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VM-Fahrbericht Dethleffs/ZF E.Home: Grünes Gespann, großer Radius

Mit einem vollelektrisch angetriebenen Camping-Anhänger setzt die Traditionsmarke mit Technik-Partner ZF im Reisegeschäft einen grünen Akzent. Doch das Konzept weist weit darüber hinaus und könnte auch für gewerbliche Anhänger hochspannend werden. Größter Vorteil: Die Reichweite von E-Fahrzeugen bleibt erhalten.

Haken an der Sache: Leider sind E-Trailer noch nicht zulassungsfähig. Aber man arbeitet dran. Dann könnte der Traum vom "grünen Gespann" Realität werden. | Foto: Dethleffs
Haken an der Sache: Leider sind E-Trailer noch nicht zulassungsfähig. Aber man arbeitet dran. Dann könnte der Traum vom "grünen Gespann" Realität werden. | Foto: Dethleffs
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Johannes Reichel

Bisher sind Wohnanhänger-Gespanne und generell das Reisen mit den riesigen Plaste-Häusern auf Rädern nicht gerade als "grün" respektive besonders nachhaltig bekannt. Der Verbrauch mit den Wohncontainern steigt enorm und vorne muss im Zweifel ein hochmotorisiertes Verbrenner-Zugfahrzeug, nicht selten die trendigen "Stadt-Geländekreuzer" mit hoher Anhängelast für Vortrieb sorgen. Dass es auch anders geht, zeigt jetzt ein Pilotprojekt des Traditionsherstellers und Hymer-Tochter Dethleffs, das gemeinsam mit dem Technlogiepartner ZF umgesetzt wurde und vom Prinzip weit über das Reisegeschäft hinausweist. Die denkbaren Anwendungsfälle sind zahlreich, gewerbliche Anhänger, Pferde-Trailer, Frigo-Hänger, mit der Elektrifizierung des Trailers eröffnet sich eine ganze Spielwiese an Möglichkeiten.

Immer auf Zug: Gleichmäßige Belastung der Kupplung

Schließlich verfügt das einachsige, hier hydraulisch scheibengebremste Hänger-Konzept E.Home über ein autarkes System mit einem eigenen E-Antrieb aus zwei ZF-Elektromotoren, die ihre Kraft von je 30 kW Dauerleistung (90 kW Peak, 90 Nm) direkt an die beiden Räder abgeben. Für eine mögliche Serienlösung sehen die Friedrichshafener die Verwendung eines hauseigenen, auf Hochvolttechnologie basierenden Zentralantriebs in einer achsparallelen Ausführung vor. Clou des Gespanns: Das Steuergerät der Trailer Mobility Control (TMC) lässt in jeder Fahrsituation genau so viel Vortrieb zu, dass die Anhängekupplung mit einer stets gleichmäßigen Zuglast belastet ist.  
 

Mächtiges Marschgepäck: 2 x 40 kWh Akkus sollen noch abspecken

Kombiniert wird ein einem modularen Akkusystem, das im Falle des Pilotfahrzeugs die volle Spanne von 2x40 kWh, zusammen 600 Kilo schwer, nutzt. Das ist aber auch abgespeckt und je nach Anwendungsfall denkbar und geplant. Um das Zusatzgewicht des gesamten elektrischen Antriebs auf unter 400 Kilogramm zu reduzieren, sollen in der Serie Batteriemodule mit niedrigerer, bedarfsgerechter Kapazität zum Einsatz kommen. Damit will man den maximalen Zuglasten aktueller Elektrofahrzeuge Rechnung tragen, die sich bei den wenigen Fahrzeugen mit Anhängerkupplung meist zwischen 1.200 und 1.800 Kilogramm bewegen.

Mehrverbrauch kompensieren - oder ein kleines Auto nehmen

Denkbar ist auch, dass man die E-Unterstützung an konventionell angetriebenen Zugfahrzeugen nutzt und somit den fälligen und üppigen Mehrverbrauch kompensiert. So könnte man etwa auch einen Kleinwagen mit Anhängekupplung für die "große Fahrt" nutzen, der sonst von der Leistung überfordert wäre. Oder man nutzt statt eines wuchtigen Elektro-SUV, die bisher als einzige die nötigen Zuglasten bereitsstellen, ein kleineres E-Auto.

"Beim Kauf eines neuen Fahrzeugs ist also nicht mehr der Maximalbedarf, der häufig nur wenige Male im Jahr aufritt, allein ausschlaggebend. Vielmehr kann sich die Fahrzeugwahl am Durchschnittsbedarf ausrichten, etwa für den Weg zur Arbeit, den Wochenendausflug oder die gelegentliche Fahrt zu Freunden oder Verwandten. In den meisten Fällen lassen sich so die Fahrzeugklasse oder die Motorisierungsvariante eine Nummer kleiner wählen und damit die Anschaffungskosten wie auch den Verbrauch und die Betriebskosten senken", wirbt der Hersteller.

