akkkgesundheit" usw. usf. Man fragt sich spontan, wie die Leute eigentlich auf die Idee von Schnellladern kommen konnten, so überzeugt sind die Nio-Leute. Bis 2025 sollen quer durch Europa 120 solcher "Batterie-Hotels" entstehen.

Supercharger hielt man damals auch für Quatsch

Und die Macher verweisen auf den Erfolg in China: 1.200 von den auf "Fachchinesisch" Power Swap Stations sind bereits über das "Reich der Mitte" verteilt, die 220.000 Nio-Modelle bisher exklusiv versorgen, alle 60 Kilometer an Fernstraßen, heißt es. Man sei aber offen für andere OEMs versichert eine Verantwortliche, die im Übrigen früher bei Tesla gearbeitet hat und sich gut erinnert, wie man bei der Konkurrenz den Kopf schüttelte über die Kalifornier, ihr E-Auto und diese "gspinnerte" Idee mit den Superchargern. "Und? Wie ist es heute", fragt sie rhetorisch? Und man denkt die Antwort: Selbstverständlich.

Offen für weitere Innovationen im Innovationspark

Klar, das war genial vom "verrückten Visionär" Elon Musk, zum E-Auto gleich die Infrastruktur zu liefern. Aber die gibt es jetzt nun mal, in Form von immer mehr Ladestationen - und so etwas wie die Krönung der Lademöglichkeiten ist dieser Strompalast an der A8, den der Van-Ausbau-Spezialist unter der Ägide der weniger verrückten, aber umso mehr ökologisch umgetriebenen Geschäftsleitung um Reinhold Braun auf die "grüne Wiese", die tatsächlich rundum begrünt ist, gestellt hat. Klar, dass die innovationsfreudigen bayerischen Schwaben auch offen für die Akku-Tausch-Station von Nio waren und ein Separee dafür frei räumten am Rand der futuristischen Anlage, die mit 72 Ladeslots klotzt, übrigens auch eine Reihe Supercharger, deren Kunden derzeit aber gerne nach gegenüber kommen, weil das HPC-Laden hier nur 59 Cent kostet ...

Mittelspannung war hier an der vorhandenen Anlage natürlich kein Problem, 550 kW, die die Anlage braucht auch nicht. Sonst ist das wohl durchaus ein schwieriges Thema mit der Mittelspannung und überhaupt dem Stromnetz für Ladestationen in Deutschland, wie ein Swap-Verantwortlicher aus dem Nähkästchen plaudert. Immerhin: In China setzt man auch schon auf angeschlossene Solarpanele, die mit den Stationen kombiniert werden, ähnlich wie das EnBW oder Fastned bei ihren HPC-Anlagen praktizieren.

Laden oder nicht laden, sondern tauschen, das ist hier die Frage?

Wie auch immer, hier hat man den direkten Vergleich und als Fahrer eines Nio ET7 die Wahl: Laden oder nicht Laden, sondern "swapen", das ist hier die Frage - wie an den zwei bisher vorhandenen Tausch-Stationen in Berlin und Hilden bei Düsseldorf. Wir probieren heute natürlich letzteres aus, noch ist der Tausch im Testbetrieb kostenlos. Bald sollen zehn Euro pro Tauschvorgang sowie 20 Cent pro kWh Strom fällig werden, je nach Ladezustand des abgegebenen Akkus. Wobei sich unser Navi im Fahrzeug leider hoffnungslos aufgehängt hat und wir den eigentlich per Zieleingabe unter Ladeoptionen gebuchten "Swap-Slot" nicht nutzen können. Man könne zur Not auch manuell einschleifen, meint ein freundlicher Nio-Mann.

Egal, spannender ist ohnehin der Prozess von Außen. Und tatsächlich: In handgestoppten sechs Minuten wechselt die patentierte Mechanik im sogenannten "Batterie-Hotel", ein "Karton" in der Größe zweier Wechselbrücken, der 30 Akkus in verschiedenen Ladezuständen beherbergt, den Energiespeicher getauscht. Das Fahrzeug wird dazu präzise fixiert und seitlich gesichert, dann leicht angehoben und die Torx-ähnlichen Schrauben im Unterboden gelockert. Der Akku wird entnommen und rechts in einem "Pufferlager" gespeichert, der frische Akku nachgeschoben, Schrauben festgezoge, technisch "magisch" ist das schon. Und weiter geht die "wilde Fahrt", die beim ET7 mit seiner kommoden Art eher eine "milde" ist.

Nie zu hundert Prozent voll

Allerdings nie mit 100 Prozent, was uns dann doch etwas wundert. Schließlich wirbt der Hersteller damit, dass die Akkus im Hotel mit maximal 80 kW recht milde befüllt werden, sodass die Zellchemie ohnehin geschont wird. Dennoch: Auch wenn in der Nacht keine hohe Swap-Nachfrage zu erwarten ist, 100 Prozent gibt's hier nicht, sondern maximal 90 Prozent Ladestand. Begründung eins Nio-Experten: Die letzten zehn Prozent dauern besonders lange und belasten den Akku am meisten. Hm, mag ja sein, aber man tankt ja auch jetzt normalerweise "voll", wenn man schon mal an der Füllstation ist.

Außerdem zahlt man ja ungern zehn Euro für 90 Prozent. Zudem ist die Reichweite des ET7 mit 100 kWh-Akku zwar ganz in Ordnung, aber mit 400 realen Kilometern jetzt auch nicht so überbordend, dass man die Wechselstation lange nicht mehr sieht. Wir kamen bei unserer Tour von München-Nord bis Zusmarshausen und retour auf knapp 23 kWh/100 km im überwiegenden Autobahnbetrieb, moderat gefahren, was dem eher etwas behäbigen, mit der auch im Sportmodus eher diffusen, leicht vibrierenden Lenkung nicht sonderlich agil zu steuernden Wagen ohnehin mehr liegt.

