TÜV-Umfrage: Mehrheit will Umdenken in der Mobilität - aber nicht gegen das Auto
Beim Thema Mobilität hält einer neuen Umfrage zufolge die Mehrheit (64 Prozent) ein Umdenken für notwendig - doch aufs eigene Auto würden dafür nur wenige (33 Prozent) verzichten. Dabei nehmen die Menschen beim Straßenverkehr derzeit verstärkt die Nachteile der gegenwärtigen Situation wahr, wie aus der Umfrage des Tüv-Verbands hervorgeht, die dieser am Dienstag vorgestellt hat. Laut den Ergebnissen der Studie sind gut zwei von drei Bundesbürger:innen der Meinung, dass aufgrund der Klimabelastung ein grundsätzliches Umdenken im Bereich der Mobilität notwendig ist (69 Prozent). Die Befragten wünschen sich den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (90 Prozent), eine bessere Infrastruktur für den Zweiradverkehr (88 Prozent) oder verkehrsberuhigte Stadtviertel. Rund drei Viertel der Befragten gaben etwa an, dass das Aggressionslevel im Straßenverkehr in den vergangenen fünf Jahren eher oder sogar stark zugenommen hat. Fast 60 Prozent halten die Aufteilung des Straßenraums für ungerecht und sehen vor allem Radfahrer (51 Prozent) und Fußgänger (41 Prozent) benachteiligt. 17 Prozent halten auch Autofahrer:innen für benachteiligt, wenn es um die Verkehrsinfrastruktur geht.
„Die Neugestaltung des Verkehrsraumes ist die Kernaufgabe für eine nachhaltige und sichere Mobilität“, sagte Michael Fübi, Präsident des TÜV-Verbands, bei Vorstellung der Studienergebnisse. „Mobilität ist vor allem dann gerecht, wenn unterschiedliche Verkehrsteilnehmende gleichermaßen sicher und schnell ans Ziel kommen.“
Im Straßenverkehr gefährdet oder sehr gefährdet sind aus Sicht der Befragten vor allem Radfahrende (88 Prozent) und E-Scooter-Fahrer:innen (87 Prozent). Auch motorisierte Zweiradfahrer (82 Prozent) und Fußgänger (77 Prozent) seien großen Gefahren ausgesetzt. Autofahrer:innen halten 40 Prozent für „eher gefährdet“ und nur 7 Prozent für „sehr gefährdet“.
„Wir brauchen eine Infrastruktur, die den öffentlichen Personenverkehr und Zweiradverkehr stärkt und die schwächeren Verkehrsteilnehmer ernst nimmt", plädiert Fübi.
Alternative Verkehrskonzepte wie in Paris, Kopenhagen oder Barcelona, die umweltfreundliche Verkehrsträger wie das Fahrrad oder den ÖPNV in den Mittelpunkt stellen, könnten sich die meisten Befragten auch für deutsche Metropolen vorstellen. Sie wünschen sich zudem auch einen stärker ausgebauten ÖPNV. Doch konkrete Maßnahmen, die in eine solche Richtung wirken könnten, lehnen die Befragten oft mehrheitlich ab.
„Städte wie Paris, Barcelona oder Kopenhagen zeigen, in welche Richtung sich die urbane Mobilität entwickeln kann“, sagte Fübi.
Konzepte wie die 15-Minuten-Stadt (72 Prozent) oder eine stark auf den Fahrradverkehr ausgerichtete Stadtplanung (72 Prozent) finden in der Umfrage viele Anhänger. Eine deutliche Mehrheit befürwortet auch Maßnahmen wie eine Abschaffung des Dienstwagenprivilegs (62 Prozent), eine stärkere Förderung der E-Mobilität (61 Prozent) oder ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen (61 Prozent). Keine Mehrheiten finden dagegen Maßnahmen, die den Autoverkehr verdrängen oder so verteuern, dass es sich kaum noch jemand leisten kann, in die Stadt zu fahren. Dazu gehören die Einrichtung von Umweltzonen, in denen keine Verbrenner mehr fahren dürfen (52 Prozent Ablehnung), zusätzliche kostenpflichtige öffentliche Parkzonen (54 Prozent) oder die Einführung einer City-Maut in Großstädten, die 56 Prozent ablehnen. Lediglich bei der Frage um die Einführung eines Tempo-30-Limits in Städten halten sich Befürworter und Gegner in etwa die Waage.