Elektrisches Gespann für nachhaltiges Reisen

Die Kernidee ist freilich, das Konzept eines vollelektrischen und dennoch fernreisetauglichen und grünen Gespanns umzusetzen, wie es bei der Testkombination Audi e-tron mit E.Home-Anhänger der Fall ist. Bei unserer ersten Probefahrt glänzte der Stromzug nicht nur mit flüsterleisem Lauf, sondern auch mit einer enormen Schubkraft. Wie von Geisterhand oder einer unsichtbaren Faust gedrückt, beschleunigt die E-Kombination auf Marschtempo 100 km/h, sodass unser ZF-Testfahrer an Bord rechtzeitig vor der Kurve auf dem abgesperrten Areal der Friedrichshafener Messe die Reißleine ziehen muss. Natürlich nicht, ohne das der Trailer die Bremsenergie gemeinsam mit dem Zugfahrzeug wiederaufnimmt und in die Speicher zurückleitet.

Die Reichweite schrumpft bei E-Autos mit Trailer um 50 Prozent

Größter Vorteil des Konzepts: Die sonst leicht mal um 50 Prozent schrumpfende Reichweite des elektrischen Zugfahrzeugs bleibt durch den Strom-Trailer voll erhalten. Reisen mit 400-Kilometer-Etappen könnten so auch mit einer BEV-Einheit möglich werden. Allerdings muss man dann hoffen, gleich zwei Ladesäulen zu erwischen: Denn selbstverständlich lässt sich der E-Trailer eigenständig laden, per AC und per DC mit 7,2 und 50 kW. Am Campingplatz könnte man bei 2,1 kW binnen 24 Stunden 50 kWh nachladen für die Rückreise.

„Die Reichweiten der aktuellen Elektrofahrzeuge und der derzeitige Stand der europäischen Ladeinfrastruktur sind für den Solobetrieb ausgelegt, berücksichti- gen aber nicht die Anforderungen an den Anhängerbetrieb, beispielsweise mit einem Caravan“, erklärt Dethleffs Geschäftsführer Alexander Leopold.

Eigentlich ist der E-Trailer ein eigenes E-Fahrzeug, nur eben ohne Fahrerkabine und Lenkung. Auf einem modularen, kastenförmigen Grundrahmen, einer Deichsel mit Standard-Kugelkopfkupplung und Auflauf-Bremseinrichtung sowie zentraler Gummifederachse sind neben dem Wohnaufbau auch andere Aufbauarten und unterschiedlichste Aufbaulängen möglich. Achse und Batterien sind so positioniert, dass sich die Gewichte der zentral angeordneten Elektromotoren und der Batterie-Pakete gleichmäßig verteilen und dadurch die Stützlast und die Nutzlastverteilung denen eines herkömmlichen Wohnanhängers entsprechen, beschreibt der Hersteller weiter. Der Fahrzeugrahmen verfügt zudem über Crash-Elemente.

"Die Anforderungen an das Fahrgestell des E.Home Caravan unterscheiden sich grundlegend von denen an ein konventionelles Wohnwagenchassis. Vielmehr ähnelt es in Aufbau und Funktion eher einer Karosserie für einen Elektro-PKW. Antriebsstrang samt Traktionsbatterie, Sensorik und Steuerungselektronik, Verkabelung, Verschlauchung und Kühlung sind dabei sämtlich im Chassis untergebracht", skizziert der Anbieter.

 

Wobei, das mit dem "nicht lenkbar" stimmt nicht ganz:Denn es gibt ja noch den Mover-Modus. Dabei kann der Fahrer per App oder Tablet den E-Hänger steuern und etwa auf dem Campingplatz in die gewünschte Nische bugsieren. Die Platznachbarn werden es einem danken, schließlich passiert das ohne das übliche und nervige Gerumpel und Geknatter eines diesel-betriebenen Zugfahrzeugs. Auch auf dem Platz kehrt also Ruhe ein.

Traum von Autarkie: Energie ist vorhanden für den Platz im Grünen

Oder man sucht sich gleich einen ruhigen Platz: Denn natürlich hat das Konzept auch einen Autarkieaspekt: Mindestens eine Woche lang ließe sich mit der Energie der Akkus der E-Camper betreiben, taxiert ZF-Ingenieur Udo Gillich. In Kombination mit Photovoltaik würden sich noch ganz andere Zeiten realisieren lassen, in denen man fernab der Zivilisation und etwaigen Campingplatzrummels urlauben könnte.

