Rigide S-Pedelec-Regelung: Bloß kein Auto-Ersatz!
Während die Elektrofahrräder boomen, verharren die schnelleren sogenannten S-Pedelecs bis 45 km/h Höchstgewschwindigkeit mit nur einem Prozent Verkaufsanteil auf marginalem Niveau. Der Grund dafür dürfte auch in den rigiden Kriterien für die schnellen Strom-Bikes liegen, die seit langem von Rad- und Umweltverbänden kritisiert wird. Dazu zählen die Straßenbenutzungs- und Führerschein-AM- sowie Kennzeichenpflicht ebenso wie die Helmpflicht oder das Anhängerverbot. Auch Feld- und Waldwege dürfen nicht befahren werden. Die Promille-Grenze liegt bei 0,5.
"Es gibt keine Steigerungen wie im normalen E-Fahrradmarkt. Eine vertane Chance", erklärte Tim Salatzki, Leiter des Bereichs Technik und Normung beim Zweirad Industrie Verband (ZIV) jüngst gegenüber Spiegel Online.
Sogar der ADAC sieht in den schnellen E-Rädern großes Potenzial für Pendlerverkehre: Bis zu 20 Kilometer könne man ohne übermäßige körperliche Anstrengung mit dem Fahrrad statt mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln absolvieren, gab der Automobilclub zu Protokoll.
Der alternative Verkehrsclub Deutschland (VDC) sieht natürlich auch hohe "Verlagerungspotenziale" und verweist darauf, dass zwei Drittel aller mit dem Auto zurückgelegten Strecken unter zehn Kilometer ligen und das Durchschnittstempo in den meisten Großstädten bei lediglich gut 20 km/h liege. Selbst längere Strecken seien mit dem S-Pedelec im Pendelverkehr bestens ersetzbar. Man sieht großes Potenzial für die Verkehrswende und zur Reduktion des motorisierten Individualverkehrs in den Städten. "Innerstädtisch oder im Ballungsraum gäbe es bei den passenden gesetzlichen Rahmenbedingungen keinen Zeitverlust gegenüber dem Auto, und in puncto Stau und Parkplatzsuche sogar einen zeitlichen Vorteil", argumentiert ein Hintergrundpapier des Verbandes.
Auch das neue Verkehrsministerium sieht keinen Änderungsbedarf
Genau diese gesetzlichen Regelungen verhindern einen größeren Erfolg des Speed-Bikes, für deren Abfassung das "alte" Verkehrsministerium unter dem CSU-Mann Andreas Scheuer verantwortlich zeichnete, für deren Änderung aber auch FDP-Verkehrsminister Volker Wissing keine Notwendigkeit sieht. Man verweist laut Spiegel-Anfrage auf die Zuständigkeit der Bundesländer und ihrer Straßenverkehrsbehörden, aus straßenverkehrsrechtlicher Sicht bestehe kein Änderungsbedarf. "Durch Zusatzzeichen können Radwege für S-Pedelecs freigegeben werden", erklärte eine Sprecherin gegenüber dem Medium.
Wie schwierig das ist, zeigte der Präzedenzfall Tübingens, dessen Oberbürgermeister Boris Palmer seit 2010 auf eine Freigabe von Radwegen für S-Pedelecs pochte. Im Jahr 2019 erhielt er eine Erlaubnis und durfte im Rahmen eines Modellprojekts einen Radweg für S-Pedelecs freigeben und in der Zwischenzeit mit Höchsttempo 30 km/h als Netz auf Überlandstrecken erweitert. Andere Kommunen in Deutschland sind laut ADFC nicht bekannt.
Dagegen zeigt das Beispiel der Schweiz, wo der S-Pedelec-Anteil bei zwölf Prozent liegt und die schnellen Räder sogar seit etwa einem Jahrzehnt den Radweg benutzen müssen. In Deutschland seien allerdings viele Radwege zu schmal, sicheres Überholen nicht möglich, schränkt eine VCD-Sprecherin gegenüber dem Spiegel etwaige Überlegungen ein. Keine Probleme sieht man bei dem Verband in der Freigabe von Radschnellwegen für S-Pedelecs - oder bei der seit langem geforderten Einführung von Tempo 30 als Regeltempo in Städten. Dann könnten S-Pedelecs und Pkw im Verkehrsstrom mitschwimmen, was die Sicherheit für alle erhöhe. OB Palmer fordert derweil eine Aufklärungskampagne über die Potenziale der Speed-Bikes als Autoersatz. Der Politiker radelt hier mit gutem Beispiel voran, verzichtete auf den Dienstwagen und erledigt Termine zwischen fünf und 20 Kilometer Distanz mit dem S-Pedelec. Er findet die aktuelle Regelung weltfremd.
"Das wäre so, als dürfte man mit dem Porsche nicht mehr in die 30er-Zone, weil der Motor 300 km/h hergibt", befindet der streitbare Oberbürgermeister.
Was bedeutet das?
Man wird den Verdacht nicht los, dass die willkürliche S-Pedelec-Regelung in Deutschland vor allem eines bewirken soll: Dass genug Distanz zur "heiligen Kuh" Automobil geschaffen werden soll. Eine Art informelles und unausgesprochenes "Autoabstandsgebot". Anders sind die rigiden Regeln kaum zu erklären, von denen eine Helmpflicht noch die plausibelste ist. Aber nicht auf den Feldweg und nicht auf den Radweg und sich dafür dann von unkundigen Autofahrern anhupen oder schneiden zu lassen? Was soll das, will das Ministerium den Erfolg eines vielversprechenden Verkehrsmittels partout verhindern, damit alle weiter mit dem Auto aus dem Umland pendeln, die Städte verstopfen und im Stau stehen.
Wenn es was werden soll, mit der viel beschworenen Verkehrswende, die ja auch durch die von der FDP stets betonten "technologischen Innovationen" gelingen soll, dann wäre das allererste, hinderliche gesetzliche Regelungen wie diese abzuschaffen.
Keine Verbote, sondern Anreize wolle man schaffen, propagiert FDP-Chef Christian Lindner immer. Na, dann räumt doch mal dieses Quasi-Verbot auf die Seite - und schafft einen Anreiz, sich statt eines Autos ein schnelles Pedelec zuzulegen - auch als "Rad gewordene" eigene Unabhängigkeitserklärung von russischem Öl und fossilen Kraftstoffen. Und dann kann man gleich noch die willkürliche 45er-Regel für E-Scooter und LEVs beseitigen. Man müsste nur seine eigenen Worte ernst nehmen - und endlich ernst machen
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