Meinungsumschwung: Verkehrsminister Wissing rät von Verbrenner-Kauf ab
Nach einem guten Monat im Amt und ersten Irritationen um Äußerungen zu einem etwaigen Spritpreisausgleich, die dem neuen Verkehrsminister den Vorwurf einbrachten, er sei "Anwalt der Autofahrer", hat FDP-Politiker Volker Wissing eine Kehrtwende angedeutet. Gegenüber dem Medium "Tagesspiegel Background" äußerte der frühere Generalsekretär der Partei im Vorfeld seines ersten Bundestagsauftritts:
"Wir müssen die verschiedenen Energieträger dort einsetzen, wo sie am effizientesten sind. Das ist beim Pkw der E-Antrieb".
Damit erteilte er im Prinzip auch den noch im Koalitionsvertrag getroffenen Aussagen zum Einsatz von E-Fuels auch in Pkw, die sich dann länger mit Verbrennungsmotor betreiben ließen, eine Absage. Wörtlich heißt es im Ampel-Vertrag:
"Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können".
Wobei die Aussage in sich hinkt, weil die E-Fuels chemisch quasi identisch sind mit fossilen Kraftstoffen und daher eigentlich jedes Fahrzeug zur Betankung geeignet wäre. Offenbar hat sich Wissing, der als akribischer, sachlicher und dann entscheidungsfreudiger wie prinzipienfester Politiker gilt, von seinen Experten eines besseren belehren lassen und liegt nun auf Kurs mit den Grünen Koalitionspartnern, aber auch mit der weit überwiegenden Mehrheit aller Verkehrs- und Mobilitätsexperten.
"Auf absehbare Zeit werden wir nicht genug E-Fuels haben, um die jetzt zugelassenen Pkw mit Verbrennungsmotor damit zu betreiben", konstatierte Wissing nun.
Er schränkte vor dem Bundestag dann allerdings ein: E-Fuels seien ein Baustein, auch bei Pkw und jeder Beitrag zur CO2-Reduktion sei wichtig. Man müsse Mobilität daher auch künftig "technologieoffen" weiterentwickeln und könne nicht alles auf einen Antrieb setzen. Dennoch: Die E-Fuels werde man vor allem für den Luftverkehr benötigen. Seine Aussagen verband der Minister zugleich mit einer Warnung an die Verbraucher, weiter auf Verbrenner zu setzen.
"Die Nutzung fossiler Kraftstoffe wird in Zukunft teurer werden. Deshalb kann ich nur dazu raten, auf CO2-neutrale Antriebe umzusteigen".
Es solle dafür gesorgt werden, dass das Laden mit regenerativ produziertem Strom erschwinglich bleibe, versprach der Minister.
"Wenn man sich die EU-Regulierung anschaut, sieht man, dass die Entscheidung für die E-Mobilität längst gefallen ist. Wenn wir den Umstieg forcieren, schaffen wir auch unsere Klimaziele", befand der Minister nüchtern und vollzog damit auch einen kompletten Paradigmenwechsel gegenüber seinem Vorgänger Andreas Scheuer (CSU), der stets für sogenannte "Technologieoffenheit" plädiert hatte, ebenso wie FDP-Parteichef Christian Lindner.
Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 15 Millionen E-Autos auf die Straße zu bringen. Dafür müsse sich noch einiges ändern, forderte Wissing. Er sieht es auch als Aufgabe der deutschen Autoindustrie, die Bevölkerung zu überzeugen.
"Tesla ist es gelungen, mit seinen Modellen viele Käuferinnen und Käufer zu begeistern, dies würde ich mir auch für die deutschen Automobilhersteller wünschen", formulierte der Minister indirekte Kritik.
Von den Autoherstellern setzt vor allem Porsche auf E-Fuels, um sein ikonisches Modell 911 weiter in Betrieb halten zu können. Auch BMW hat sich zuletzt für E-Fuels ausgesprochen, für den Bestand gebe es "überhaupt keine Alternative zu E-Fuels", gab BMW-CEO Oliver Zipse jüngst zu Protokoll. Ganz anders der Volkswagen-Konzern, dessen Vorstandschef Herbert Diess klar den batterieelektrischen Antrieb favorisiert als die effizienteste und klimaschutzdienlichste Lösung. Er gestand zwar zu, dass man auch im VW-Konzern weiter an E-Fuels und Brennstoffzellen arbeite. "Für den Straßenverkehr ist es in der Breite aber Unsinn", wiederholte Diess zuletzt seine seit langem vertretene Meinung. Auch beim Premium-Konkurrenten Daimler ist man mittlerweile komplett auf batterieelektrische Antriebe umgeschwenkt, beendete das Kapitel Fuel-Cell bei Pkw und setzt nur bei der jüngst eigenständig gewordenen Lkw-Sparte noch auf Wasserstoff.
