Mercedes Benz Drive Pilot: Autonomes Fahren nach Level 3 bis 95 km/h
Der größte Feind des Drive-Pilot und dessen Fahrpräsentation ist der Verkehr um Berlin: Das Team von Mercedes-Benz hat extra Popcorn, Magazine und Filme vorbereitet, dass wir uns am Steuer mal so richtig ablenken können, denn wir haben die offizielle „Abwendebefugnis“ bis 95 km/h! Heißt: der Benz denkt und lenkt und wir dürfen ganz offiziell was anderes machen – auf der Berliner Autobahn Richtung Leipzig.
Bis 95 km/h ist man "abwendebefugt"
Der Begriff der „Abwendebefugnis“ ist feinstes Amtsschimmeldeutsch und ist dem upgedateten Drive-Pilot zu verdanken, der jetzt bis 95 km/h agieren kann. Warum so eine krumme Zahl? Weil man sich dann geschmeidig hinter die bei 90 km/h abgeregelten Lkw hängen kann. Denn noch braucht unser EQS ein „Vorausfahrzeug“. Im Idealfall meldet der Drive-Pilot dann, dass er übernimmt und man darf sich dann ganz offiziell vom Verkehr abwenden und stattdessen zocken, Zeitung lesen oder Filme schauen bis der Arzt kommt, weil man sich den Magen mit Popcorn verrenkt hat. Alles schon passiert: Mercedes-Benz-Testfahrer berichten davon, auf dem Weg in und von der Arbeit schon ganze Filme oder Serienteile geschaut zu haben und in Berlin ging bei Testfahrten auch mal eine Packung von den Demopopcorn drauf, wie uns Dr. Martin Hart, seines Zeichens Head of autonomous driving bei Mercedes-Benz Pkw erklärt.
Der Drive Pilot bietet durch türkises Leuchten der Lenkradtasten an, zu übernehmen. Wir bestätigen, öffnen die Popcorn und springen über den Browser in den Mercedes-Benz Konfigurator. Wie würden wir uns den EQS konfigurieren? Und sind für den dichten Berliner Feierabendverkehr um uns herum tatsächlich sofort verloren! Bis uns Sekunden später ein schriller Warnton zurückpfeift: Der Lkw vor uns ist abgebogen und der übrige Verkehr zieht auf gut knapp 120 km/h hoch. Womit der Drive-Pilot seine Orientierung verliert, bis sich der Verkehr wieder verlangsamt.
Dann bietet er an, wieder zu übernehmen, steigt aber sofort wieder aus, da die tiefstehende Herbstsonne das Sensorset blendet. Da das System auf extreme Sicherheit ausgelegt ist, steigt es in dem Fall genauso aus wie bei Regen: Sobald die Feuchtigkeitssensoren im vorderen Radhaus zu starke Benetzung melden oder die Wischer ihre Arbeit aufnehmen, entzieht der EQS den am Lenkrad Sitzenden die Abwendebefugnis! Was er auch bei nahenden Baustellen, Einsatzfahrzeugen, Staus, wie eben zu niedrigem Sonnen- und zu hohem Nässestand tut.
Leider finden sich kaum noch weitere Lkw, weshalb wir Beschleunigen und stattdessen den Überholassistenten testen. Aber ach, die Lücke auf der mittleren Spur wird zu zügig geschlossen, dass wir nochmal warten: Dann –unter ewigem Blinken und vorsichtigem Heraustasten klappt es doch noch, ebenso wie das Einscheren vor dem Überholten. Irgendwann wird uns die rücksichtnehmende Warterei zu doof und wir treten die Pedale einfach selbst: Schnell durch die Ausfahrt geflogen über die Autobahnbrücke und auf den Rückweg durchbeschleunigt.
Das System ist sehr vorsichtig ausgelegt. In kniffeligen Situationen fährt man weiterhin besser aktiv selbst
Auch hier „peduell“ mit dem rechten Fuß, da manche Einfädelspuren in Berlin eigentlich gar nicht vorhanden sind oder nach maximal fünf Metern enden…der Benz nimmt einem das nicht krumm, man darf ihn jederzeit mit eigenen Aktionen „übersteuern“. Gut so, denn grundsätzlich fahren wir sehr gern selbst und müssen uns tatsächlich ein bisschen in die Menüstrukturen des Drive Pilot reinfuchsen, was etwas Geduld erfordert. Aber: man gewöhnt man sich als Sternenfahrerin oder -fahrer daran. Wie hochpreisige Premiums generell viele Möglichkeiten bieten, sich in diversen Menüs zu verl(ust)ieren.
