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Meinungsbeitrag

Unions-Programm: Morgen, morgen, nur nicht heute ...

Die Union reklamiert ein "Entfesselungspaket" mit ihrem Wahlprogramm, liefert Versprechen auf künftige Technologien, auch in der Mobilität und überlässt die schlechten Nachrichten anderen. Sie missversteht die Rolle des Staates in der Klimakrise: Er muss die Leitplanken so setzen, dass die Fahrt zur Klimaneutralität führt.

Stromer statt Verbrenner: VM-Redakteur Johannes Reichel glaubt, der Zug für den Pkw ist längst abgefahren, Richtung batterieelektrischer Antrieb. Die Union will das noch nicht wahrhaben - und hofft auf Synfuels. | Foto: J. Reichel
Stromer statt Verbrenner: VM-Redakteur Johannes Reichel glaubt, der Zug für den Pkw ist längst abgefahren, Richtung batterieelektrischer Antrieb. Die Union will das noch nicht wahrhaben - und hofft auf Synfuels. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Ausgerechnet den Hashtag: #wegenmorgen platziert die Union zu ihrem Wahlprogramm. Das ist wirklich eine Steilvorlage für jede Satiresendung und spottet dem Inhalt Hohn. Besser wäre #vonwegenmorgen. Oder: #morgenmorgennurnichtheute. Einen Aufbruchs- und Modernisierungsjahrzehnt verspricht Unions-Kandidat, ein "Entfesselungspaket" gar. Aber wer einen Aufbruch will, der muss halt auch "aufbrechen" - und zwar erstens sofort und zweitens: so manche liebe Gewohnheit. Dass wir alle unser Verhalten in der Mobilität, aber auch im Konsum und unserem generellen Ressourcen- und Energieverbrauch überdenken und ändern müssen: Keine Spur.

Man wird den Verdacht nicht los, hier wäre ein Programm entstanden für den älteren Teil der Bevölkerung, die ohnehin demographisch so alt ist wie nie zuvor (ein Fünftel über 69 Jahre, fast 60 Prozent über 50 Jahre, nur 14 Prozent unter 30 Jahre) und die man als Hauptwählerschaft sieht. Verschrecken will man sie nicht, aus der Komfortzone verjagen erst recht nicht.

Die Überbringung schlechter Nachrichten überlässt man dann anderen, etwa den Hiobs-Botschaftern der Grünen, auf die man dann wieder schön eindreschen und sie als "Verbotspartei" geißeln kann, nur weil sie die Aufgabe von Politik in der Klimakrise ernst nimmt: Zu führen. Das ist von Laschet & Co taktisch clever, strategisch hilft es dem Land und der Welt nicht weiter. Und es ist fahrlässig: Denn nichts oder zu wenig zu tun, wäre die größte Gefahr.

Überhaupt die Zeitschiene: Welches Jahrzehnt meint die Union? Ab 2030 dann? Stattdessen scheinen die sogenannten "Konservativen" wirklich "konserviert" und in alten Rastern erstarrt zu sein, man erteilt im Ton der FDP gleich allen "Verboten" sofort wirksamer Maßnahmen wie Tempolimit oder höherer Kerosinbesteuerung ebenso eine Absage wie der Abkehr vom Verbrennungsmotor oder Billigflügen.

Das Signal an die Bürger ist: Weiter so und es wird schon werden mit ein paar Innovationen.

Bei denen im Übrigen unklar ist, wer sie bezahlen soll, weil Steuererhöhung schließt die Union ja kategorisch aus. Und der Emissionshandel dauert zum Einen noch in der Umsetzung. Zum anderen verschweigt Laschet, dass der CO2-Preis dann laut einiger Hochrechnungen sogar im dreistelligen Bereich steigen könnte, der Benzinpreis etwa um 80 Cent pro Liter! Beim Pferd nennt man das "Scheuklappen". Es ist zweifelhaft, ob dieser 140-seitige Wunsch-Katalog genügt, das selbst beschlossene Klimaschutzgesetz oder das Pariser Abkommen nebst 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.

