Werbung
Werbung

Post zieht den Stecker bei StreetScooter

Wegen anhaltender Verluste und weil sich kein Käufer fand, stellt der Post-Konzern den Betrieb bei der Elektrofahrzeug-Tochter ein. Produktion wird eingestellt, 2021 nur noch fertige Fahrzeuge geliefert.

Auch das zweite StreetScooter-Werk in Düren war nie richtig in Fahrt gekommen, trotz massiven Werbens um Drittkunden außerhalb der Post. | Foto: DPDHL
Auch das zweite StreetScooter-Werk in Düren war nie richtig in Fahrt gekommen, trotz massiven Werbens um Drittkunden außerhalb der Post. | Foto: DPDHL
Werbung
Werbung
Johannes Reichel

Die Deutsche Post DHL AG zieht die Reißleine bei der Elektrofahrzeug-Tochter StreetScooter: Wegen anhaltender Verluste und weil sich kein Käufer fand, soll die Produktion noch in diesem Jahr eingestellt werden. 2021 würden nur noch bereits gefertigte Fahrzeuge ausgeliefert. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen weltwirtschaftlichen Unsicherheiten habe sich das Unternehmen entschlossen, die Sondierungen für eine Partnerschaft zu den StreetScooter-Aktivitäten nicht aktiv weiter zu verfolgen, heißt es in einer Mitteilung.

„Dank StreetScooter haben wir eine der größten elektrisch betriebenen Lieferflotten der Welt und bedeutende Impulse in Sachen Elektromobilität gesetzt. Wir haben immer gesagt, dass wir kein Autohersteller sein wollen", begründete DPDHL-Chef Frank Appel.

Eine weitere Skalierung ohne den richtigen Partner entspreche nicht unserer langfristigen strategischen Zielsetzung, so Appel weiter. Er zieht damit auch die Konsequenz aus der Tatsache, dass sich kein Investor oder Interessent für die Übernahme des Geschäfts fand. Auch der einstige Mitinitiator und Elektro-Visionär Günther Schuh, der als Rückkäufer zwischenzeitlich ins Spiel gebracht worden war, hat letztlich das erneute Risiko gescheut, zumal er mit der verschwisterten Elektro-Marke eGO eine weitere Ausgründung aus der RWTH Aachen zum Laufen bringen muss. Im Jahr 2019 soll der Verlust bei der Elektro-Tochter StreetScooter bei 100 Millionen Euro gelegen haben.

"Grundsätzlich ist E-Mobilität für das Unternehmen nur ein Hebel von vielen, um das Geschäft effizienter und damit nachhaltiger zu gestalten",hieß es weiter.

Deshalb widme sich das Unternehmen intensiv mit unterschiedlichen Hebeln wie zum Beispiel der Mitwirkung bei der Herstellung von alternativen Kraftstoffen, der Optimierung von Routen und der Energieeffizienz in den Gebäuden.

Rückstellungen für die Abwicklung

Der Konzern erhöht aufgrund der zu erwartenden Belastungen der Abwicklung die Rückstellungen um 300 bis 400 Millionen Euro, die für Abschreibungen, Abwicklung von Verträgen und Personalabbau anfallen könnten. Derzeit sind etwa 500 Personen bei der DPDHL-Sparte beschäftigt, speziell in den Werken Aachen und Düren. Diese reichten nie auch nur annähernd an die Kapazitätsgrenze von 20.000 Fahrzeugen jährlich heran. Bisher wurden insgesamt gerade einmal 11.000 Fahrzeuge der Typen Work L sowie in Kooperation mit Ford der größere Work XL gefertigt.

Bestehende Flotte servicen, Elektrifizierung auch mit Fremdmarken

Nun will man sich darauf beschränken, die bereits bestehende Flotte zu betreiben, einschließlich Wartung und Service. Der Personalbedarf dafür dürfte aber überschaubar sein. An der grundsätzlichen Entscheidung zur Elektrifizierung des Fuhrparks hält man allerdings fest. Nur kommen jetzt auch Fremdmarken in Frage. Speziell im letzten Jahre hatte sich das Angebot auch an größerformatigen E-Transportern hier mit VW, Renault und zuletzt Daimler sowie Ford dramatisch verbessert, wenngleich die Fahrzeuge noch immer sehr teuer sind. Die Kooperation mit Ford bei der Fertigung des KEP-Koffer-Zustellfahrzeugs Work XL war ohnehin auf die vorgesehene Stückzahl beschränkt und zuletzt ausgelaufen.

