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NOx: Wenn der Lungenarzt nicht rechnen kann

Die taz entdeckt einen peinlichen Rechenfehler des Pneumologen-Professors Köhler, der auch Verkehrsminister Scheuer blamiert. Zu befürchten sind Verzögerungen für die Verkehrswende.

Wie gefährlich sind Luftschadstoffe für Anwohner, wie etwa an der Landshuter Allee in München? Aus Sicht der Mehrheit der Mediziner äußerst gefährlich, keine Frage. | Foto: J. Reichel
Wie gefährlich sind Luftschadstoffe für Anwohner, wie etwa an der Landshuter Allee in München? Aus Sicht der Mehrheit der Mediziner äußerst gefährlich, keine Frage. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

In der neu entflammten Debatte um die Richtigkeit der Stickoxidgrenzwerte gibt es eine neue Wendung: Wie die Tageszeitung Die taz entdeckte, hat sich der Lungenspezialist Dieter Köhler, der in einem Papier gemeinsam mit 100 anderen Wissenschaftlern die Höhe der Werte als willkürlich bezeichnet hatte, grob verrechnet. Der Mediziner hatte den Vergleich mit einem Raucher gezogen, der "nach wenigen Monaten versterben" müsste, weil er binnen kürzester Zeit deutlich höheren Schadstoffmengen ausgesetzt sei als Menschen durch den Verkehr zu gewärtigen hätten. Köhler hatte die These aufgestellt, ein Raucher inhaliere in wenigen Monaten so viel an Stickoxiden wie ein Anwohner einer viel befahrenen Straße im ganzen Leben. Die taz rechnete nach und kam auf Basis der Zahlen auf ein ganz anderes Ergebnis: "Wer an einer viel befahrenen Straße wohnt, atmet während eines Lebens von 80 Jahren so viel Stickoxide ein wie ein starker Raucher in sechs bis 32 Jahren", schreibt die Zeitung.

Schädlichkeit steht für Mediziner außer Frage

Köhler reagierte auf den Hinweis mit der Aussage, das sei bisher noch niemandem aufgefallen. Offenbar auch dem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nicht, der auf Basis der von der Pneumologen-Zunft schnell als Minderheitenmeinung klassifizierte Köhler-These schnell aufgriff und eine Neuüberprüfung der Grenzwerte bei der EU verlangte. Zuletzt stellte EU-Umweltkommissarin Karmenu Vella aber klar, wenn man die Grenzwerte antaste, dann im Sinne einer weiteren Verschärfung. Auch das Forum der Internationalen Lungengesellschaften FIRS lehnte eine Lockerung der aktuellen Grenzwerte ab. Die Lunge sei das am stärksten betroffene Organ der Luftverschmutzung, darüber hinaus würden aber auch andere Organsysteme geschädigt und chronische Erkrankungen verschlimmert, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Auch Krebs, Herzerkrankungen, Schädigungen des Neugeborenen und Demenz seien mit Luftverschmutzung assoziiert, so die FIRS. Sogar unterhalb der Grenzwerte würden Schäden entstehen, vor allem Partikel unter 2,5 Mikrometer und "andere Dieselabgase" seien dafür verantwortlich.

Was bedeutet das? 

Man fühlt sich fast an die "Gaga"-These von den "alternativen Fakten" erinnert, die die Trump-Beraterin Kellyanne Conway einst erfand, weil ihr die Realität mit ihren "echten Fakten" nicht passte. Dass ein Bundesverkehrsminister derart zur "Trumpisierung" der deutschen Politik beiträgt wie Andreas Scheuer, der sich die Köhler-These flugs zu eigen machte, breitbeinig hinstellte und drohte, Brüssel jetzt mal richtig aufzumischen, ist ein Skandal im Skandal. Scheuer entfesselte den berühmten "Sturm im Wasserglas", wie sich jetzt herausstellt. Und die Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel spielt da auch noch mit und beauftragt eine Überprüfung der Messpraxis und der Werte durch die Leopoldina-Akademie. Dass Juristen nicht rechnen können, besagt eine Redewendung, aber auch mancher Mediziner hat es offenbar nicht so mit den Zahlen, wenn sie ihm nicht ins Weltbild passen. Der Schaden ist leider schon enstanden, denn nach dem Motto der Trumpisten, wirf' nur mit viel Schmutz, irgendwas bleibt immer hängen, wird in der Öffentlichkeit ein Zweifel an den Grenzwerten hängen bleiben. Und im Zweifel die Verkehrswende hin zu emissionsfreien Antrieben wieder ein bisschen verzögert. Und das ist dann wirklich verheerend.  

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