Bewusst missverstanden wird von den Unionspolitikern dabei, dass es in dieser im wahrsten Sinne des Wortes und im Zeichen der ersten Hitzewelle des Jahres "brenzligen" Sitation, aber eigentlich generell schlicht der Job des Staates ist, auch mit dem Mittel der Gesetzgebung die Leitplanken in Richtung Klimaneutralität zu setzen und mit den richtigen Regeln allen Bürgern und Unternehmern des Weg zu weisen. Doch das verunglimpft man als "Verbotspolitik", wo der politisch gesetzte Anreiz zu Verhaltensänderungen dringend "geboten" wäre. Das kann man wohl "Führungsverweigerung" nennen und reduziert Politik zu populistischer Anpassung an den "bequemsten Weg". Verantwortungsbewusste Politik, einer Partei die in 50 von 70 Jahren BRD den/die Kanzler*in stellte, stellt man sich irgendwie anders vor.

Beispiel Verbrennungsmotor: An dem man hält man partout und wider alles wissenschaftliche Wissen stur wie ein trotziges Kind fest, auch für den Einsatz im Pkw, wo Synfuels zum Retter stilisiert werden - obwohl der Zug längst Richtung batterieelektrische Antriebe fährt und die mit hohen Energieverlusten und ja auch erstmal industriell zu produzierenden synthetischen Kraftstoffe dringend für die "Begrünung" des Flug- oder Schiffsverkehrs benötigt werden.

Die Union wirft sich also in völliger Verleugnung der Realität hinter einen abgefahrenen Zug. Jede Wette: Schon 2025 werden die reinen E-Antrieb so dominant sowie ökologisch wie ökonomisch überlegen sein, dass sich das Verbrenner-Aus von selbst ergibt. Sogar deutsche Premiumhersteller wie Audi wollen zeitnah keine neuen Verbrennermodelle mehr auflegen, 2026 ist Schluss damit. Wie war das nochmal mit "technischen Innovationen" bei der Union?

Sorry, aber so bekommt man den Express nicht auf's Gleis, zur Klimaneutralität bis 2045. Viel zu lasch(et) sind die Maßnahmen, es soll eigentlich so weiter gehen wie bisher, nur irgendwie mit einmal mehr nebulös angedeuteten technologischen Innovationen, deren konkrete Ausgestaltung die Union schuldig bleibt und deren Umsetzung zumeist in der Zukunft und nicht in der Gegenwart liegt.

Es braucht aber sofortiges Handeln in der gesamten Breite des Instrumentenkastens.

Die "low hanging fruits" gilt es zuerst zu pflücken: Tempolimit, ambitionierte CO2-Bepreisung, Kerosinsteuer, Kappung der Diesel- und Dienstwagenprivilegien und Pendlerpauschale, überhaupt der Abbau fossiler Subventionen, die noch immer viel zu üppig fließen. Hier müsste auch der Kohleausstieg dringend beschleunigt werden. Es gäbe schon was, das sofort zu tun wäre. Stattdessen findet sich im Programm der fast schon bizarre Verweis auf ein Lieblingsthema von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU): Flugtaxis.

Wenn der Union nicht mehr einfällt, als mit den Mitteln der Vergangenheit die Zukunft gewinnen zu wollen, dann zeugt das schon von inhaltlicher Aushöhlung und Ideen- sowie Konzeptlosigkeit, eigentlich auch einer intellektuellen Verweigerung einer echten inhaltlichen Debatte mit dem Hauptgegner der Grünen. Die Antwort auf die erkannte "globale Herausforderung des Klimawandels" ist es sicher nicht. Und die Lösung auch nicht. Das Schweigen des Laschet, könnte man sagen.

Und es ist schon sehr schizophren, wie die Union die Idee vermittelt, eine fortschrittsfreundliche Partei zu sein, ohne aber wirklich etwas ändern zu wollen. Die Veränderung ist der Kern jeder Innovation. So ist das jedenfalls eher eine "Zurück in die Zukunft"-Show mit sehr viel Sound der von Laschet offen als Koalitionspartner bevorzugten FDP, der anderen Retro-Partei, die sich so technologiefreundlich und marktwirtschaftlich gibt und doch lieber an alten Technologien und Träumen von ungezügelter Konsumfreiheit festhält. Ein berühmtes Zitat, das Albert Einstein zugeschrieben wird, aber auch wirklich von ihm stammen könnte, lautet:

"Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."

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