Aber für lange Strecken wirkt das verlockend: Man sitzt dann –idealerweise nicht hinter einem großen Lkw, sondern hinter einem trödelnden Pkw ein bisschen wie im Zug und kann statt zu spielen, telefonieren oder zu surfen auch einfach die Landschaft genießen. Und lässt genüsslich einen fahren – den Mercedes-Benz in dem Fall! Womit einem die akribischen schwäbischen Ingenieure auch Zeit zurückgeben wollen und der Bahn Konkurrenz machen. Was in Summe dann doch schon ganz gut klappt, vor allem wenn das System dereinst mal weniger vorsichtig arbeiten darf.
Schneller (autonom) Parken: Vier km/h können richtig fix sein!
So wie der Parkassistent, dessen Maximalspeed man jetzt von zwei auf vier km/h verdoppelt hat. Was krass schnell ist, wie wir selbst erfahren durften: Die Challenge: Zweimal senkrecht (vorwärts und rückwärts) und einmal parallel einparken. Erst selbst kurbeln, dann das Auto machen lassen. Dank etwas Nutzfahrzeughintergrund sind wir nicht die schlechtesten Einparker und Rangierer, aber: Die E-Klasse kurbelt und rangiert autonom so viel schneller in die Lücken, dass wir das wirklich nicht mehr selbst machen müssen! Und ja, mit vier km/h in eine Parklücke – das ist wirklich schnell! So schnell, dass die E-Klasse vor der Wand dann sehr harsch abbremst, was man aber laut Dr. Martin Hart später vielleicht noch etwas sanfter programmiert; hier ging es ja drum, den Testenden mal zu zeigen, wie schnell das Auto mittlerweile selbst einparken kann! Sehr schnell.
Und klar kann es sich die letzten 100 Meter Anfahrt in die Lücke merken und die Nachfahren und wenn da auf einmal ein Blumenkübel im Weg steht, wird davor gewarnt. Dann kann man selbst anhalten, oder, falls es nur Gras ist, einfach weiterfahren. Das Alles erklärt uns unsere Beifahrerin überraschend aufwändig, während wir die E-Klasse rückwärts aus der senkrechten Lücke schieben und natürlich ihren Radelnden Kollegen übersehen, der das Auto zur automatischen Bremsung zwingt – klappt!
Letzte Challenge: Wir sollen einen EQS mit komplett abgeklebten Scheiben nur mit Kamerahilfe durch eine Reifengasse steuern und dann autonom parken lassen. Dazu kann man sich fünf verschiedene Views anzeigen lassen; aber wie unsere eher gern selbst fahrende Beifahrerin wählen wir die Ansicht von oben und dann je die Front- oder Heckkamera. Schräg hinten oder vorn gingen auch, sind aber eher sinnfrei. Womit wir den auch hinterradgelenkten Riesen gut durch die Gasse zirkeln können. Zumal er um sich herum im Meterabstand immer eine blaue Linie zeigt, die gelb und dann rot wird, wenn man Hindernissen allzu nah kommt.
Interessant: Wenn man den EQS bei der Übung nur durch wegnehmen des Fußes vom Bremspedal kriechen lässt, kommt einem das ohne Scheiben vor, als rast man mit 100 km/h durch die Pylonen! Weshalb Einzelnen bei dieser Übung tatsächlich so schlecht wurde, dass sie abbrechen mussten. Leider haben wir am Ende nicht ganz die ursprüngliche Startposition getroffen, um den übrigen hinterlegten Einparkvorgang automatisch machen zu lassen. Kleine Korrektur, bis der Rahmen um unseren EQS herum grün leuchtet und den Rest macht er von selbst – gefühlt wegen null Ausblick auch sehr schnell. Und ja, gerade in tricky Ein- und Ausparksituationen ist das einfach fein, die Kurbelei dem Auto zu überlassen und sich zu freuen, dass man auch hier irgendwie „abwendungsbefugt“ ist!
Was bedeutet das?
Autonomes fahren wird peu a peu Realität. Und entgegen aller Unkenrufe ist die deutsche Autoindustrie hier ganz vorn dabei. Die Vorführungen von Mercedes-Benz haben uns jedenfalls überzeugt.
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