Der hoch bauende Akku sorgt für hockende Sitzposition

Der Komfort-Modus mit moderater Beschleunigung passt denn auch am besten, im Sportmodus geht es strammer zur Sache, ohne die Sportivität eines Model S oder Audi e-tron auch nur annähernd zu erreichen. Besonders leise ist der Nio übrigens auch nicht, was Abroll- und Windgeräusche betrifft, wie unsere Co-Pilotin aus dem direkten Vergleich mit einem Mercedes EQE berichtet. Mit dem teilt sich der Nio immerhin die enge Ladeluke, wobei man beim ET7 nicht mal die Sitze, sondern nur eine schmale Luke für Langgut klappen kann. Das aber nur nebenbei. Wichtiger in dem Kontext: Das kastige Akku-Package im Unterboden sorgt dafür, dass der Boden innen eher hoch liegt und man wie im BMW i4 eine unangenehm hockende Sitzposition mit stärker angewinkelten Knien einnimmt, die allenfalls vom üppigen Beinraum gemildert wird. So gut "bebettet" wie im EQE ist man hier aber nicht. Vielleicht ein Kompromiss, den der "Einheitsakku" erfordert.

Kontrolle über den Akku-Zustand

So um die 100 Swaps pro Tag seien realistisch und von der Anlage her gut machbar, meint der Mann der Praxis noch. Technisch geht sogar mit über 300 Swaps noch deutlich mehr, weil - man lädt ja nur bis 90 Prozent und jeder abgegebene Akku soll nach einer Stunde wieder verfügbar sein, so das Ziel. Selbstredend behält der Hersteller so auch die Kontrolle über den Akku und dessen Wohlbefinden, was bei jedem Wechsel in einem dreißig-sekündigen Check überprüft wird. Alle Akkus haben übrigens das gleiche Format, egal ob 75, 100 oder später mal 150 kWh Kapazität.

Ein Faktor, der selbstredend auch ins Feld geführt wird: Im Alltag kann man mit dem kleinen Speicher unterwegs sein, schleppt also entsprechend weniger sinnlose Pfunde durch die Gegend, Verbrauch und Verschleiß sicherlich dienlich. Im Urlaub nimmt man sich dann einen großen Speicher. Wobei sich je nach Größe die monatliche Batteriemiete erhöht, von 169 auf 289 Euro bei 75 zu 100 kWh. Die Swaps sind anfangs kostenlos, in Norwegen bekommt man zwei Swaps und 200 kWh zur Monatsmiete oben drauf. Alles darüber hinaus kostet dann "siehe oben". Übrigens soll es den Nio ET7 jetzt doch zu kaufen geben: Ab 69.900 Euro sind im Gespräch, ohne Akku, versteht sich. Im Leasing kommt man da schnell auf 2.000 Euro monatlich.

Sortimo Innovationspark: So muss laden sein

Ob man da nicht gegenüber "besser bedient" ist, in Deutschlands größtem, vielleicht auch schönsten Ladepark, der in seiner futuristischen Hülle in anspruchsvoller Architektur neben Restaurant, Bäckerei und Shop auch Büros beherbergt und natürlich zu 100 Prozent Grünstrom liefert, perspektivisch komplett aus eigener Erzeugung per Photovoltaik? Zumindest wenn man ein E-Auto eignet, das mehr Ladeleistung bietet, als die eher mauen 130 kW des ET7, der auch in AC mit 11 kW eher in der "volkstümlichen", weniger der dem Anspruch nach reklamierten "Premiumklasse" verbleibt.

Bis zu 300 kW bieten die eLoaded-Lanzen auch perspektivisch gut Tempo. Der just am Lader geparkte Hyundai Ioniq 5 lädt mit seiner 800-Volt-Plattform bei 240 kW in fünf Minuten 100 Kilometer Reichweite, in 18 Minuten ist der 77,4 kWh-Speicher von zehn auf 80 Prozent gebracht, in 27 Minuten auf 90 Prozent, etwa 40 Euro werden fällig, zu bezahlen per eLoaded-App, per Karte oder Smart-Watch am Automaten oder - ja richtig gehört - beim "Tankwart", der natürlich im Innovationspark nicht mehr so heißt, sondern als Ladewart in der "Energy-Boxx" neben den Ladesäulen auch viel Energie für den "Homo sapiens" bereitshält, sprich Imbiss und Getränke im Shopt.

VM-Fazit:

Gamechanger oder Rohrkrepierer, das ist die Frage, die sich uns nach dem Selbstversuch am der Power Swap Station im HPC-Ladepark Zusmarshausen stellt. Sechs Minuten beim Swapen, eine halbe Stunde beim Laden mit einem "state of the art"-Fahrzeug. Zeit, die gerade mal genügt, kurz um die Ecke zu gehen und in der vorzüglichen Bäckerei im Innovationspark Kaffee & Kuchen zu sich zu nehmen. Der Innovations-Park ist jedenfalls so, wie man sich das Laden künftig immer vorgestellt und wünscht. Ein Ort zum Verweilen statt nur Durcheilen und das Laden ist der willkommene Anlass für eine Pause. Statt sechs Minuten in einem dann "stromlos" tristen Nio fristen. Man wird sehen müssen, ob sich das Akku-Tausch-Prinzip, das ansonsten auch die SAIC-Tochter MG aus China forciert, auch hierzulande durchsetzen wird.

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