Corona-Krise: Ergebnis unter Vorbehalt, Rekord für 2019

Dem Vernehmen nach hat auch die Krise um den Corona-Virus die Entscheidung jetzt beschleunigt. Die Post hatte hier ihr Jahresziel von fünf Milliarden Euro Gewinn unter Vorbehalt gestellt, weil weniger Güter befördert wurden, speziell im chinesischen Markt. Im Februar hatte man 60 bis 70 Millionen Euro weniger verdient als ursprünglich geplant. Für das Vorjahr hatte man allerdings gerade ein um satte 30,6 Prozent gesteigertes Rekordergebnis von 4,13 Milliarden Euro bekanntgegeben. Der Umsatz des Konzerns sei im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 Prozent auf 63,3 Milliarden Euro gestiegen. Zu dieser positiven Entwicklung haben alle fünf Unternehmensbereiche beigetragen.

Was bedeutet das?

Es ist traurig zu sehen, wie eines der spannendsten automobilen Experimente der vergangenen Jahre sang- und klanglos abgewickelt wird. Wenn Post-Chef Appel sagt, "wir wollten nie ein Autohersteller sein", dann heißt das vor allem "ER" wollte das nicht. Denn letztlich wickelt er jetzt das Erbe von Jürgen Gerdes Ex-Chef des Paket- und Expressgeschäfts ab, der das visionäre, aus der RWTH Aachen 2010 von Günther Schuh und Achim Kampker herausgegründete StreetScooter-Projekt im Jahr 2014 unter das Dach des Konzerns geholt hatte.

StreetScooter, ganz klar, war auch immer "Appels ungeliebtes Kind" und der jetzige Verweis auf den Corona-Virus und die "weltwirtschaftlichen Unsicherheiten" klingen etwas vorgeschoben und fadenscheinig, als hätte man nur auf eine passende Gelegenheit zur Abwicklung gewartet.

Bei einem Rekordgewinn von über vier Milliarden Euro hätte man sich StreetScooter durchaus noch leisten können, bis die Marke eben doch irgendwann in die Gewinnzone gefahren wäre.

Das "Wann" allerdings ist die große Frage. Zuletzt hat der fix als Feuerwehrmann engagierte Jörg Sommer alles versucht: Internationalisierung, Kooperation in China mit Chery samt eigener Produktion, überhaupt Expansion in Fernost, zuletzt ein erster, signalhafter Deal mit Amazon Logistics, das spannende H2-Van-Projekt, all das sollte die Marke auf Stückzahlen bringen. Der hiesige Markt gab für ein solch spezielles Produkt offenbar nicht mehr Nachfrage her.

Vielleicht hatte der visionäre "Spiritus Rector" des StreetScooter, Achim Kampker, auch unterschätzt, wie sehr sich die Kunden an all den Komfort und den Luxus moderner Transporter gewohnt hatten.

Bei den Fahrern jedenfalls war der harsch gefederte, "knarzige", anfangs laut heulende und jedenfalls nicht unbedingt "fahrspaßige" "Work" nie sonderlich beliebt, bei der Post selbst gabe es zwischenzeitlich sogar Ärger mit dem Betriebsrat, speziell im Winterbetrieb krankte Reichweite und Heizung. Dann kam es bei einigen Modellen auch noch zu Bränden aufgrund fehlerhafter Verschweißungen an den Batterien. Doch mit der jüngsten Modellpflege zogen auch einige Komfortfeatures ein, alles also lösbare Probleme.

Trotzdem: Der Gedanke, dass ein Auto im Autoland Deutschland "nur" ein "Tool", ein "Instrument" sein könnte, das maximal reduzierte Elektro-Konzept, war vielleicht doch zu radikal - möglicherweise auch der Zeit weit voraus, wer kann das heute sagen.

Unter dem Strich war er wohl auch zu teuer für das, was er bot: Statt den angepeilten 20.000 Euro waren es eher 40.000 Euro Grundpreis. Zudem ist mittlerweile die etablierte Konkurrenz, bei der die Post einst nicht fündig wurde und daher selbst die Initiative ergriff, erwacht und steigt mit Macht in die gewerbliche E-Mobilität ein - eine Flucht nach vorn, schließlich dräuen die CO2-Flottengrenzwerte.

Wie auch immer, in dieser neuen Gemengelage, die ganz anders ist, als sie sich 2014 darstellte, mit Krisensymtomen und wirtschaftlicher Abkühlung und mit einem Chef, der stets streng auf die Rendite bedacht ist und dem der Geduldsfaden jetzt riss, hatte der StreetScooter keine Chance mehr auf eine Fortsetzung. Wie schade um die visionäre Idee, die jetzt nur als "Bestandsflotte" noch ein Weilchen weiterlebt. 

 

Werbung
Werbung