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polisMOBILITY 2022: VM-Fahrbericht Birò - kleiner ist feiner!

Weniger ist mehr: Mit diesem Ansatz will das venezianische E-Mobil-Start-up Birò die urbane (und geteilte) Mobilität aufmischen. Der 9.000 Euro teure Birò bietet einen perfekten Mix aus Ultrakompaktheit, Wetterschutz und Transportfähigkeit. Und fährt auch sonst viel Raffinesse auf, vom Tauschakku bis zur App-Steuerung. Das Wichtigste: Er fährt sich straff und wendig wie ein Go-Kart mit Hochdach.

Maximal minimal: VM-Redakteur Reichel im Gespräch mit Birò-Gründer Matteo Maestri über das Mikro-Mobil, das die urbane Mobilität umkrempeln und den perfekten Match zwischen Mofa und Auto bieten soll. | Foto: F. Floth/HUSS-VERLAG
Maximal minimal: VM-Redakteur Reichel im Gespräch mit Birò-Gründer Matteo Maestri über das Mikro-Mobil, das die urbane Mobilität umkrempeln und den perfekten Match zwischen Mofa und Auto bieten soll. | Foto: F. Floth/HUSS-VERLAG
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Johannes Reichel

"Mit diesem Mobil kannst Du Sachen machen, die Du vorher nicht machen konntest. Es steht für wahrhaft elastische Mobilität" - mit diesen Worten empfängt uns der Chef des italienischen Unternehmens Matteo Maestri. Während die deutschen Premiumhersteller aufrüsten, immer mehr Gadgets und Gimmicks in ihre Boliden quetschen, die man bisher eigentlich nicht vermisst hat (ein Kino zum Beispiel) und damit die Tonnage in Richtung Kleintransporter treiben, beschreitet ein italienisches Start-up den umgekehrten Weg: Lass alles weg, was Du nicht unmittelbar zum Fahren brauchst, ist die Devise von Biro. Das Ergebnis besetzt gerade mal 1,8 m² Fläche, ein Viertel eines "normalen" Autos. Und kostet auch ein Viertel eines Elektrofahrzeugs. Aus Sicht von Gründer Maestri bildet es so "the perfect match" zwischen Scooter und Automobil.

Die Entwicklung dauerte über zehn Jahre

Eigentlich passt Start-up nicht ganz: Zum Einen entwickelte Maestri schon seit 2009 nach dem "Trial&Error"-Prinzip an dem nur einen Meter breiten Mikro-Mobil. Und zum anderen ist der Anbieter ja eigentlich eine Marke des Herstellers Estrima, einem italienischen Unternehmen mit Wurzeln in der Entwicklung von Sicherheitskabinen für landwirtschaftliche und Industriefahrzeuge. Womit man schon mitten drin wäre. Ein USP des Birò ist die Sicherheit, die man gegenüber E-Scootern, Fahrrädern oder Mopeds neben dem offensichtlichen Wetterschutz ins Feld führt. So ist der Birò mit einem stabilen Stahlrohrrahmen ausgestattet, der wirklich was abkann, wie Mestri versichert. Natürlich nicht so viel wie ein fetter SUV. Aber der ist dafür auch für die Stadt völlig ungeeignet.

"Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann", zitiert Maestri ein Bonmot des französischen Schriftsteller und Piloten Antoine de Saint-Exupéry.

In der Tat: Die Übersicht in der maximal reduzierten, fast komplett gläsernen Kabine ist genial, im Sommer kann man die Türen einfach aushängen, das Dach lässt sich ankippen, sodass man luftig unterwegs ist. In der Variante mit dem mutigen Namen Birò Big, die mit 1,83 zehn Zentimeter länger oder besser weniger kurz misst, ist im Heck unter einer weit aufschwingenden Klappe oben und einer Pick-up-mäßigen Klappe unten Platz für bis zu 300 Liter Gepäck. Zudem gibt es ein kleines Fach fürs Kabel unter der Stummelnase sowie ein verschließbares Unterflurfach in Bierkastengröße, das bei der Variante mit Wechselakku den Energiespeicher beherbergt. Standard ist die Version mit 5,1 kWh-Lithium-Ionen-Akku, die mehr als ausreichende 100 Kilometer Reichweite sicherstellen soll.

