Werbung
Werbung

VM-Check mocci Smart Pedal Vehicle: Lastenrad digital - Kette war gestern

Mit einem "Smart Pedal Vehicle" will die Tochter des Supply-Chain-Spezialisten CIP Group den Markt für gewerbliche Lastenräder aufrollen und bieten, was bisher fehlt: Ein wartungsarmes, vernetztes, belastbares und doch halbwegs erschwingliches Cargobike. Zudem mit modularem Konzept: Eine schwere Version soll folgen. Schlüsselfrage der Entwicklung: "Wie ersetzt man einen Lieferwagen?"

Auf dem Weg in die Serie: CIP-Holding-CEO Dimitrios Bachadakis führte das mocci-Bike VM-Redakteur Johannes Reichel exklusiv vor - örtlich passend am Oberanger in der Münchner City. | Foto: HUSS-VERLAG
Auf dem Weg in die Serie: CIP-Holding-CEO Dimitrios Bachadakis führte das mocci-Bike VM-Redakteur Johannes Reichel exklusiv vor - örtlich passend am Oberanger in der Münchner City. | Foto: HUSS-VERLAG
Werbung
Werbung
Johannes Reichel

Klar, klappern gehört zum Handwerk: Aber auf den Begriff "Smart Pedal Vehicle" muss man auch als Marketingmensch erst mal kommen. Kombiniert mit dem Firmennamen Mocci, der aus dem chinesischen abgeleitet in etwa „Magic Ride“, "magische Fahrt" bedeutet, bringt trefflich auf den Punkt, was sich die ambitionierte neue Marke mit der finanziellen Unterstützung des Mutterkonzerns CIP Group, ein Supply Chain- und Beschaffungs-Spezialist, auf die Fahnen geschrieben hat. Das große Ziel: Endlich ein belastbares Cargobike zu realisieren, das den harten Logistik- und Lieferalltag abkann, das aber dennoch smart, sprich vernetzt ist und zudem bei den Kosten so Maß hält, dass es für Fuhrparkumsteiger oder Lastenradeinsteiger in Frage kommt. Die Firmengründerin Yao Wen entwickelt seit 2015 besagtes elektrisch unterstützte "smartes" Fahrrad und wurde vor kurzem mit dem Wirtschaftspreis für Frauen „LaMonachia 2021“ der Stadt München ausgezeichnet. Teil des großen Teams hinter Mocci ist der in der Bike-Branche erfahrene Manager Philip Douglas. Bei unserem exklusiven Besuch am Standort in der Münchner City zählt er im lässigen schweizerisch-britischen Akzent auf, woran es bisher krankte in der Branche und warum auch die eigentlich so kampferprobten Automotive-Firmen bisher nicht wirklich Fuß fassen konnten.

„Die Challenges in der Mikromobilität wurden unterschätzt, die Bikeindustrie ist anders als die Autoindustrie. Es braucht hier dringend eine Professionalisierung im Bereich gewerblicher Cargobikes“, meint der Produktmanager, der schon für diverse Zulieferer und Bikehersteller tätig war und jetzt mit seinen Kollegen etwas komplett Neues wagt, das „the perfect match“ bilden und so etwa wie das „missing link“ sein soll.

Ausgangsfrage war für die mocci-Gründer Yao Wen und Dimitrios Bachadakis „Wie ersetzt man optimal einen Lieferwagen?“. Und zwar durch etwas, das noch die Vorteile eines Fahrrads bietet und dennoch die Robustheit eines Nutzfahrzeugs. Vieles müsse sich erst noch formen, es gebe auch noch keine dedizierte Zulieferindustrie mit speziellen gewerblichen Cargobike-Komponenten.

„Es braucht aber einen B2B-Fokus und es genügt nicht, B2C-Komponenten einfach für gewerbliche Lastenräder zu verwenden“, weiß Douglas aus leidiger Erfahrung.

