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Verkehrswende in München: Alles eine Frage der Effizienz!

Raus aus der "Weltanschauungsdebatte": Beim Panel zum Stand der Mobilitätswende in München macht ein Verantwortlicher klar, dass es nicht "gegen das Auto", sondern für ein flächeneffizienteres Verkehrssystem geht. Doch der Rückbau der "autogerechten Stadt" braucht Zeit.

Geht was weiter, an der Isar? Es diskutierten Referent Martin Schreiner (Mobilitätsreferat der LHM) als Referent sowie, Jessica Le Bris (Green City Experience GmbH), Weert Canzler (Wissenschaftszentrum Berlin) und Alexander Wentland (TU München) als Gäste auf dem Podium, das von Bettina Gundler moderiert wurde. | Foto: J. Reichel
Geht was weiter, an der Isar? Es diskutierten Referent Martin Schreiner (Mobilitätsreferat der LHM) als Referent sowie, Jessica Le Bris (Green City Experience GmbH), Weert Canzler (Wissenschaftszentrum Berlin) und Alexander Wentland (TU München) als Gäste auf dem Podium, das von Bettina Gundler moderiert wurde. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

"Wir wollen raus aus der Weltanschauungsdebatte. Es geht schlicht um Flächeneffizienz und die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems. Und da hat das Auto nun mal schlechte Karten", erklärt Martin Schreiner vom Mobilitätsreferat in München gleich zu Beginn der Debatte im Deutschen Museum Vekehrszentrum, die vom Leibniz-Forschungsnetzwerkes Mobilität organisiert wurde. Jeder Radler, jeder Fußgänger, jeder Öffi-Nutzer oder Carsharer trage somit einen kleinen Teil zur Effektivierung des Systems bei. Und dieser "Leitindikator" müsse Priorität haben, argumentierte Schreiner. Übrigens fällt auch der Wirtschaftsverkehr in dieses Effizienzraster, der in München ein Drittel ausmacht - und dem man jüngst eine eigene Teilstrategie widmete, inklusive Cargobike-Logistik-Hub, der zur IAA MOBILITY im September am Großmarkt eröffnet werden soll.

Schwierig zu Wenden im gegebenen Rahmen

Schreiners Zwischenbilanz der Wendebemühungen: Der politische Rahmen in Bund (FDP-Verkehrsministerium) und Land (CSU-Regierung) sei alles andere als "verkehrswendedienlich", die Verwaltung teils noch stark "verrechtlicht", sprich den bisherigen Normen und der absoluten "Gerichtsfestigkeit" verpflichtet, es gebe bisher kaum Koordination oder Kooperation in der Metropolregion München mit ihren 180 dezidiert eigenständigen Umlandgemeinden und gleichzeitig seien die Erwartungen in der Bürgerschaft hoch, die es zu "managen" gelte. Hier gebe es mit der jüngst gegründeten Mobile Zukunft München (MZM) immerhin einen vielversprechenden Ansatz, der Stadt, Umland, Wirtschaft, sprich Autoindustrie, ÖPNV-Unternehmen und Verwaltung an einen Tisch bringt.

Modellierer müssen Umdenken

Auch die eigenen Fachleute müssten umdenken: Ein Verkehrsmodellierer etwa, könne nicht auf die gleiche Weise wie in der Vergangenheit vorgehen, sondern müsse beispielsweise mit deutlich mehr ÖPNV, Rad- und Fußverkehr in die Zukunft planen. Außerdem, so betont Schreiner, sei München die "Hauptstadt der Dienstwagen". Mithin:

"Der Rückbau der autogerechten Stadt, die über Jahrzehnte gewachsen ist, braucht eben seine Zeit. Und die Neuverteilung des öffentlichen Raums braucht Zeit", zieht Schreiner den Rahmen.

 

Keine Atempause: Es geht voran

Trotzdem komme man Stück für Stück voran. Und vor allem: Man habe einen Plan und einen roten Faden. Sinnfälliges Motto: Mehr bewegen als nur sich selbst. Die Mobilitätsstrategie 2035 wurde mit großer Mehrheit beschlossen und sieht vor, bis 2025 80 Prozent des Verkehrs auf den sogenannten Umweltverbund, also ÖPNV, Rad und Fuß sowie Sharing und abgasfreie Fahrzeuge verlagert zu haben. Bis 2035 soll der Verkehr in München dann klimaneutral gestellt sein. Damit das klappt, wurde eigens ein eigenes Referat geschaffen, das die Bemühungen bündeln soll.

