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Studie: Verkehrswende könnte mehr Arbeitsplätze schaffen

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung setzt einen Gegenakzent zu Horrorszenarien der Industrie und rechnet vor, wie die Verkehrswende durch mehr Jobs in Rad- und ÖPNV-Industrie netto sogar nützen könnte.

„Für die Mobilitätswende braucht es Menschen", meint DB-Personalvorstand Martin Seiler. Etwa Lokführer für die Berliner S-Bahn wie Wael Al Imam, der als 22.000 Mitarbeiter im Jahr 2021 bei der DB AG angestellt wurde und eine Ausbildung macht. | Foto: DB
„Für die Mobilitätswende braucht es Menschen", meint DB-Personalvorstand Martin Seiler. Etwa Lokführer für die Berliner S-Bahn wie Wael Al Imam, der als 22.000 Mitarbeiter im Jahr 2021 bei der DB AG angestellt wurde und eine Ausbildung macht. | Foto: DB
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Johannes Reichel

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat in einer neuen Studie vorgerechnet, wie die Verkehrswende unter dem Strich sogar mehr Arbeitsplätze schaffen könnte, als in der angestammten Auto- und Zulieferindustrie durch die Transformation zur Elektromobilität verloren gehen. Damit setzt die Stiftung der Links-Partei einen Gegenakzent zu der Argumentation großer Teile der Industrie von Autoherstellern und Zulieferern, die vor einem massiven Arbeitsplatzverlust im Zuge der Umstellung warnen. In dem 400-seitigen Werk "Spurwechsel. Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion" untersuchen die Autoren um Mario Candeias, Direktor des Rosa-Luxemburg-Instituts für Gesellschaftsanalyse, in zwei Szenarien, wie sich die Verkehrswende sogar für den Aufbau guter und qualifizierter Jobs nutzen ließe.

Dabei saßen die Forscher aber nicht nur am Schreibtisch, sondern gingen in die Betriebe der Auto-, Schienen- und Busindustrie, veranstalteten Workshops mit den Beschäftigten und Verantwortlichen und suchten den Schulterschluss zur Gewerkschaft ver.di ebenso wie zu den Aktivisten von "fridays for future". Ziel war nicht weniger, als einen "Brückenschlag" zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung zu erproben.

Dabei rechnen die Autoren zwei Szenarien durch:

  • Szenario 1: Verdoppelung der Zahlen im ÖPNV- und Bahn- sowie im Radverkehr, was man auf ein Arbeitsplatzpotenzial von zusätzlich 214.000 hochrechnet.
  • Szenario 2: Steigerung der Fahrgastzahlen um den Faktor 2,5, was sogar in 314.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen münden würde.

Notwendig sei dafür aber, dass man nicht bloß eine Antriebswende, sondern im Szenario 1 auch eine "moderate Mobilitätswende" vollziehe, mahnen die Autoren. Es genüge nicht, nur Verbrenner auf Elektroantriebe umzustellen. Je 10.000 neue Jobs könnten so in der Fahrrad- und in der Elektrobus-Industrie entstehen, ganze 100.000 neue Arbeitsplätze in der Schienenindustrie.

Für das Szenario 2 einer "ambitionierten Mobilitätswende" prognostizieren die Autoren sogar einen Faktor 2,5, durch den 215.000 bis 314.000 neue Jobs entstehen, weil mehr Züge, Busse, Schienen, Oberleitungen, Stellsysteme oder Pedelecs benötigt würden. Das Gesamtpotenzial wäre noch deutlich höher, wenn man eine "kurze Vollzeit für alle" ansetzen würde, also eine Arbeitszeitreduktion, die flexibel um die 30-Stunden-Woche kreist. Dann sieht man ein Gesamtpotenzial von bis zu 323.500 bis 436.500 zusätzlichen Arbeitsplätzen für Szenario 1 und Szenario 2. Insgesamt könne diese "sozial-ökologische Transformation" den Verlust an angestammten Arbeitsplätzen in der Autoindustrie somit sogar überkompensieren. Hier gehen die RL-Autoren von einem Wegfall von 275.000 Stellen im direkten Automobilumfeld bis 2030 aus.

"Spätestens seit dem Dieselskandal und wegen des Umgangs des Unternehmens mit den Mitarbeitern ist dieses Gefühl „Wir Benzler“ nicht mehr da. Wenn ich ähnliche finanzielle Möglichkeiten hätte, eine ähnlich interessante Tätigkeit, dann würde ich auch zur Bahn gehen“, zitiert die Studie stellvertretend einen Ingenieur bei Daimler.

