Kommentar Daimler-Strategie: Ist Nachhaltigkeit jetzt ein Luxus?
Daimler steckt zwischen Gestern, Heute und Morgen - und in diesem Spannungsfeld wirkt die jüngst vorgestellte neue Strategie nicht wirklich stringent: Einerseits propagiert man (viel zu spät) "electric first". Andererseits will man wieder Geld verdienen und die "Stärke als Luxusmarke nutzen, um ökonomischen Wert zu schaffen", wie Ola Källenius verkündet. Klar gibt es immer mehr Reiche auf der Welt, wie jüngst auch eine PwC/UBS-Analyse belegte: Corona hat sie absurderweise sogar noch reicher gemacht. Doch damit fegt man kurzerhand die Strategie des Vorgängers Dieter Zetsche über den Haufen, der die Marke Mercedes-Benz durchaus massentauglich gemacht hat mit "Ein bisschen-Premium-für-alle-Fahrzeugen" bis runter zur sehr beliebten A-Klasse. Umsatz und Absatz waren regelmäßig auf neue Rekordniveaus gestiegen.
So was bräuchte es jetzt in "elektrisch": Sozusagen ein Anti-Tesla 3. Schon Premium, aber noch "preis-wert" für das was das Fahrzeug bietet, vielleicht auch noch mit der Benz-Stärke einer hochwertigen Verarbeitung. Stattdessen spielte der Faktor "Luxus" eine viel zu dominante Rolle, bei der Präsentation der neuen Strategie: Viel war die Rede von "sophisticated luxury" mit Maybach (kommt 2021 wieder als S-Klasse-Ableger, wohl mit V8-Verbrenner) oder gar "adventurous luxury" mit AMG oder der Fortführung der - im Ernst jetzt - monströsen G-Klasse, die sich unter den düsteren Vorzeichen der Klimakrise geradezu absurder Beliebheit erfreut.
Der alles entscheidende Faktor Nachhaltigkeit kam fast vor wie "ferner liefen", die schöne Maxime vom "sustainable luxury", das Källenius bei der ersten Vorstellung des EQS auf der IAA 2019 ausgab, das wäre eigentlich das zu fokussierende Motiv gewesen. Denn das ist zugleich die offene Flanke von Elon Musk, der den Nachweis erst noch erbringen muss, dass seine im Verhältnis zu den verkehrlichen Möglichkeiten dies- und jenseits des Altlantiks heillos übermotorisierten kalifornischen Hedonisten-Stromer wirklich die Welt retten und so nachhaltig sind, wie sie vorgeben zu sein, und zwar "from cradle to cradle".
Gut dass man eiligst noch den Zwischenstand in Sachen "Zukunft" durchkabelte, sozusagen "Live from Immendingen" - und damit aber nolens volens der aktuellen Modellpalette und vor allem der jüngst präsentierten neuen S-Klasse von der Seite reingrätschte und den Rückspiegel vorhielt. Wer kauft noch einen S500 mit 435-PS-Turbo-Benziner und einem Verbrauch von knapp 10 l/100 km (oder halt 8 l/100 km beim S350er-Diesel), wenn es schon sehr bald einen EQS gibt, der mit 700 km Reichweite auch nicht weniger Ausdauer haben dürfte.
Die S-Klasse wird gegen den EQS schnell alt aussehen
Es wäre in Anbetracht der bewundernswerten Ingenieursleistung und des relativ zum Format akzeptablen Verbrauchs despektierlich von "dick und durstig" zu sprechen: Aber die neue S-Klasse bewegt sich antriebstechnisch, 48-Volt-Bordnetz hin, Plug-in-Hybrid (der erst nächstes Jahr kommt) her in der alten Welt, im konventionellen Rahmen. Und wird trotz aller Fahrassistenz auf höchstem Niveau, allem Komfort und Luxus, aller handwerklichen Finesse, die man in Untertürkheim noch immer meisterlich beherrscht, beim Schlüsselfaktor der Emissionen alt aussehen gegen diese flache Effizienzflunder, die da auf dem Testareal auf der Baaralb ihre lufwiderstandsarmen Runden zieht. Und die genauso sein dürfte, wie man sich einen Benz längst gewünscht hätte: Avantgarde und der Zeit voraus! Oder in Zeiten der Transformation zumindest auf Augenhöhe: Mit Tesla. Wie sagte Ola Källenius jüngst so schön beim neuland-Kongress der Rhein-Ruhr-City:
"In einer Transformation ist es nicht unüblich, dass neue Player reinkommen."
Källenius sieht dabei Covid 19 übrigens eher ein Beschleuniger als ein Verzögerer der Zukunft.
"Im Auge des Sturms gibt es Gelegenheit, über die Zukunft nachzudenken und die Zukunft wird nicht auf uns warten", übt sich der Daimler-Chef in knallharter Analyse.
Decarbonisierung und Digitalisierung seien die zwei Felder, die man beherrschen müsse, wenn man in Zukunft erfolgreich sein wolle. Während die Vergangenheit noch "nachdieselt", fährt diese Zukunft fährt schon mal vor: An der schönen oberen Donau.
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