Tempo 30: Kommunen sollen selbst entscheiden können
Beim Thema des umstrittenen Tempolimits 30 in Kommunen bezog der Minister eine "hybride" Position. Zwar wolle er den Städten und Gemeinden mehr Freiheiten zur Gestaltung der Verkehrswende einräumen, was diese bei der Tempolimitierung bisher nicht leicht können.
"Die Kommunen vor Ort wissen am besten, was für ihre Bewohner gut ist", ließ er nun eine pragmatische Haltung erkennen.
Er selbst sei allerdings nicht überzeugt, dass ein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h innerorts sinnvoll sei, speziell an Durchgangsstraßen bezweifelte er dies. Kommunen könnten aber die Flexibilität nutzen, um etwa den Rad- und Fußverkehr sicherer zu gestalten oder den Lärm zu reduzieren. Das im Juli gegründete Städtebündnis für Tempo 30 ist mittlerweile auf 70 Kommunen angewachsen. Von einer City-Maut hält Wissing dagegen eindeutet wenig.
"Von zusätzlichen Belastungen durch Instrumente wie eine City-Maut halte ich wenig: Mobilität muss ein bezahlbares Angebot für alle bleiben", forderte Wissing.
Als Digitalminister setzte er im Verkehr allerdings auf eine effizientere Nutzung von Daten, etwa im Bezug auf Baustellenwarnungen, die via Cloud in die Navigationssysteme der Fahrzeuge gespeist werden sollten.
Was bedeutet das?
Wann hat es das zuletzt gegeben? Fakten- und nicht wunschbasierte Politik im Verkehrsministerium, das unter Vorgänger Andreas Scheuer (CSU) mit seinem Schlingerkurs doch den meisten Fachleuten eher ein "Verkehrsmysterium" blieb. Auch wenn der neue FDP-Minister vor dem Bundestag wieder ein wenig zurückruderte, seine grundsätzliche Aussage ist in der Welt und wenn ein Verkehrsminister vom Kauf eines Verbrenners abrät, dann lässt das an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Dass die Aussage von einem FDP-Mann kommt, überrascht dann aber doch wohl die meisten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen.
Es zeugt davon, dass sich Wissing, seinem Ruf als sachorientierter und faktenbasierter, pragmatischer, aber auch prinzipienfester Politiker gemäß, frei macht von Lobby-Interessen und inhaltlich falschen Einflüsterungen, und seine Politik klar auf ein Ziel ausrichtet: Den Verkehr bis 2045 klimaneutral zu machen.
Der Rückstand, den der eher in den 80er-Jahren lokalisierte Wünsch-Dir-was-Vorgänger und im wahrsten Sinne des Wortes "fossiler" Vollgas-Politiker Scheuer ihm hinterlassen hat, ist auch gemäß Wirtschaftsminister Habecks jüngster Klimainventur gewaltig. Scheuer tat im Prinzip immer nur das allernötigste, verteilte Gelder nach dem Gieskannenprinzip: Alles ein bisschen. Das genügt schon lange nicht mehr. Es braucht klare Ansagen und Fokussierung.
Wissing weiß, dass er sofort loslegen muss - und zwar mit allen Mitteln. Die Aufforderung, sich im Jahr 2021 keinen Verbrenner mehr anzuschaffen, passt zu dem stark wachsenden Angebot der Hersteller auch an reinen Stromern, die auch dank Prämie durchaus für jeden "Otto-Normal-Käufer", der im Schnitt 36.000 Euro für einen Neuwagen ausgibt, erschwinglich geworden sind. Zudem steigt das Angebot an gebrauchten E-Mobilen und die Möglichkeiten, E-Carsharing zu nutzen sowieso.
Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Das hat Wissing jetzt klargemacht. Und die Industrie zugleich aufgefordert, den E-Antrieb nicht mehr "hybrid" und halbherzig zu behandeln, sondern zu priorisieren. Dafür verdient er höchsten Respekt!
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