Auch die „supply chain“, wiederum das Stammgeschäft der finanzkräftigen Muttergesellschaft, muss stimmen, der Service muss funktionieren, glaubt Douglas. Das Problem sei ein wenig wie „Henne und Ei“: Bei niedrigen Stückzahlen lohnen Investitionen nicht – und für große Hersteller ist der Markt erst einmal zu klein, für Start-ups der finanzielle Aufwand zu groß. Vielen fehlt da die Durchhaltekraft. „Wir können mit zehn Exemplaren anfangen – und mit 100.000 aufhören“, skizziert Douglas die Maxime des Konzepts.

Kosten runter: Standardisierung als Schlüsselfaktor

Und das setzt zum einen auf konsequente Standardisierung und zum anderen auf Vereinfachung – oder im Fachsprech „geringe Materialdurchmischung“. Wobei „einfach“ ganz schön schwer sein kann. So besteht etwa nicht nur der Rahmen, sondern auch die Felgen aus einem ganz im Sinne der angestrebten Kreislaufwirtschaft recyclingfähigen Polyamid-Material, das extrem schnell und relativ preiswert zu produzieren ist. Eine der robusten und dennoch sehr leichten Laufräder etwa ist in 90 Sekunden geformt. In die hintere Felge wird der Naben-Antrieb eingesetzt, nicht etwa eingespeicht. Man baut hier auf bewährte Technik eines etablierten deutschen E-Motor-Herstellers. Das spart im Zweifel viel Wartungszeit. Die originären Komponenten sollen schnell und lokal verfügbar sein, entwickelt und produziert wird in Deutschland. In Summe soll es 30 Prozent weniger Bauteile geben als an einem konventionellen Lastenrad dieser Couleur.

Antrieb: Statt Kette überträgt ein Generator die Kraft

Das Prinzip der „maximalen Reduzierung“ gilt erst recht für den zweiten, bisher an Cargobikes extrem neuralgischen, weil wartungsintensiven Punkt: Die Kette. Die existiert beim „magischen Mocci“ schlicht nicht. Der „digitale Antrieb“ gibt die Tretimpulse, die man per Software authentisch hinbekommen will, weiter an den Motor, der für die zur jeweiligen Situation passende Tretunterstützung liefert. Das Pedalieren des Fahrers treibt einen Generator an, der die Energie für den Elektromotor im Hinterrad erzeugt, ein serieller Hybrid. Es gibt quasi "digitale Gänge", die je nach Topographie die Trittfrequenz immer im angenehmen Bereich halten soll. Zusätzliche Unterstützung liefert die Lithium-Ionen-Batterie mit 900 Wh, die für 80 Kilometer Tretunterstützung gut sein soll. Wird mehr Energie produziert, als der Antrieb aktuell benötigt, fließt diese zurück in die Akkus. Der E-Motor agiert also auch mit Rekuperation und als Bremsgenerator.

„Wir wollen den Fahrer nicht entmündigen, er soll schon noch treten“, meint Douglas.

Man könne die Unterstützung auch so dosieren, dass der Fahrer seine Schicht noch mit der verbleibenden Akkukapazität schafft, wirbt Douglas für das Konzept. Zudem lasse sich der Akku im Rahmen schnell tauschen, aber auch im Bike selbst aufladen. Er verweist als eingefleischter Biker mit einer gewissen Bewunderung auf die filigranen und kunstvollen, teils meterlangen Kettenführungen an bisherigen Cargobikes, die ihm als Werkstattmann aber die Schweißperlen auf die Stirn treiben würden. Zudem hielten Fahrradketten den Belastungen großformatiger Lastenräder nur sehr schwer stand.