Detroit-Szenario droht nicht

Das berühmt-berüchtigte "Detroit-Szenario", in Anspielung auf den industriellen Kahlschlag in der einstigen Autometropole in den USA, könne also abgewendet werden. Allerdings sortieren sich die Autoren um Candeias selbst bei ihrem "moderaten" Ansatz über dem ein, was selbst die ÖPNV-Unternehmen zum Ziel gesetzt haben. Der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) peilt eine Steigerung von 25 Prozent bis 2030 an.

"Es braucht eigenständige und weitergehende Konzepte und Praxen für eine wirkliche und gerechte Mobilitätswende und einen sozial-ökologischen Umbau der Mobilitätsindustrien. Das geht nur gemeinsam, Beschäftigte und Gewerkschaften aus unterschiedlichen Bereichen, zusammen mit Umwelt- und Klimabewegung, der gesellschaftlichen und politischen Linken sowie kritischer Wissenschaft. Das ist nichts Neues. Aber es wird Zeit", konstatieren die Autoren dennoch.

Die Transformation sieht man in vollem Gange. Die Stichworte für den Umbau der Automobilindustrie in Deutschland sind Transnationalisierung, verschärfte Konkurrenz und Verlagerungen, der nächste Rationalisierungsschub (Industrie 4.0), die Digitalisierung der Mobilität und die notwendige und begonnene ökologische Modernisierung, die den Antriebswechsel auf E-Mobilität einschließt. Jeder dieser Aspekte sei verbunden mit Druck auf tarifliche Standards, Löhne und Arbeitsbedingungen, mit wachsenden Anforderungen und Arbeitsverdichtung, Unsicherheit und Beschäftigungsabbau in Größenordnungen von mehreren Hunderttausend. Wenig wahrscheinlich sei, dass in diesem kapitalseitig betriebenen Umbau die Interessen der Beschäftigten verteidigt oder Umwelt und Klima ausreichend geschützt werden, warnt man.

"Wenn man mit so etwas wie Verbilligung des öffentlichen Nahverkehrs einsteigt – das interessiert die Leute. Dann kann man auch im zweiten Nebensatz sagen, dass dieser Schritt auch dazu führen soll, dass die Leute ihr Auto zu Hause lassen, um das Klima zu schonen. Dann ist man allerdings schon in der Diskussion“, meint etwa ein Vertrauensmann bei Daimler.

Aussagen in diesem Video müssen nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.
 

Keine Abkehr vom motorisierten Individualverkehr

Der Verkehr sei für ein Fünftel des CO 2-Ausstoßes in Deutschlands verantwortlich. Während in allen anderen Bereichen die Emissionen zumindest zurückgehen, sei der CO2-Ausstoß im Verkehr seit 1990 sogar um 170 Millionen Tonnen gestiegen, skzizzieren die Autoren weiter. Dabei seien die 1,5-Tonnen-Elektro-SUV, die nun gebaut werden sollen, auch nicht wirklich eine ökologische Lösung, wie die Autoren einen Bandarbeiter zu Wort kommen lassen.

"Mein Auto wird ja nicht dadurch umweltfreundlicher, dass ich sechs Säcke Zement hinten reinlege. Das ist genauso absurd wie die Elektrostrategie der Konzerne, Zweieinhalb­-Tonnen­-Autos mit Batterien zu versehen. Man muss nicht Physik studiert haben, um zu kapieren, dass das Unfug ist. Es geht um Profitmaximierung und um das Abgreifen staatlicher Prämien. Mit Klimaschutz hat das nichts zu tun, abgesehen vom Marketing", zitiert man einen Betriebsratsvorsitzenden im VW-Werk Kassel.

Die Kolleg*innen seien sehr skeptisch gegenüber der "Transformationsstrategie" der Konzerne, meinen die Autoren mit Verweis auf eine Befragung der RL-Stiftung unter Beschäftigten der Autoindustrie. Das E-Auto werde zwar als Lösung präsentiert, aber es sichere weder ausreichend Beschäftigung noch sei es besonders ökologisch: Der Ressourcenverbrauch, vor allem bei seltenen Erden, sei schließlich enorm. Von einer Abkehr vom Individualverkehr könne keine Rede sein, meint der Arbeiter stellvertretend.

"Eine sozial- ökologische Transformation braucht unglaublich viel Arbeitskraft. Für den Umbau sind viel mehr S-Bahnen, Straßenbahnen, Regional- und Fernzüge nötig, neue Leitsysteme, Schienen, Werkstätten, ganze E-Bus-Systeme mit Oberleitung, E-Klein- und Rufbussen, spezialisierten E-Nutzfahrzeugen etc., Cargo- und E-Bikes – alles auch für den maßvollen Export. Das muss ja alles hergestellt werden. Das wäre dann eine echte Mobilitätswende statt nur einer einfacheren Antriebswende", formulieren die Autoren in ihrer Zusammenfassung.

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