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Meinungsbeitrag

Koalitions-Sondierungen: Diese Ampel hängt auf Gelb!

Entgegen aller Euphorie über die Ampel, die letztlich "alternativlos" ist, dämpft das erste Sondierungspapier die Erwartungen, dass sich die eine Rot-Grün-Gelbe Koalition wirklich einer radikalen Mobilitäts- und Klimawende verschreibt, wie sie Paris und Karlsruhe fordern. Die SPD blockt diskret bei CO2-Preis und Kohleausstieg, aber vor allem die FDP gibt sich bockig. Wichtigstes Symbol: Ausgerechnet das eigentlich selbstverständliche Tempolimit als "low hanging fruit". Ernst jetzt?!

Hängen geblieben: Die FDP beharrte auf ihrem Veto zum Tempolimit - und setzte sich durch. | Foto: AdobeStock
Hängen geblieben: Die FDP beharrte auf ihrem Veto zum Tempolimit - und setzte sich durch. | Foto: AdobeStock
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Johannes Reichel

Viel ist gerade die Rede von "Kröten, die man Schlucken müsse" und von Zumutungen. Abgesehen davon, dass man das Bild mit den "Kröten" ob des rasant voranschreitenden Artensterbens irgendwie schief finden kann, passt das mit den Zumutungen durchaus. Aber vor allem, weil es eine "Zumutung" ist, dass es da eine Partei in der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nächsten Regierung gibt, die sich allen Erkenntnissen und wissenschaftlichen Empfehlungen zum Trotz vehement gegen ein Tempolimit ausspricht, eigentlich eine Selbstverständlichkeit beim Ernst der Lage - und sogennannte "low hanging fruit": Bringt viel kostet nix. 

"Ein generelles Tempolimit wird es nicht geben", heißt es brüsk in dem Papier, sonst voll von "wollen" und "sollen".

Diese "Kröte", die gar keine ist und auch keine Zumutung, sondern im Gegenteil rasch zu vollziehende Klimaschutz- und Verkehrsicherheitsmaßnahme in einem, hätte die FDP schlucken respektive akzeptieren müssen, weil SPD und Grüne es wollten. Auch wenn es nun heißt, das sei ja "nur" Symbolpolitik, wäre gerade von einer Regierung, die für ein Modernisierungsprojekt steht, dieses hochaufgeladene, elende und ausschließlich deutsche Tempo-Thema eben auch ein Symbol gewesen für: "Wir haben verstanden" und "Wir meinen es ernst". Ein Tempolimit von 130 km/h ist wohl kaum für irgendjemanden in diesem Land eine wirkliche "Zumutung".

Überhaupt: Die Sondierer haben natürlich die undankbare Aufgabe, die Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, die sich in 16 Jahren Modernisierungsstau, Energiewendebremse und fossiler Fehllenkung angesammelt haben.

Aber sie werden nicht umhin kommen, den Bürgern klar zu machen, dass auf ALLE Zumutungen zukommen - und eben auch Verzicht oder Änderungen im gewohnten, leider viel zu klimaschädlichen Lifestyle und nicht zuletzt Mobiltätsverhalten.

Wobei die große Frage ist, ob es eine Zumutung bedeutet, morgens nicht im Stau zu stehen, sondern auf dem Fahrrad die frische Luft zu genießen und wirklich "mobil" zu sein. Oder statt in der Check-in-Schlange am Flughafen oder der Vollsperrung auf der Autobahn zu stehen bequem im Zugabteil zu sitzen - und längst zu arbeiten oder lesen oder halt zum Fenster rauszuschauen - autonom und elektrisch. Nur, weil es offenbar vielen Menschen an Fantasie fehlt, dass ein nachhaltigerer Lebensstil möglich ist, heißt das nicht, dass es ihn nicht gibt. Überhaupt: Die Vorteile und den Gewinn an Lebensqualität darzustellen, den diese Veränderungen nämlich auch bedeuten können, das gilt es für die künftigen Koalitionäre deutlich stärker herauszustellen.

Überhaupt: Die Vorteile und den Gewinn an Lebensqualität darzustellen, den diese Veränderungen nämlich auch bedeuten können, das gilt es noch stärker herauszustellen.

