TUM-Forscher Markus Lienkamp: Warum E-Mobilität in dieser Form nicht die Lösung ist
Der Münchner Fahrzeugtechnik-Professor Markus Lienkamp hat ein neues Buch mit dem programmatischen Titel "Status Elektromobilität 2023: Warum das Elektroauto so auch nicht die Lösung ist" veröffentlicht, das der Automobilbranche in der Ausgestaltung der Transformation zur E-Mobilität ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Die Fahrzeuge seien zwar zunehmend elektrisch, aber wie etwa die zahlreichen E-SUV viel zu groß, zu schwer, zu überdimsenioniert und übermotorisiert, um die Umweltbelastung entscheidend zu senken. Teils sei sogar das Gegenteil der Fall.
Eigentlich habe er kein weiteres Buch schreiben wollen, skizziert der renommierte Fahrzeugtechnik-Wissenschaftler von der TU München in seinem Vorwort, in dem er darauf hinweist, dass es sich in weiten Teilen um seine ganz persönliche Einschätzung der Lage ohne Anspruch auf "absolute Wahrheit" handle, aber eben auch um einen Debattenanstoß, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. Die Entscheidungen seien in Politik und Wirtschaft gefallen und das Elektroauto als BEV als derzeit vermeintlich beste absehbare Lösung gesetzt.
Mythen und Ängste wurden bereits entkräftet
Warum solle man also wie beim vorherigen Werk mit denselben Mythen, Falschinformationen und Ängsten aufräumen, fragt er rhetorisch. Man habe nun also das "umweltfreundlich produzierte Elektroauto, gern auch mal wieder ein Sports Utility Vehicle: SUV), das mit erneuerbaren Energien - und somit ja CO2-frei - produziert und betrieben wird. Davon brauche es nur genug und dann heißt es: "Mission accomplished…", formuliert Lienkamp weiter. Doch das sei leider nicht der Fall.
"So, wie wir Elektroautos gerade konzipieren und nutzen, das wesentliche Ziel, nämlich die Reduzierung der Umweltbelastung - ich spreche hier bewusst nicht von Umweltschutz - nicht erreicht wird", moniert der Fahrzeugtechnik-Professor.
In dem Werk unternimmt der promovierte und habilitierte Wissenschaftler eine detaillierte Bestandsaufnahme in Sachen "Automobilität 2023". Er beleuchtet einleitend den Elektro-Trend in der EU und vor allem in China. Generell setzte sich das Elektroautos nicht aufgrund staatlicher Incentivierung durch, sondern weil es mittel- und langfristig einfach in den Vollkosten günstiger sei als Verbrenner, so Lienkamp. Er konstatiert allerdings auch einen weiteren Anstieg der CO2-Emissionen im Verkehr sowie der Verkehrsbelastung.
Scheinbar paradox: Trotz mehr E-Autos steigen die Gesamtemissionen
Speziell beleuchtet er das Paradoxon der steigenden Emissionen trotz der Umstellung auf BEV. Die EU habe hier nur festgelegt, dass Fahrzeuge im Betrieb kein CO2 emittieren dürften. Das habe zu schweren und großen Modellen geführt, deren Gesamtenergiebilanz durch die hohen Aufwände in der Produktion und Ressourcengewinnung deutlich getrübt werde. Im Mix entstehe ein CO2-Anstieg. Darüber hinaus habe die EU nicht die Zahl der Fahrzeuge limitiert.
"Verkauft der OEM ein zusätzliches BEV, kann er auch ein weiteres ICEV verkaufen. Kunden könnten wegen der Reichweiteneinschränkungen des BEV ein zusätzliches ICEV erwerben", skizziert Lienkamp.
Der Energieverbrauch bei der Produktion werde zwar im Strom-Emissionshandel der EU berücksichtigt. Importierte Energie, wie z.B. die Batteriezellen aus Asien, aber derzeit nicht mit eingerechnet.
Dienstwagenregelung: Flatrate fürs Autofahren
Als weiteres Problem siehe Lienkamp die Dienst- und Firmenwagen: In Deutschland würden fast zwei Drittel aller Neufahrzeuge an gewerbliche Kunden verkauft, nur etwa ein Drittel der Neufahrzeuge von Privatkunden. Firmenfahrzeuge werden aber häufig auch viel privat benutzt. Durch die steuerlichen Vorgaben in Deutschland zahlt der Dienstwagenfahrer nur einen Prozentsatz des Kaufpreises plus einen Aufschlag für die Pendelstrecken zur Arbeit. Den Kraftstoff zahlt dann der Arbeitgeber, egal wieviel der Dienstwagennutzer privat fährt.
"Das bedeutet eine Flatrate für Dienstwagenfahrer. Entsprechend der Arbeitnehmerwünsche kaufen die Firmen weiterhin große und damit CO2-intensive Fahrzeuge, egal ob BEV oder ICEV. Diese Fahrzeuge werden häufig nur wenige Jahre gehalten und dominieren damit den Gesamtfahrzeugbestand. Um die Umwelt wirklich zu entlasten, muss die Politik somit erst einmal bei den Dienst- und Firmenwagen ansetzen und dort genügend Anreize schaffen, wieder kleinere Fahrzeuge zu kaufen", appelliert der Fahrzeugtechnik-Professor.
Ein Prozess, der noch lange in die falsche Richtung läuft
Dieser Prozess werde aber lange dauern, weil sich seit Jahren eine massenhafte - er meint das auch im physikalischen Sinne - Aufrüstung vollzieht. Natürlich sei ein schweres Fahrzeug im Crash rein physikalisch im Vorteil, sodass viele Käufer hier aus Sorge um Leib und Leben kein kleines Fahrzeug fahren möchten. Zudem seien große Fahrzeuge natürlich geräumiger und komfortabler.