Der kleine Stromer hat auch einen Spatzendurst

Alles dank eines "Spatzendursts", den das niedrige Gewicht und der effiziente E-Antrieb - bestehend aus zwei 48-Volt-Radnabenmotoren - ermöglicht: Zwischen 4 und 5 kWh/100 km sollen es nur sein, das braucht bei den Oberklasseboliden die Klimaanlage oder das Kino im Fond. Geladen wird mit Haushaltsstrom in vier bis sechs respektive zwei bis drei Stunden, weil Maestri findet, der Birò müsse immer und überall aufladbar sein, mit sparsamen und ladeverlustarmen 1 kW. "Slow charging" ist sein Motto. Der Wechselakku mit 3,2 kWh wiegt 27 Kilo, für die man nicht zwingend das Rollköfferchen bräuchte, aber es macht den simplen Wechsel etwas bequemer. einmal unter dem Heck eingeschoben rastet die Batterie automatisch ein und es kann weitergehen. Und zwar ordentlich!

Fast mutet das Gefährt an wie ein Go-Kart mit (1,56 Meter hohem und entsprechend luftigem Aufbau, so lässt sich der Birò in die Kurven werfen. Der Wendekreis ist irrsinnig klein, die Lenkung mit dem kompakten Volant wirklich so direkt wie auf der Kart-Bahn und die Straßenlage erstaunlich sicher. Die Karosserie wirkt steif, da knackt und knistert nichts, Seitenneigung ist dem Mobil fremd. Kein Wunder, man setzt beim Fahrwerk auf Einzelradaufhängung nach dem Vorbild der "großen" Autos. Zudem sind 13-Zöller wie beim Smart verbaut, die hydraulischen Scheibenbremsen verzögern zuverlässig. So dass man dem agilen Mobil neben den 45 km/h der mit Mofaführerschein fahrbaren Standardversion (L6e) auch die 60 km/h des "Topmodells" (L7e) zutraut.

Bürstenlose Radnabenmotoren

Die beiden Radnabenmotoren mit 3,3 kW Leistung (3,8 kW Bolt-Version bis 60 km/h) legen recht munter und leise heulend los, für mehr Speed gibt es wie bei Knight Riders "K.I.T.T." einen kleinen kupferfarbenen Boostknopf im spartanischen Cockpit. Das besteht aus Bremse und "Gas", Lüfter- und Heizungsknopf (beheizte Windschutzscheibe!), Gangwahlhebelchen, Blinker und Hupe, Tacho mit kleinem Display, USP-Anschluss, Handyhalter, ein etwas fetter, quer hängender Handbremshebel - und zwei halbwegs bequemen Hartschaumsitzen, die vor allem auch robust und Sharing-tauglich erscheinen. Kopfstützen sind kurzerhand an die Plexiglasrückwand getackert.

Vor dem Start scannt man über die eigenentwickelte Biró-App den QR-Code im Fenster und öffnet das Mobil, das man nicht anschalten muss, sondern das immer fahrbereit ist. So spartanisch das alles anmutet, aber hinterlegt ist immer eine Telematikbox mit GPS-Anbindung und Lokalsierung. Klar, primär peilt der Geschäftsmodell auf Sharing-Dienste, um die Nachhaltigkeit weiter zu erhöhen. Aber auch Privatleute und kommunale Fuhrparks hat man im Blick, wo die App-Basis natürlich auch das Handling erleichtert. "Jeder soll den Birò teilen können", findet Mestri. Und Sharing beginnt für ihn bei Familie und Freunden.

Kleiner fährt keiner: Für einen Euro 100 Kilometer

Nachhaltigkeit ist für Maestri aber auch, wenn die Dinge lange halten, womit sich der Kreis zum Minimalismus schließt: Die "brushless"-Motoren sollen kaum Verschleiß aufweisen, die Materialien sind langlebig und recycelbar. Und nachhaltig ist das Mobil auch für den Geldbeutel, womit Mestri seinen höchsten Trumpf zieht: 100 Kilometer fahren für einen Euro! Mit einem halben Liter Sprit kommt ein fetter SUV maximal bis zur Stadtgrenze ... Am besten er bleibt dann gleich draußen. Maestri ist kein "Ultra-Öko", sondern ein Pragmatiker: Er findet, für eine ferne Reise kann man ja dann einen Diesel nehmen. Aber in der City kommt man mit dem Birò eben deutlich weiter. Und, ja, stimmt schon, er macht Sachen möglich, die mit einem normalen Auto verwehrt bleiben. Quer in die Parklücke zum Beispiel. Mit diesem Konzept will Maestri nicht nur in engen italienischen Städten punkten, sondern sein "Weniger-ist-mehr"-Konzept europaweit und speziell auch in Deutschland ausrollen.  

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