Auto bleibt klar die Nummer 1
Das Auto bleibt das Verkehrsmittel Nummer eins. An einem gewöhnlichen Werktag nutzen gut zwei von drei Befragten (68 Prozent) das Auto – ähnlich wie vor zwei und vor vier Jahren. Etwas weniger als die Hälfte geht zu Fuß (43 Prozent). Fast jeder Dritte ist werktäglich mit dem Fahrrad unterwegs (32 Prozent) und/oder nutzt den öffentlichen Nahverkehr (30 Prozent), immerhin jeder zehnte Regionalbahnen (10 Prozent). E-Scooter haben sich auf niedrigem Niveau etabliert (3 Prozent). Bei den Teilnehmern, die ein Auto besitzen, kann sich lediglich ein knappes Drittel den Umstieg auf andere Verkehrsmittel vorstellen.
„In Großstädten sind die E-Scooter-Flotten der Sharing-Anbieter sehr präsent. Außerhalb der Städte werden E-Scooter aber vor allem von Privatbesitzern genutzt, um zum nächsten Bahnhof oder zur nächsten Bushaltestelle zu kommen“, betonte Fübi.
Vor allem Jüngere im Alter von 25 bis 34 Jahren nutzen E-Scooter (8 Prozent). Die Dominanz des Autos zeigt sich auch beim Besitz verschiedener Fortbewegungsmittel. Vier von fünf Befragten (80 Prozent) geben an, ein eigenes Auto zu besitzen, 58 Prozent ein herkömmliches Fahrrad und 20 Prozent ein Elektrorad. 7 Prozent besitzen ein Motorrad und 5 Prozent einen Motorroller bzw. ein Moped. 5 Prozent besitzen einen E-Scooter und 2 Prozent ein Lastenfahrrad.
Skepsis in Sachen E-Mobilität
Skepsis herrscht der Umfrage zufolge auch beim Thema Elektromobilität. Eine knappe Mehrheit hält es für eher oder sehr unwahrscheinlich, dass das nächste eigene Auto einen Batterie-Antrieb hat. Ihr Anteil hat sich im Vergleich zu der gleichen Umfrage zwei Jahre zuvor nicht verändert. Als Grund für die Zurückhaltung werden an erster Stelle die zu hohen Anschaffungskosten genannt sowie Sorgen vor zu geringer Reichweite. Der Tüv fragte die Teilnehmer auch zum geplanten Verbrenner-Aus in der EU. Ab 2035 dürfen innerhalb der Europäischen Union keine neuen mit fossilem Diesel oder Benzin betankten Autos mehr zugelassen werden. 55 Prozent der Befragten lehnen diese Maßnahme der Umfrage zufolge ab.
Zweifel gesät an der Umweltfreundlichkeit
Viele zweifeln zudem an, dass E-Autos wirklich umweltfreundlicher sind, obwohl erst kürzlich das Umweltbundesamt erneut einen deutlichen Umweltvorteil für E-Autos über die gesamte Produktions- und Nutzungskette hinweg ermittelt hat. Eine neue Hürde kommt hinzu: Fast jede:r Fünfte (18 Prozent) hat grundsätzliche Bedenken wegen der Sicherheit der Fahrzeuge (2022: 11 Prozent). Zwar hält fast die Hälfte der Befragten E-Autos für genauso sicher wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und jede:r zehnte sogar für sicherer. Aber ein hoher Anteil von 40 Prozent hat weniger Vertrauen in die Sicherheit von E-Autos. In dieser Gruppe befürchten viele, dass es zu Problemen mit der Batterie kommen könnte (80 Prozent) und dass es bei Unfällen mit Elektroautos ein höheres Brandrisiko gibt (68 Prozent).
