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Stadler Flirt: Schickt der Akku-Zug den Diesel aufs Abstellgleis?

Mit dem ersten Einsatz eines Akku-Triebwagens ab Sommer in Schleswig-Holstein könnte sich die Verkehrswende auf der Schiene beschleunigen. Vor allem in Ländern mit mäßig elektrifizierten Strecken, wie SH oder Bayern ließen sich Lücken rascher schließen.

Von wegen reif fürs Museum: Zum ersten bundesweiten „Tag der Schiene“ im Technikmuseum Berlin gab's Fahrten mit dem neuen Akku-Zug von Stadler durch den angrenzenden Gleisdreieck-Park. So könne das Zuggefühl der Zukunft schon mal ausprobiert werden, warb die Stiftung. | Foto: SDTB/Kirchner
Von wegen reif fürs Museum: Zum ersten bundesweiten „Tag der Schiene“ im Technikmuseum Berlin gab's Fahrten mit dem neuen Akku-Zug von Stadler durch den angrenzenden Gleisdreieck-Park. So könne das Zuggefühl der Zukunft schon mal ausprobiert werden, warb die Stiftung. | Foto: SDTB/Kirchner
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Johannes Reichel

Mit dem Einsatz des ersten Akku-betriebenen Zuges könnte sich das Ende der Diesel-Loks ab Sommer beschleunigen. Erstmals weltweit kommt in Schleswig-Holstein ein Batteriezug zum Einsatz, vom Schweizer Hersteller Stadler Typ Flirt Akku. Weitere 54 Züge von dem Typ für den Regionalverkehr sind bestellt. Pro Jahr will die SW-Bahn damit 26.000 Tonnen CO2 oder 10 Mio. Liter Diesel einsparen, weil sich damit Diesel-Züge ersetzen lassen. Der Flirt Akku kann sich an der Oberleitung aufladen und dann Oberleitungsfreie Strecken überbrücken, 150 Kilometer garantiert der Hersteller unter allen Bedingungen bei bis zu 160 km/h Höchstgeschwindigkeit in einem 100-Tonnen-Zug. Bei einer Rekordfahrt im Winter 2021 brachte es der Zug bereits auf 224 Kilometer. Das Umschalten von 15.000 auf 725 Volt soll nicht nur in Haltestellen, sondern auch während der Fahrt ruckfrei möglich sein. Die Lithium-Ionen-Akkus sind auf dem Dach und unterflur positioniert.

Bereits auf der InnoTrans 2018 präsentierte Stadler den ersten batterieelektrischen Prototypen bei Fahrgastfahrten außerhalb der Messe. Auf der InnoTrans 2022 stellt Stadler mit dem zweiteiligen FLIRT Akku nun das Serienfahrzeug für das erste batterieelektrische, dekarbonisierte Bahnnetz in Deutschland vor.

Premiere im Dieselzugland Schleswig-Holstein

Die Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein GmbH (NAH.SH) hatte als erster Aufgabenträger in Deutschland ein grösseres Netz für den Betrieb mit Schienenfahrzeugen mit alternativen Antriebstechnologien ausgeschrieben. Stadler konnte sich in der technologieoffenen Ausschreibung mit dem batterieelektrischen FLIRT Akku als wirtschaftlichstes Angebot durchsetzen und erhielt 2019 den Auftrag über 55 batterieelektrische FLIRT Akku sowie deren Instandhaltung über einen Zeitraum von 30 Jahren.

Voll klimatisiert und stufenlos begehbar

Der auf der InnoTrans vorgestellte 46 Meter lange FLIRT Akku für Schleswig-Holstein verfügt über 123 Sitzplätze sowie zwei geräumige und barrierefrei erreichbare Mehrzweckbereiche für die Mitnahme von Rollstühlen, Kinderwagen sowie Fahrrädern. Die voll klimatisierten und zwischen den Einstiegsbereichen stufenlos begehbaren Regionalfahrzeuge haben helle und grosszügige Fahrgasträume und sind mit einer rollstuhlgerechten Toilette ausgestattet.

Flexibel einsetzbar

Das Fahrzeug ist ausgelegt für nicht- oder nur teilelektrifizierte Strecken. Unter Oberleitung fährt das Fahrzeug klassisch elektrisch und lädt dabei seine Antriebsbatterien. Wenn die Oberleitung endet, kann auch während der Fahrt auf Batteriebetrieb umgestellt werden und die Fahrt ohne Unterbrechung fortgesetzt werden, skizziert der Anbieter weiter. Damit sei der Zug lokal CO2-emissionsfrei für eine Vielzahl von Strecken einsetzbar. Das Laden der Batterien sei neben der Fahrt unter Oberleitung auch an elektrifizierten Haltepunkten und mit standardisierten UIC-Vorheizeinrichtungen möglich. Zudem wird die kinetische Energie beim Bremsen rekuperiert. Auch sogenannte "Oberleitungsinseln" mit Schnelladern aus dem allgemeinen Stromnetz für einen Bruchteil der Kosten sind denkbar.