"Das Ziel muss sein, dass weniger Pkw erforderlich sind und diese wieder kleiner und leichter werden", erklärt Lienkamp und präzisiert das "Wie" auch in seinem Buch detailliert.
Kontraproduktiv: Verkehrsbelastung nimmt zu
Lienkamp kosntatiert aber auch einen weiteren, der Umwelt nicht verträglichen Trend: In Deutschland wächst der Fahrzeugbestand kontinuierlich an. All diese Fahrzeuge würden bestimmungsgemäß auch gefahren, führten zu mehr Verkehr und somit unweigerlich zu Staus. Zudem benötigten sie zusätzlichen Parkraum in räumlich ohnehin beengten Städten.
"Wer meint, dass der Verkehr durch scheinbar segensreiche Erfindungen wie Homeoffice zurückgeht, sieht sich getäuscht. Menschen im Homeoffice unternehmen mehr private Fahrten und überkompensieren die entfallenen Fahrten zur Arbeit", so die Feststellung.
Lienkamp sieht einen sich abzeichnenden Konflikt zwischen Stadt und Land: Die Städter mögen die Pendler nicht, weil sie die Städte verstopfen und zu Lärm- und Abgasbelastung beitragen. Die Pendler wollten aus zeitlichen Gründen das eigene Auto zur Fahrt in die Stadt nutzen. Und die Städter hätten dann doch gern ein eigenes Auto, um am Wochenende in die Natur zu fahren, wo sie bei zu hohem Verkehrsaufkommen wiederum von den Landbewohnern nicht so gern gesehen sind.
Fixierung auf CO2 im Betrieb greift zu kurz
In seinem Fazit äußert Lienkamp die Überzeugung, dass "wir nur durch das Streben nach echter Nachhaltigkeit die Mobilität in allen Aspekten verbessern können". Er sieht die reine Fixierung auf CO2 – und dann auch nur im Betrieb – als zu kurz gesprungen an und fordert eine ganzheitliche Bilanzierung über den Lebenszyklus, mit allen Aspekten der Nachhaltigkeit.
"Dazu gehören sämtliche ökologischen Auswirkungen, eine ökonomische Berechnung, die alle externen Kosten internalisiert und diese über den Lebenszyklus betrachtet", appelliert der Professor.
Als dritter Aspekt müsse die Mobilität sozial gerecht gestaltet sein und auch den Schwächeren (in welcher Dimension auch immer) Teilhabe ermöglichen. Maßnahmen dazu seien in den größeren Städten der Ausbau des ÖPNV und die Integration der Taxis ins ÖPNV-System. Diese sollten zur Kostensenkung geteilt werden. Das private Auto müsse durch Carsharing in kleinen Gemeinschaften überflüssig werden, sodass Menschen darauf gern verzichten würden.
"Dann kann der freiwerdende Platz besser aufgeteilt und bewirtschaftet und den schwächeren Verkehrsteilnehmern, wie Fahrradfahrern und Fußgängern, als separate Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden", skizziert Lienkamp weiter.
Auf dem Land sei, im Gegensatz zur Stadt, das Auto eher die Lösung, weil es eine hohe Flexibilität und bei wenigen Personen und schwachem Verkehr einen flexiblen und effizienten Transport ermögliche. Die Fahrzeuge müssten allerdings elektrisch werden, was auf dem Land im Bezug auf das Laden kein größeres Problem darstellt, wie Lienkamp findet. Pendler müssten durch Angebote wie Sammeltransporte, Park and Ride und Fahrgemeinschaften in die Lage versetzt werden, auf die Benutzung des eigenen Autos zu verzichten. Nur so könnten Staus reduziert werden.
Der Wissenschaftler fordert dann allerdings Druckmittel wie Maut, Parkgebühren, beschränkte Einfahrbudgets oder separate Fahrspuren für Fahrzeuge mit mehreren Mitfahrern, damit quasi durch "mehr Stau für Einzelfahrer" die Pendler davon abgehalten werden, einzeln zur Stoßzeit in die Stadt zu fahren. Generell müssten laut Lienkamp zuerst Angebote ausgebaut werden und dann erst vorsichtig "repressive Maßnahmen" ergänzt werden.
Erst das Angebot ausbauen, dann vorsichtige Push-Maßnahmen
Der TU-Wissenschaftler zeigte sich hoffnungsvoll, dass die Politik ein europaweites Cap-and-Trade System für CO2 mit Abfederung für finanzschwache Menschen einführt. Dieses müsse sektoren-übergreifend gestaltet sein. Nur so können die CO2-Emissionen zuverlässig gesenkt werden. Der Markt würde dafür sorgen, dass die effektivsten und günstigsten Maßnahmen zuerst umgesetzt würden, glaubt Lienkamp.
"Wir müssen alle erkennen, dass alles, was wir tun, aus Liebe zu den heutigen und zukünftigen Menschen geschehen muss. Sei es das Klima, der vermiedene Stau oder die ermöglichte Mobilität für einen älteren Menschen, alles geschieht doch für uns Menschen. In MCube haben wir das unter den drei Dimensionen der Verbesserung der Luft, der Zeit und des Raums zusammengefasst. Nur so können wir für unsere Maßnahmen und Ideen die Mitmenschen begeistern und überzeugen", schließt Lienkamp sein Werk.
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