Das große Ziel: Neuaufteilung des öffentlichen Raums

Mit der Gründung des Mobilitätsreferates 2021 wurden die Kompetenzen für die Planung und Steuerung des Verkehrs in der von einem SPD-Oberbürgermeister mit einem grün-roten Stadtrat regierten bayerischen Landeshauptsstadt in einer Einheit gebündelt. Das Referat hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: Es sollen Lösungen für eine Neuaufteilung des Straßenraumes zugunsten des ÖPNV, Fuß- und Radverkehr erarbeitet werden. Partizipation und Kommunikation spielen dabei eine hervorgehobene Rolle, formuliert man etwas gedrechselt.

Leitende Fragestellung des Panels: Was hat sich nach fast zwei Jahren getan, sind erste Ergebnisse sichtbar und wo liegen die Widerstände? Antworten auf diese Fragen geben als Referent Martin Schreiner (Mobilitätsreferat der LHM) als Referent sowie, Jessica Le Bris (Green City Experience GmbH), Weert Canzler (Wissenschaftszentrum Berlin) und Alexander Wentland (TU München) als Gäste auf dem Podium, das von Bettina Gundler moderiert wurde.

Gemischtes Bild: In Berlin verfing die "Auto-als-Opfer"-Kampage

Der renommierte Vordenker und Sozial- und Mobiliätsforscher Weert Canzler zeichnete ein gemischtes Gesamtbild, gerade auch vor dem Hintergrund der jüngsten, nicht verkehrswendedienlichen Koalitionsbeschlüsse zum Verkehr und der BMDV-Prognose bis 2051, die der Wissenschaftler für völlig untauglich hält: So hätte in Berlin jüngst eine Kampagne Erfolg gehabt, die die Mobilitätswende als Drangsalierung der Autofahrer "geframt" hätte, in Hannover dagegen sei der Oberbürgermeister mit einer dezidierten Verkehrswende-Kampagne erfolgreich gewesen und in Paris wurde die Bürgermeisterin für den entschlossenen Kurs sogar wiedergewählt. "Am Ende geht es doch um die Frage: Weniger Autos", brachte Kanzler auf den Punkt.

Bereit für schmerzhafte Debatten, auch mit BMW?

Und Alexander Wentland setzte nach, ob man auch in München bereit sei für "schmerzhafte Debatten", auch mit mächtigen Arbeitgebern wie BMW oder MAN in der Stadt. Die Planung von autoarmen Quartieren sei eine der Aufgaben im MCube-Netzwerk, einem Cluster für die Zukunft der Mobilität in der Metropolregion München. Er verwies darauf, dass der große Hebel trotz aller Wichtigkeit der Erprobung nicht in Pilotprojekten liege, sondern in politischen Maßnahmen wie Tempolimit, Dienstwagenprivilegien oder Superblocks. Man könne mit zu viel Projektierung auch Zeit verlieren. Allerdings gelte es, den sozialen Aspekt zu beachten, den die Umwälzungen mit sich brächten.

 

Soziologie nicht unterschätzen: Nicht jeder kann Radfahren

Auf dieses "change management" wies auch Jessica Le Bris hin, die konkret in sozial benachteiligten Quartieren untersucht, wie man den Leuten nachhaltigere Mobiliät nahebringen kann. Das sei oft auch eine Frage des kulturellen Kontextes, nicht jede oder jeder schwinge sich vorbehaltlos auf ein Fahrrad oder könne dies überhaupt. Sie sprach von durchaus vorhandener "Mobiliätsarmut" in gewissen Schichten und betonte, man dürfe die Straße aber eben nicht nur als "Transitraum" betrachten, sondern auch als Aufenthalts- und Begegnungsraum, das spiele gegenüber der überbetonten "Technologieförderung" ebenso eine zu kleine Rolle wie die Bedeutung "vulnerabler Gruppen". In einer teuren Stadt wie München müsse man auch "Outdoor-Wohnzimmer" schaffen. Grundsätzlich gehe es aber darum, von Anfang an die richtige "Sozialisation" für Mobilität zu schaffen, spätere Verhaltensänderungen seien schwierig.

44 Prozent der Haushalte haben kein Auto

Martin Schreiner verwies hier darauf, dass man auch eine Teilstrategie zur "Inklusiven Mobilität" plane, die sich genau dieses Themas annehme. Man könne aber bereits heute, ohne Auto und mit hoher Lebensqualität in München leben, 44 Prozent der Haushalte besäßen bereits kein Fahrzeug mehr, das habe nicht nur mit "arm oder reich" zu tun, sondern auch mit Überzeugung und Notwendigkeit. Seine konkreten und zeitnah zu realisierenden Top-Five der Verkehrswendemaßnahmen in München: Ausbau des Busnetzes, Umsetzung des Radentscheids München, Barrierefreiheit, Sharing-Strategie und die Vision Zero für mehr Verkehrssicherheit. Schreiners persönliche Vision:

"Wenn Fahrrad und ÖPNV schneller sind als das Auto, dann steigen die Leute um. So ist es und so wird es kommen", prognostiziert der MOR-Manager.

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