Erster Prototyp wurde seit 2018 verfeinert

2018 hatte Caravan-Hersteller Dethleffs gemeinsam mit den Projektpartnern Erwin Hymer Group und ZF Friedrichshafen AG erstmals eine mögliche Lösung vorgestellt: Den Prototypen eines Wohnwagens mit eigenem elektrischen Antrieb, den E.Home Caravan. Nach zahlreichen Tests und Optimierungen hat der Traditionshersteller nun mit einem weiterentwickelten Prototypen E-Caravan die Herausforderung gesucht.

Challenge: In einem Rutsch zum Gardasee

Im Rahmen der sogenannten E.Home Alpen Challenge. Auf einer bei Caravanern beliebten Route mit 386 Kilometern Länge vom Allgäu über den Brenner bis zum Gardasee sollte der E-Caravan beweisen, dass der elektrische Antrieb des Anhängers den höheren Energieverbrauch durch den Anhängerbetrieb kompensieren kann und das Zugfahrzeug die gewohnte Reichweite auch mit Caravan im Schlepp erreicht. Dabei wäre die Strecke bis Riva für das Zugfahrzeug auch ohne Anhä- nger schon eine Herausforderung, gibt doch der Hersteller die Reichweite für den gewählten und nicht gerade als "supereffizient" bekannten Audi e-tron mit rund 393 Kilometern (WLTP) an, nur sieben Kilometer mehr als die benötigte Distanz – und das im Solobetrieb.

Restenergie in Riva: Prüfung bestanden

Mit 80 bis 84 km/h auf der Autobahn und einer Gesamtdurchschnittsgeschwindigkeit von 62,3 km/h fährt das vollelektrische Gespann nach Süden. Am Brenner, 200 Kilometer nach dem Start und 180 Kilometer vom Ziel entfernt, sind beide Batterien noch zu mehr als 50 Prozent geladen. Starker Gegenwind bremst auf dem weiteren Weg das E-Caravan-Gespann und den Optimismus des Teams. Nach 6 Stunden und 12 Minuten und 386 Kilometern anspruchsvoller Alpenpassage erreicht das E-Caravan-Gespann das Zentrum von Riva am Gardasee, ohne unterwegs nachladen zu müssen. Die Ladestandsanzeige wies sogar noch etwas Restenergie in den Akkus beider Fahrzeuge aus. Die Gesamtbilanz: 82 kWh verbrauchte Energie beim Zugfahrzeug und 74 kWh beim Caravan. Challenge geglückt.

Fahrdynamisch klar im Vorteil

Und noch ein Vorteil: Auch im Hinblick auf das Fahrgefühl und Fahrsicherheit hat die elektrische "gezogene Einheit" ihren Charme: Die erwähnte Beschleunigung wie ein Solofahrzeug wird ergänzt durch stabile Kurvenfahrt dank des tiefen Schwerpunkts und einen sicheren Geradeauslauf, weil das Gespann auch Bergabfahrt stets gestreckt bleibt. Das sei tatsächlich messbar, werben die Dethleffs-ZF-Ingenieure.

„Der e.HOME Caravan ist eine attraktive Anwendung, die wir mit unserer Erfahrung und unserem Portfolio für die Elektrifizierung aller Fahrzeuggattungen unterstützen“, ergänzt Stephan von Schuckmann, im ZF-Vorstand verantwortlich für elektrifizierte Antriebstechnologien.

Dethleffs-Geschäftsführer Leopol sieht zwar noch einige Hürden auf dem Weg zur Serienreife und zur Zulassungsfähigkeit, findet aber, der von Erwin Hymer Group und ZF entwickelte E-Caravan sei schon heute eine praxisgerechte und zukunftsfähige Lösung für umweltbewusstes und ökonomisch sinnvolles Caravaning. Worauf er anspielt: Eine Fahrzeugkategorie „Anhänger mit Antrieb“ ist aktuell nicht definiert und somit nicht zulassungsfähig. Zudem ergeben sich aufgrund des Mehrgewichts durch den Antrieb zusätzliche Fragen, etwa nach der Anrechnung des Gewichts der Antriebskomponenten auf die zulässige Anhängelast des Zugfahrzeugs oder nach der Führerscheinklasse, die für das Ziehen angetriebener Anhänger gefordert ist. Immerhin: Der VDA hat eine Initiative in der EU eingebracht für die Zulassung von E-Hängern und auch der Bundesverband e-Mobilität arbeitet an der Definition dieser Fahrzeuggattung. Mal sehen, die das hochspannende Gespann weiter Fahrt aufnimmt.

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