Schnellspanner adè: Ein Rändel reicht

Ein weiteres Beispiel für die „Entdeckung der Einfachheit“: Die Sattelstütze (aus Polyamid) lässt sich per Drehrändel in der Höhe verstellen, sehr weit sogar. Eine erste Sitzprobe ergab im Übrigen eine gut ausgewogene Position zwischen „aktiv“ und „komfortabel“ auf dem noch aus 3D-Druckteilen gefertigten Vorserienmodell. Klar, dass man auch auf eine Federgabel verzichtet – und lieber auf die Dämpfungskraft des Kunststoffs sowie der Schwalbe-Ballon-Bereifung setzt. Und ein Schloss braucht man bei all der Vernetzung natürlich auch nicht: Der Plan ist eine digital gesteuerte Entriegelung, sobald sich der Fahrer mit dem Schlüssel nähert. Auch an ein „Interface“ in Form eines kleinen Displays am Lenker ist gedacht, das dem Fahrer die wichtigsten Infos liefert, sodass die Nutzung des eigenen Smartphones nicht unbedingt nötig ist.

Wunder Punkt Wartung und Service: Sensoren sollen helfen

Was das heikle Thema Wartung betrifft, will Mocci hier auch Maßstäbe setzen: Das Bike soll zukünftig mit Sensoren ausgestattet sein, die den Verschleiß und die Nutzungshärte messen und wie bei Lkw immer weiter verbreitet eine Art „predictive maintenance“ ermöglichen.

„Wir wollen dem Bike auf den Puls fühlen. Wichtiger als die reinen Kilometer sind da die ,Leistungskilometer‘“, skizziert Douglas.

Dafür brauche es vergleichsweise kostengünstige Sensoren, die heute in jedem Handy verbaut sind, etwa Gierratensensor. So kann der Fuhrparkmanager über die eigenentwickelte App und die API-Schnittstelle und GPS-Modul etwa sehen, wo und wie schwer ein Bike unterwegs ist, ob mit oder ohne Anhänger. Bei Boxsystemen ließen sich Inhalte erkennen und bei Essenslieferung die Temperatur. Und bei öffentlichen Verleihsystemen, die man durchaus auch im Blick hat, könnte die Ausleihe automatisieren oder das Tempo in Fußgängerzonen limitieren.

Keinen Supercomputer, sondern Cloud-Steuerung

Auch wenn die Hardware im Bike updatefähig sein soll, man brauche im Rad selbst jetzt nicht die überbordende Rechenpower, sondern wolle vieles davon „cloudbasiert“ lösen, wie Douglas skizziert. Die Möglichkeiten der Digitalisierung sind dabei für Douglas kein Selbstzweck: Denn die Vernetzung der Bikes ermöglicht es erst, die Flotte so gezielt zu steuern, dass man eben effiziente Nutzung der vorhandenen Transportkapazitäten schafft, statt zu große Diesel-Gefährte durch die Städte touren zu lassen. Das eröffne letztlich die Chance zum Downsizing in der Flotte, die intelligenter wird, glaubt Douglas.

Zweispurige Schwerlast-Lösung schon in der Pipeline

Nicht zuletzt soll das Konzept so modular aufgebaut sein, dass auch eine zweispurige Lösung und ein Euroboxen-tauglicher, schon mal als vager Prototyp mit festen und robusten Achsen sowie gut nutzbarer Polyamid-Ladefläche samt Sicherungsösen an der Seite ausgeführter Trailer, der über 60 Kilo Nutzlast bieten soll, kombiniert werden können. Zudem nutzt man auf dem Front und Heckgepäckträger, der 20 und 40 Kilo Fracht verträgt, ebenfalls die Eurobox-Maße als Standard und verknüpft den Racktime-Gepäckträger mit einem bewährten und für alle Arten von Aufbauten flexiblen Arretiersystem.

In den nächsten Schritten geht es jetzt für Mocci und den CIP-Holding-CEO Dimitrios Bachadakis darum, „hero cases“ zu schaffen. Praktischerweise ist nebenan jüngst eine Gorillas-Station des Speed-Onlinesupermarkts eingezogen. Davor parken diverse E-Cargobikes von Pedal Power sowie ein großes, eispuriges Urban Arrow mit Thermobox. Man sei im Gespräch, das Interesse sei groß, meint Philip Douglas augenzwinkernd.

Werbung
Werbung