VM-Fahrbericht Mini Countryman SE All4: Maxi-Mini gibt Strom und wagt mehr Van
Mehr Kasten wagen! Das scheint das Motto der Mini-Designer um ihre Chefin Stefanie Wurst gewesen zu sein, um sich von der technischen Konzernbasis des BMW X1 abzugrenzen. So gibt der neue Mini Countryman den pragmatisch-praktisch-coolen Bruder des seriösen, aber auch etwas faden BMW iX1. „Mit dem vollelektrischen MINI Countryman führt das größte Modell der neuen Fahrzeugfamilie die Marke in eine Ära lokal emissionsfreier Elektromobilität. Der erste in Deutschland gefertigte Mini steht auch in der Produktion für größtmögliche Umweltverträglichkeit. Seine Vielseitigkeit und sein kraftvoller Elektroantrieb machen ihn zum perfekten Begleiter in der Stadt und für Abenteuer darüber hinaus“, wirbt Stefanie Wurst, Leiterin der Marke gleich zu eingangs und macht die Prioritäten klar.
Es klingt eher nach: Ja, klar, Verbrenner gibt’s auch noch, drei Benziner (170/218/300 PS) und einen – in diesem Konzept und bei viel Langstrecke vielleicht gar nicht so schlecht passenden Diesel (163 PS). Aber man braucht sie halt nicht mehr unbedingt, wenn der Stromer mit seinem 64-kWh-Akku als Fronttriebler 462 Kilometer schafft, der von uns gefahrene Countryman SE All4 mit Allrad immerhin noch 433 Kilometer. Es half alles nichts, der Mini musste auch mehr „maxi“ wagen: So wuchs das Gefährt zum wiederum zu seinem Vorgänger 20 Zentimeter längeren Countryman II (ab 2017) in der Länge um 13 Zentimeter auf nun 4.43 Meter. Er bleibt damit aber immerhin sieben Zentimeter kürzer als ein iX1 und 12 Zentimeter als ein iX2, überragt aber beide deutlich (1,61/1,56 m Höhe) mit zehn Zentimeter plus bei 1,65 Meter. Die Breite blieb mit 1,84 Meter fast konstant.
Kleiner Van: Großer Kofferraum, flexibles Interieur
Das Wachstum kommt gar nicht mal so sehr dem Kofferraumvolumen zugute, das mit 460 bis 1.450 Liter knapp unter dem des X1 bleibt, wobei der Vorteil der leichteren Beladbarkeit durch die große Heckklappe sowie der Benefit verschiebbaren Rückbank bleibt. Funktional wird der Mini fast zum Van, erst recht weil, die Ladefläche nach dem im Verhältnis 40/20/40 und mit einem Griff klappbaren Sitzen so gut wie eben ist. Einen Frunk sucht man unter der kantigen Haube allerdings vergeblich, Schicksal der Multiantriebsplattform … So steht man vor einem stattlichen Fahrzeug, das scharf kontrastiert wird von dem zwecks Ahnenforschung daneben drapierten Ur-Mini (3,04x1,39x1,33 m), der wirkt wie ein Matchboxauto. Das sind die Zeichen der Zeit.
Und auch wenn Mini des Countryman als Crossover bezeichnet, formal geht er auch als kleiner, freilich sehr schicker Kastenwagen durch. Im direkten Vergleich zum geduckten iX2, der gleichzeitig, aber streng nach Marke getrennt, vorgestellt wird, wirkt der Mini deutlich kantiger – und man staunt zu lesen, dass er mit einem cW-Wert von 0,26 exakt auf dem Niveau des X1 liegt – im wahrsten Sinne glatt 0,5 Zähler besser als der Vorgänger. Das zahlt im Zweifel auch auf die ordentliche Reichweite ein, die freilich bei längerer Autobahnfahrt und jenseits der 120 km/h durch die stattliche Stirnfläche etwas gedrückt werden dürfte.
Mehr Platz als die "feinen Geschwister"
„Advantage Mini“ heißt es dann auch im Interieur, wo durch die Kastenform über dem Scheitel deutlich mehr Platz bleibt als im iX2, aber auch als im iX1. Vor allem im Fond sitzt man im Mini maximal bequem, kann sogar die Rückenlehne in der Neigung verstellen – und wahlweise sorgt das erfreulicherweise vorne zu öffnende Panoramaglasdach für noch mehr Luftigkeit. Dazu gesellen sich jede Menge Ablagen und Fächer, die auch an einen Van erinnern. Klar, bei der Materialauswahl herrscht bei Mini statt BMW-mäßiger sportiver Gediegenheit eher ein gewisser fröhlicher Pragmatismus vor, der der Marke gutsteht, mit mehr Hartplastik und preisbewussterem Teppich. Aber wohnlich und robust erscheint das unter Anwendung eines raffinierten Strickverfahrens gestaltete Ambiente allemal.