Fübi: „Aus technischer Sicht sind Elektroautos nicht mehr oder weniger gefährlich als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Das gilt auch für das Brandrisiko.“
Batteriegesundheit beachten
Nach Ansicht des TÜV-Verbands ist es notwendig, die Batteriegesundheit – den so genannten State of Health – im Blick zu behalten. Er gibt Auskunft über den Zustand und die Leistungsfähigkeit der Batterie. Das ist wichtig für die Sicherheit, aber auch beim Wiederverkauf ein entscheidendes Kriterium. 62 Prozent der Befragten würden einer unabhängigen Prüforganisation wie dem TÜV vertrauen, die Leistungsfähigkeit der Hochvoltbatterie korrekt auszuwiesen. 22 Prozent würden dem Hersteller vertrauen.
„Die Elektromobilität hat es in Deutschland nicht leicht: Neben den hohen Anschaffungskosten sind Reichweitenangst sowie Umwelt- und Sicherheitsbedenken immer noch weit verbreitet“, sagte Fübi. Elektroautos seien mindestens so sicher wie Verbrenner, ihre Klimavorteile wissenschaftlich belegt und die Reichweiten steigen stetig. „Elektroautos ermöglichen als einzige Antriebsart eine weitgehend emissionsfreie Mobilität“, sagte Fübi. „Daher sollten wir diesen Weg konsequent weitergehen und die Ladeinfrastruktur ausbauen. Gerade in Städten sind öffentliche Ladepunkte immer noch Mangelware.“
Regulierung muss mit der Digitalisierung der Mobilität Schritt halten
Die Elektrifizierung kann aus Sicht des TÜV-Verbands aber nur ein Baustein moderner Mobilität sein. Notwendig ist ein Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs, mehr Wege und Abstellflächen für Zweiräder und zusätzliche Maßnahmen für die Sicherheit schwächerer Verkehrsteilnehmer.
„Wir plädieren dafür, die im November im Bundesrat gescheiterte Reform des Straßenverkehrsrechts wieder auf die Agenda zu setzen“, sagte Fübi.
Die Kommunen bräuchten mehr Entscheidungsfreiheit bei der Gestaltung des Verkehrs vor Ort. Darüber hinaus müsse die Regulierung mit der Digitalisierung der Fahrzeugtechnik Schritt halten. So sollte die Wirkung von Assistenzsystemen in Zukunft bei der Hauptuntersuchung besser geprüft werden. Dafür fehlt es an gesetzlichen Grundlagen. Software-Updates der Hersteller müssen so gestaltet werden, dass sie die Sicherheit der Fahrzeuge nicht beeinträchtigen. Die Prüforganisationen brauchen für ihre Kontrollen Zugang zu den sicherheitsrelevanten Daten eines Fahrzeugs. Nicht zuletzt plädiert der TÜV-Verband für einen Ausbau der Verkehrserziehung von Kindern und Jugendlichen.
„Unser Verkehrssystem wird immer komplexer, die Durchfallquoten bei den Führerscheinprüfungen steigen und mit der Cannabis-Legalisierung kommt eine neue Herausforderung auf uns zu“, sagte Fübi. „Die Schulen brauchen hier einen neuen Auftrag und Eltern mehr Unterstützung.“
Das Institut Ipsos hat im Auftrag des Tüv-Verbands zwischen dem 14. März und 3. April dieses Jahres rund 2.500 Menschen befragt. Die Fragen und Antwortmöglichkeiten im Wortlaut sind im Studienbericht einsehbar.
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