Strategie: Daimler sucht sein Heil im Luxus und forciert Elektrifizierung
08.10.2020
Johannes Reichel
Daimler-Chef Ola Källenius hat bei einer Investorenkonferenz im Stuttgarter Firmenmuseum eine Kurskorrektur in der Produktstrategie angekündigt. Künftig will der Konzern wieder verstärkt auf das margen- und renditestarke Luxussegment oberhalb der Premium-Klasse setzen.
"Wir wollen die begehrenswertesten Fahrzeuge der Welt bauen. Entscheidend ist, dass wir unsere Stärke als Luxusmarke nutzen, um ökonomischen Wert zu schaffen", erklärte Källenius.
Daher will man die Submarken wie Maybach oder AMG zu eigenständigen Marken entwickeln und auch überraschende Erfolgsgeschichten wie die des einstigen Militärgeländewagens und zum Luxusobjekt avancierten G-Klasse fortschreiben.
Immer mehr reiche Kunden weltweit
Weniger die Rede war in der umfangreich dargelegten Präsentation vor Investoren von der Nachhaltigkeit und Ökologie, mehr von der Ökonomie. Daimler muss erst einmal wieder Geld verdienen, wie es scheint. Das lasse sich mit weniger, aber teureren Fahrzeugen leichter bewerkstelligen, so die Logik. Das Potenzial sei vorhanden, rechnete Källenius vor. Zwischen 2015 und 2019 habe sich der Verkauf der in der Basis 100.000 Euro teuren G-Klasse verdoppelt auf 32.000 Exemplare des vierschrötigen Geländemobils. Bald gebe es 95 Millionen Menschen, denen jährlich mehr als 250.000 Euro für Extraausgaben zur Verfügung stünden. Aus den Niederungen des immer härteren Wettbewerbs in der Premium-Klasse will man sich damit ein Stück weit befreien.
Teilzeitstromer im Aufwind: Hoher PHEV-Anteil
Einstweilen vermeldet der Konzern einen steigenden Anteil an elektrifizierten Fahrzeugen im Verkauf. Trotz "herausfordernder Bedingungen" durch die COVID-19-Pandemie habe Mercedes-Benz Pkw in Deutschland im dritten Quartal mit 84.676 Einheiten den Absatz des Vorjahres übertroffen (+4,0%). Die Auftragseingänge bei Mercedes-Benz Pkw Deutschland lagen im dritten Quartal deutlich über dem Vorjahr (+20%). Mehr als jedes fünfte Fahrzeug der im dritten Quartal verkauften Mercedes-Benz Pkw und smart Modelle sei ein sogenannter xEVs, im September erhöhte sich dieser Anteil auf jedes vierte Fahrzeug.
Die meisten davon stammen allerdings aus dem Fundus von mehr als 20 Plug-in-Hybrid-Modelle, zu denen 2021 noch die PHEV-Version der neuen S-Klasse mit 100 km Reichweite stoßen soll, aber keine vollelektrischen Fahrzeuge. Hier gibt es von Mercedes-Benz bisher nur die jüngst gelaunchte Großraumlimousine EQV sowie schon etwas länger den vom SUV GLC abgeleiteten EQC sowie die Smart-Modelle mit E-Antrieb. In der Kompaktklasse soll noch in diesem Jahr die Produktion des EQA, des vollelektrischen Bruders des GLA, später folgt in 2021 der EQB.
Gas geben bei den Stromern: EQS soll schon 2021 kommen
Im Rahmen der Strategie "Electric First" kündigte das Unternehmen vier neue Elektrofahrzeuge an, die auf der kommenden Electric Vehicle Architecture (EVA) basieren werden. Die Luxuslimousine EQS wird das erste Modell auf dieser neuen eigenständigen Plattform sein und mit einer elektrischen Reichweite von mehr als 700 km (WLTP) 2021 auf den Markt kommen. Auf dem Weg zur Serienreife absolviere der EQS gerade die letzten Tests, unter anderem im Prüf- und Technologiezentrum (PTZ) in Immendingen, heißt es jüngst. Produziert wird der EQS zudem gemeinsam mit der neuen S-Klasse in der „Factory 56“ in Sindelfingen.