Infotainment: Wenn das Eckig ins Rund muss
Umweltfreundlich auch: Es handelt sich um recyceltes Polyester. An den Pizzateller-großen Digi-OLED-Screen („Mini Interaction Unit“) in der Mitte muss man sich allerdings erst einmal gewöhnen, das Infotainment fußt auf BMWs OS9, das wiederum Android Open Source Project-basiert ist. Die Bedienung lenkt oft eher ab, man muss mit spitzen Fingern schon recht präzise treffen und dass bei Mini partout alles „rund“ sein muss, ist auch nicht unbedingt praktisch in einer meist „eckigen“ Bedienwelt. Immerhin berechnet das Navi Routen rasch und man wird dynamisch und präzise in 3D geführt, auch dank 5G-Verbindung an Bord. Im Elektro-Mini kann man eine ladeoptimierte Route wählen.
Klassik & Moderne: Kipphebel und Sprachassistenz
Eher Folklore und Spielerei, aber immerhin ein Direktzugriff auf wichtige Funktionen sind die Kipphebel („Toggles“) nebst Drehschlüssel zum Start oder die elektronischen Sounds („Mini Experience Modes“), die sich weit von der behaupteten „charismatic simplicity“ entfernen, die den Ur-Mini mal auszeichnete. Mit dem alten Mini konnte man auch sprechen, aber der neue reagiert auf Ansprache recht gut, dank dem von BMW geliehenen „Personal Assistent“, der auf „Hey Mini“ hin Basisfunktionen wie Navi, Telefon, Entertainment oder diverse Fahrzeugfunktionen ansteuerbar sind. Er soll im Dialog und aus der täglichen Routine auch dazulernen … Obligatorisch (und preistreibend) sind diverse „Trimms“, mit denen sich der Mini individualisieren lässt.
Wenigstens findet das Smartphone darunter – wahlweise induktiv ladbar – Platz. Nachdem man alle Sounds durchprobiert hat, die eher nach bemühtem „Klang aus der Konserve“ anhören und qualitativ weit hinter dem Abarth-Sound im 500e zurückbleiben, loggt man sich auf den effizienzoptimierten Green-Mode mit besserem Management der einstufigen, generell nicht allzu strammen Rekuperation ein. Der liefert ein zeitgemäßes sphärisches Fahrgeräusch ab, das gut zur ruhigen und unaufgeregten Art des „Mini Maxi“ passt. Außerdem wird dann der wirklich gute Sound der Harman-Kardon-Anlage nicht gestört, besser als jedes "immersive Fahrerlebnis" ... Im Go-Kart-Mode werden Fahrwerk und Lenkung übrigens etwas straffer, das Fahrpedal reaktiver, muss man als Marke Mini wohl auffahren, heutzutage. Vielleicht aus Sicht von Verbrennerfetischisten der einzige Vorteil des Mini Countryman Cooper Works, der ebenfalls präsentiert wird: Der Klang des Motors. Aus Sicht eines E-Mobilisten ein klarer Nachteil, das etwas ordinäre Gebrumm.
Der Stromer macht die Räume eng - für den Verbrenner
Sonst ledert der Stromer den Verbrenner ziemlich ab: Der Antritt des 230 kW starken Elektro-Topmodells (494 Nm) ist deutlich flotter, wer es drauf anlegt, zieht binnen 5,6 Sekunden genauso schnell auf 100 km/h wie der röhrende Bruder mit seinem 300-PS-Vierzylinder-Benziner, emittiert dabei aber fast keine Geräusche und nur 16,8 kWh/100 km an Energie im Vergleich zu 7,8 l/100 km an Ottokraftstoff. Wobei das natürlich nur für den WLTP-Zyklus gilt, sprich vernünftigen Fahrstil. Wir kamen über 80 Kilometer Stadt, Landstraße und ein kurzes Stück Autobahn auf 16,4 kWh/100 km im Betrieb – und hatten noch 327 Restkilometer in den Unterflurspeichern. Das ginge in Ordnung für ein hochbauendes und 2,1 Tonnen schweres Gefährt. Trotzdem geht unser Tipp in Richtung des 135 Kilo leichteren und 6.000 Euro günstigeren reinen Fronttrieblers mit 150 kW (250 Nm), der mit 8,6 s für den Standardspurt auch allemal flott genug unterwegs ist und der mit 15,7 kWh/100 km ein kWh sparsamer ist.
