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Meinungsbeitrag

Spritpreis-Debatte: Gipfel der Heuchelei statt Wettstreit der Ideen

Logisch muss der Spritpreis steigen, um die Klimaziele zu erreichen. Und der Preis für Fahrstrom sinken, die beste E-Mobilitätsförderung. Außerdem sehen die Grünen ein Energiegeld als Ausgleich sozialer Härten vor. Was die Parteien von links bis rechts betreiben, ist Heuchelei. Und Wahlkrampf, statt Wahlkampf.

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Johannes Reichel

Gerade hat die Regierung ein vom Verfassungsgericht oktroyiertes verschärftes Klimaschutzpaket verabschiedet, da will man schon nichts mehr davon wissen und verfällt in alte Muster: Grünen-Bashing ist halt doch zu verlockend, mitten im Wahlkampf, der sich quasi mit der Erde rasch erhitzt. Es hilft nur nicht weiter - und ersetzt schon gar keine konstruktive Politik, immer auf den Überbringer der schlechten Nachricht einzudreschen, der wenigstens so ehrlich ist zu sagen, ohne gewisse, nun wirklich moderate Opfer auch hierzulande wird es nicht gehen mit der Klimawende. Das sehen übrigens auch die großen Umweltverbände so, die mit einem Brandbrief auf die absehbare Spritpreisdebatte in ehrlicher Empörung reagierten und die Politik aufforderten: "Stoppen Sie den unredlichen Wahlkampf auf Kosten des Klimas!".

"Wir fordern alle Parteien auf, um die wachsende Zahl von Wählerinnen und Wähler zu kämpfen, die mehr Klimaschutz wollen, statt durch unredliche Argumente gegen Klimaschutzmaßnahmen zu versuchen, diese Zahl wieder nach unten zu drücken. Denn wer heute wie Teile der Bundesregierung und auch anderer demokratischer Parteien Wahlkampf auf Kosten des Klimas führt, gefährdet die Zustimmung für die tiefgreifenden Veränderungen, die für die Klimaneutralität und den Stopp des Artensterbens notwendig sind. Beim Klimaschutz sind alle demokratischen Parteien in der Verantwortung. Wir appellieren daher an alle demokratischen Parteien: Ringen Sie um die richtigen Instrumente, wie die verfassungsgemäßen Klimaziele erreicht werden und das Artensterben gestoppt werden kann, und beenden Sie unredliche Desinformationen", heißt es unmissverständlich in dem Appell.

Und fragen Sie mal etwa die Bewohner der Insel Tuvalu, welche Opfer die heute schon bringen müssen für unseren Lebensstil. Sie verlieren gerade ihre Heimat. In Afrika oder dem nahen Osten sorgen durch den Klimawandel verstärkte Dürren für verheerende Ernteausfälle und blanken Hunger und echte Existenzfragen. Und hier wird über 16 Cent gejammert. "First world problems" ... Aber das nur nebenbei.

Destruktion in Sachen Klimaschutz ist man ja gewohnt von der AfD oder der FDP oder vom CSU-Bundesverkehrswendebremsminister Andreas Scheuer, der viel zu oft sagt, was alles nicht geht, aber viel zu selten, wie es denn geht, mit dem effektiven Klimaschutz in der Mobilität, abseits von nebulösen Weisser-Ritter-Technologien.

Und der so auch jetzt wieder die je nach politischem Bedarf entdeckten "kleinen Leute" vorschiebt und den Grünen vorwirft, sie wollten "Verbote, Beschränkungen und den ländlichen Raum abhängen". Besonders bizarr und vollends unglaubwürdig: Die Union blockiert gerade die Beteiligung von Vermietern an den durch den CO2-Preis gestiegenen Heizkosten im Bundestag - und will hier nur die Mieter "brennen" lassen für den Klimaschutzaufschlag. Nebenbei: Die Union hat noch nicht einmal ein eigenes Wahlprogramm, das die eigenen Vorstellungen präzisieren würde.

Die SPD irrt orientierungslos umher

Dass jetzt auch noch der sonst so besonnene und zur stammtischfreien Differenzierung fähige und sonst so besonnene Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) einstimmt in den "Kanon des pubertären Populismus" und fabuliert, wer an der Spritpreisschraube drehe, zeige, wie egal ihm die Nöte der Bürgerinnen und Bürger seien, überrascht dann aber. Das zeugt doch eher von den Nöten der SPD - nämlich, eine klare Position zu finden. Dabei hängen Klimafrage und soziale Frage eng zusammen, erst recht, wenn man den Rahmen global zieht. Klimaschutz für alle, das wäre doch ein probater Wahlkampf-Claim für die sozialen Demokraten. Wenn die Grünen ihn nicht eigentlich schon besetzt hätten.