Die getarnten Prototypen in der Erprobung lassen wesentliche Gestaltungsmerkmale wie das Cab-Forward-Design oder die coupéhafte „One Bow“-Gestaltung erkennen. Ebenfalls schon erprobt werden der EQS SUV, EQE und EQE SUV, die folgen sollen. Zusätzlich werden AMG, Maybach und G-Klasse elektrifiziert. Auf Basis der zweiten neukonzipierten elektrischen Fahrzeugplattform, der Mercedes-Benz Modular Architecture (MMA) für Fahrzeuge im Kompakt- und Mittelklasse-Segment, würden ab 2025 weitere Modelle das Elektrofahrzeug-Portfolio komplettieren, so das Versprechen.
Auch bei der Elektrifizierung der leichten Nutzfahrzeuge "unter dem guten Stern" geht es allmählich voran: Der Absatz der batterie-elektrisch angetriebenen eVito und eSprinter habe sich im dritten Quartal um 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesteigert, vermeldete der Konzern.
EQXX: Die nächsten Schritte im Blick, Software aus dem Haus
Mit dem Technologieprogramm Vision EQXX kündigt der Hersteller zudem einen nächsten Schritt in der Entwicklung von Elektrofahrzeugen an. Das Ziel sei maximale Effizienz und Reichweite, wofür die Entwicklungsabteilung ein funktionsübergreifenden und multidisziplinären Team in Stuttgart gründet. Dieses werde von Spezialisten der britischen Mercedes-Benz F1 HPP-Gruppe unterstützt, die ihr Fachwissen über E-Motoren sowie ihre vom Motorsport inspirierte Entwicklungsgeschwindigkeit einbringen sollen. Aus diesem Technologieprogramm werden Innovationen schnell Einzug in die Serienfahrzeuge finden, so das Versprechen.
Im Bereich der Fahrzeug-Software will man Tesla und deren proprietärer Strategie ebenfalls Paroli bieten und setzt auf das eigenentwickelte MB.OS-Betriebssystem. Es soll 2024 auf den Markt kommen und die zentrale Kontrolle aller Fahrzeug-Domänen und damit über die Schnittstellen zum Kunden ermöglichen, was der Konzern als essentiell erkannt hat.
„Wir streben bei Mercedes-Benz nicht weniger als die Führung im Bereich der Elektromobilität und Digitalisierung durch eine intelligente Plattformstrategie und einen softwarebasierten Ansatz an“, erklärte Markus Schäfer, Mitglied des Vorstands der Daimler AG und Mercedes Benz AG, verantwortlich für Daimler Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars COO.
Den Mercedes-Weg: Eigenentwicklung und Kooperation
Dabei verfolge man einen eigenen, "den Mercedes-Weg" und wolle mit den Elektrofahrzeugen eine intuitive und luxuriöse Erfahrung bieten. Das geschehe mit der eigenen Entwicklungsabteilung, aber auch strategischen Partnerschaften, so Schäfer weiter. Der Plan ist, ab 2025 für alle neuen Architekturen mittels hoher Gleichteilquoten, dosierter Investitionen sowie weiter fallender Batteriekosten hohe Deckungsbeiträge zu erreichen, skizziert Schäfer. Nach der Prognose von Daimler wird der Anteil von elektrifizierten und vollelektrischen Fahrzeugen bis 2030 mehr als 50 Prozent des weltweiten Absatzes ausmachen. Dagegen würden die Investitionen in Verbrennungsmotoren schnell zurückgehen und die Zahl der Varianten bis 2030 um 70 Prozent reduziert, avisierte Schäfer.
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