Mit ihm ist man dann seltener Gast an der Ladesäule, die den Mini in DC mit brauchbaren 130 kW in einer halben Stunde von 10 auf 80 Prozent bringt. Praktisch auch der 22-kW-AC-Lader, mit dem man flott auf Stand kommt an urbanen Ladern. Klar, dass es via aktiver Navigation eine Vortemperierung der Hochvoltspeicher gibt, um die Ladeperformance zu optimieren. Der Ladeslot ist wie der Tankstutzen des Verbrennerpendants hinten recht platziert, was rückwärtiges Rangieren an den meisten Schnellladern erforderlich macht. Dafür gibt’s erstmals eine Plug&Charge-Funktion.
Für Größe und Gewicht recht agil
Ansonsten steht der Mini in Sachen Fahraktivität dem Genspender aus der Münchner Zentrale kaum nach: Das Handling agil und für Format und Gewicht quirlig, die Lenkung präzise, wenngleich der Wendekreis mit 11,6 Meter der Multiantriebsplattform Tribut zollt, die Straßenlage satt und sicher, die Traktion mit dem Elektroallrad der zwei Synchronmaschinen selbstredend exzellent, die Aufbaubewegungen gering und die Verarbeitung bocksteif, fest und knisterfrei. Der Komfort ist dennoch ansprechend und einem Familienwagen gemäß, das Geräuschniveau liegt auf niedrigem Niveau, vielleicht etwas höher als beim iX2.
Auch bei der Fahrerassistenz herrscht ziemlich Gleichstand zwischen den Geschwistern und der Mini fährt nicht maximal, aber ausreichend auf, mit wahlweiser Level-2-Funktionalität und hoher Regelgüte etwa des Abstandstempomaten oder des aktiven Spurassistenten. Ob man einen „assistierten Spurwechsel“, eine Einparkautomatik oder gar Remote Parking per Smartphone auf Basis von zwölf Ultraschallsensoren braucht, sei dahingestellt. Er kann es jedenfalls. Noch nützlicher ist das erstmals bei Mini angewandte teilautomatisierte Fahren, bei dem man bis 60 km/h die Hände vom Lenkrad nehmen kann, ohne ständig ermahnt zu werden. Die Funktionen werden am Pizza-Screen auch einleuchtend erläutert.
Den Preis wert: Nur kleiner Abstand zum Basis-Benziner
Kurz zur preislichen Sortierung: Mit eher vernachlässigbaren 3.500 Euro Aufpreis zum Basis-Benziner macht die Marke klar, dass man die Zukunft im elektrischen Antrieb sieht und will Neukunden spürbar ein Angebot machen. Der Topstromer mit Allrad kostet dann gar 4.000 Euro weniger als der leistungsgleiche Top-Benziner. Und in Relation zu BMW setzt man selbstbewusst, aber in Anbetracht des praktischen Mehrwerts reell an: 1.500 Euro mehr kostet der Countryman Electric zum iX1 eDrive20, bei 49.400 startet der iX2 eDrive20. Bei den E-Topversionen herrscht dann ziemlich Gleichstand zwischen den Propeller-Marken, mit 55.000 Euro beim iX1 eDrive30 zu 55.510 Euro beim Countryman SE All4.
Nicht ganz billig, aber das muss einem ein universeller elektrischer „Kult-Kastenwagen“ wert sein. Denn – und damit das Beste zum Schluss: Der Mini Countryman ist der erste Mini „made in Germany“. Gefertigt wird er in Leipzig nach hohen Umweltstandards, die Alu-Räder etwa verwenden 70 Prozent Sekundärmaterial, die Fertigung nutzt komplett Grünstrom und die Synchronmotoren kommen ohne seltene Erden aus. Chrom hat man ohnehin längst verbannt. Das hat der Nachfolger seinem Urahn voraus. Und: Er brummt nicht und stinkt nicht. Sondern strahlt aus energieeffizienten LED-Kulleraugen in eine „bessere Welt“.
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