Denn unterschlagen wird von ihm wie allen anderen: Die Grünen sehen als einzige Partei ein Energiegeld als Ausgleich vor in Form eines Energiegelds vor.

Das ist gar nicht so unplausibel aufgesetzt: Wer viel CO2 ausstößt, der blecht halt auch viel. Wer also meint, einen fetten, spritintensiven SUV fahren und ein riesiges Haus bewohnen zu müssen, der darf das gerne tun, aber er erhält dann eben kein "Energiegeld" aus den zusätzlichen CO2-Steuereinnahmen zurück. Dagegen bekommt der/die Kleinwagen-Fahrer*in mit Familie und eine bescheidenen Behausung pro Kopf für Kraft- und Heizstoffe mehr retour. Das ist keineswegs ein "Verbot", wie von Scheuer insinnuiert, sondern eine Erlaubnis und Belohnung für klimafreundliches Verhalten.

Und genauso muss es gehen: Wir müssen die Logik umkehren, um nicht mehr die strafen, die mühselig versuchen, nachhaltigen Lebensstil zu führen - oder einfach weder Zeit noch Geld haben, für einen CO2-intensiven Lifestyle mit Autos, Reisen, Wohnen.

Pendelnde Geringverdiener bekommen vielleicht noch was raus

Möglicherweise führt das sogar zu einer Überkompensation, was auch nicht schlecht wäre im Sinne des dringend nötigen sozialen Ausgleichs: Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den Merkel-Jahren immer weiter auseinander gegangen - und Autofahren oft bereits ein Luxus, wenn man irgendwie eine Wohnung in der Stadt behalten will oder bezahlen muss. "Klimaschutz lässt sich sozial gestalten, man muss es nur wollen", konterte die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock insofern treffend. Die Koalition solle sich einfach an die eigenen Beschlüsse halten und sie umsetzen. Punkt. Klar ist: Natürlich muss der Spritpreis steigen, was denn sonst. So hat es die Koalition ja auch festgeschrieben, bis 2025 um 15 Cent pro Liter, 16 Cent bis 2023, wie von den Grünen jetzt vorgeschlagen, klingen da nicht allzu fern.

Und zugleich, könnte man hinzufügen, müsste der (Fahr)Strompreis sinken, das wäre ohnehin die beste E-Mobilitätsförderung abseits von teuren Kaufprämien.

Ab 2030 wollen die Grünen dann nur noch E-Autos neu zulassen. Auch das geht völlig in Ordnung, angesichts der Tatsache, dass bei den Lebenszykluskosten schon heute trotz hoher öffentlicher Fahrstrompreise E-Autos vor Verbrennern liegen, wenn sie nicht gerade der Luxusklasse entstammen. Aber da hat man ohnehin weniger Sorge um die Kosten. Und sollte sich mehr Sorgen um das Klima machen und mit gutem Beispiel voranfahren. Weil man es sich leisten kann - und deshalb auch (mehr) leisten muss! Wer durch die Nobel-Viertel der Republik wie etwa das berühmt-berüchtigte Grünwald fährt, bekommt vor lauter übermotorisierten Verbrenner-SUV und Hochleistungskreuzern dagegen den Eindruck: Das ist die Klimakrise der anderen! Elektrifizierungsgrad? Ausbaufähig!

Es beißt die Maus keinen Faden ab: Wollen wir die Erderhitzung in den Griff bekommen, können wir nicht in den reflexhaften Denk- und Debattenrastern der Vergangenheit verharren.

Und die Bundesbürger*innen sollten sich an die eigene Nase fassen: Sonntags in Umfragen zu drei Vierteln mehr Klimaschutz befürworten und montags gegen 16 Cent Spritpreiserhöhung wettern, das ist ebenso Heuchelei. 16 Cent, das ist auch erst der Anfang.

Wir brauchen einen Wettbewerb der konstruktiven Ideen, ein Ringen um die beste Klimaschutzlösung und keine Destruktion. Das ist sonst Wahl-Krampf statt Wahl-Kampf. Und diesen "Luxus" können wir uns nicht mehr leisten.

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