"Schleswig-Holstein war Vorreiter mit der Ausschreibung von Nachfolgern für die alten Dieseltriebwagen. Jetzt freuen wir uns auf die neuen Batterietriebwagen, die für uns ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu CO2-freiem Nahverkehr sind. Gleichzeitig bringen sie deutlich mehr Komfort für die Fahrgäste mit. Beides ist wichtig, wenn die Verkehrswende gelingen soll", erklärte NAH.SH-Geschäftsführer Arne Beck zur Innotrans 2022.

Jure Mikolčić, CEO Stadler Deutschland, sieht den Akkuzug als wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Verkehrswende, mit batterieelektrischen Triebzüge könnten heutige Dieselstrecken umweltfreundlich und energieeffizient betrieben werden.

Erst der Anfang: Weitere Akkuzüge beauftragt

Stadler ist Marktführer im Bereich der batterieelektrischen Triebzüge, obwohl das Schweizer Unternehmen im Heimatmarkt dafür keine Verwendung hat, weil alle Strecken elektrifiziert sind. Davon ist Deutschland weit entfern: Aktuell sind es gerade einmal 61 Prozent, bis 2030 will die Bundesregierung auf 75 Prozent kommen. Das wären 600 Kilometer pro Jahr. Und das, obwohl die meisten Pläne bisher unkonkret, die Planungen ohnehin langwierig und die Strecken kostspielig sind. Schlusslicht im Ranking ist übrigens Schleswig-Holstein, wo auf der Mehrzahl der Strecken noch mit Diesel gefahren wird. Auch Bayern liegt weit hinten, mit gerade einmal der Hälfte aller Strecken unter Strom.

Ausfälle sollten der Vergangenheit angehören

Da kommt die Schweizer Innovation gerade recht, die der Elektrifizierung einen unerhofften Schub verpassen könnte. Mindestens 113 Fahrzeuge vom Typ FLIRT Akku werden innerhalb der kommenden fünf Jahre in den Einsatz kommen. Im Auftrag der Deutschen Bahn entwickelt und baut Stadler insgesamt weitere 58 batterieelektrische Züge. 44 FLIRT Akku werden ab 2025 im südwestdeutschen Pfalznetz in den Fahrgastbetrieb gehen. 2026 werden mit dem Netz Warnow die ersten Batteriezüge in Mecklenburg-Vorpommern fahren.

Die Reichweiten der Fahrzeuge orientieren sich dabei an den Anforderungen der Netze. Die Probleme mit Ausfällen, wie bei dem Akkuzug von Alstom im 2022er-Testbetrieb in Bayern, sieht Stadler gelöst: Das Ausfallkonzept sei so gut, dass keine Gefahr bestehe, liegenzubleiben, erklärte Stadler-Akkuzugverantwortliche Evelyn Thiel jüngst gegenüber dem Spiegel.

Bundesregierung will der Schiene Dampf machen

Die "Beschleunigungskommission Schiene" der Bundesregierung schlug in ihrem Abschlussbericht jüngst vor, dass die Elektrifizierung bestehender Bahnstrecken künftig nicht mehr allein von einem positiven Nutzen-Kosten-Verhältnis abhängig gemacht werden soll. Strecken wie die Franken-Sachsen-Magistrale in Bayern könnten so doch noch möglich werden. "Wir brauchen die Elektrifizierung, denn nur so rücken internationale Direktverbindungen von Nürnberg und Nordostbayern über Südwestsachsen, Dresden und Ostsachsen bis nach Breslau oder Krakau in den Bereich des Möglichen", hatte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) im Dezember erklärt. Bayreuths Oberbürgermeister Thomas Ebersberger (CSU) hatte die Trasse als "schmutzigste Bahnstrecke in Deutschland" tituliert, wegen des Einsatzes von veraltetem Lok- und Zugmaterial mit besonders hohem Dieselverbrauch.

Konkurrenz keimt auf: Auch Alstom und Siemens starten durch

Apropos Alstom: Natürlich schläft auch die Konkurrenz nicht: Ab Dezember kommen auch in Baden-Württemberg Akku-Züge von Siemens und in Sachen solche von Alstom zum Einsatz. Scheint, dass die Batterieloks sich auch gegen die teure, ineffiziente und komplexe Brennstoffzellentechnologie, die erst favorisiert schien, durchsetzen. Dann ist die Schiene vielleicht der Vorbote der Straße, wo Batterie-Trucks den noch nicht einmal größer skalierten Fuel-Cell-Modellen bereits in der Startphase den Wasserstoff abgraben.

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