Ein Symbol, ja, aber eben auch ein wichtiges Signal

Stattdessen beharrt der offenbar von diesen Erkenntnissen völlig unbeeindruckte FDP-Zampano Lindner, der sich im Wahlkampf noch tief in der Nacht hart am Aktenlesen ablichten ließ, die aber offenbar keine Klima- oder Verkehrsstudien waren, auf dem völlig falsch verstandenen Liberalen-Motto: "Freie Fahrt für freie Bürger". Das soll dann am besten mit den "E-Fuels" möglich sein, die die Liberalen ins Sondierungspapier geschmuggelt haben:

"Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen
werden können", heißt es nebulös.

Beim Verbrennerausstieg konnte man sich nur auf die Minimalfloskel einigen: "Gemäß den Vorschlägen der EU-Kommission hieße das im Verkehrsbereich, dass in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden - entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus". Man wolle aber "Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen und dafür  den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur massiv beschleunigen". Dann kommt ein Part, der sich eigentlich von selbst versteht und daher ein entschlossenes "Futur" erhält:

"Im Rahmen klimafreundlicher Mobilität werden wir die Entwicklung intelligenter Systemlösungen für den Individualverkehr und den ÖPNV unterstützen".

Wie auch immer: Die Liberalen hatten auch mal mehr intellektuellen Tiefgang. Zum Beispiel unter dem damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher, als sie damals zu Beginn der 70er-Jahre die moderne Umweltpolitik in Deutschland aus der Taufe hoben - leider nur für kurze Zeit, bis Brandt zurücktreten musste und Genscher Außenminister wurde. Aber immerhin wiesen sie den Weg für die Umweltbewegung. 1970 wird ein Umweltsofortprogramm verabschiedet, im Oktober 1971 dann ein neues Grundsatzprogramm, die "Freiburger Thesen", einer von vier Abschnitten zum Thema Umwelt, wie die Süddeutsche Zeitung dankenswerterweise vor kurzem anlässlich des 50. Jahrestags aus den Archiven ans Licht holte. Den Umweltschutz wollen die Liberalen im Grundgesetz verankern. Nicht irgendwo, sondern in Artikel 2: als Grundrecht.

"Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen. Die Umweltkrise ist weltweit. Sie bedroht auch uns und unser Land", heißt es da.

Die "grüne Welle bei den Gelben" war aber nur von kurzer Dauer: Ab 1975 standen Ökonomie und Ökologie als Antipoden gegenüber, in den "Kieler Thesen" heißt es:

"Wer Umwelt und Ressourcen schützen will, darf nicht die Investitions­fähigkeit der Unternehmen einschränken, mit der Folge eines Wachs­tumsstops".

Im Prinzip ist das immer noch der FDP-Grundsatz, so einsichtig man sich nach Außen auch geben mag, dass es einen "menschengemachten Klimawandel" gibt. Und Einsicht heißt ja auch noch lange nicht Handeln. Aber es lässt neben der Verweigerung eines Tempolimits auch ebenso tief blicken, dass man sich heute, 50 Jahre später und ungleich dringlicher noch nicht mal auf einen konkreten CO2-Preis, ein marktwirtschaftliches Instrument, das der FDP eigentlich liegen müsste, einigen konnte. Dabei wäre das doch die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Kohleausstieg jetzt "idealerweise" vor 2030 geschafft werden solle, weil die Kohle schnell unretabel wird.

Das Energiegeld wird nicht erwähnt

Beides waren wohl Zugeständnisse an die SPD, die sich im Vorfeld dezidiert gegen einen früheren Kohleausstieg wie auch gegen CO2-Preis ausgesprochen hatte. Und das, obwohl von den Grünen und vielen Fachleuten vorgeschlagene Energiegeld als sozialer Ausgleich für höhere Spritkosten dienen sollte. Keine Rede ist auch von einer großen Mobilitätswende mit einer STVO-Reform oder dem mit minder wichtige Tempo 30.

Klar, ein Sondierungspapier ist kein Vertrag, aber es stimmt einen skeptisch, wenn nicht mal die Stichworte erwähnt werden. Und ebenso ist fraglich, ob damit der jetzt konkret zu verhandelnde Koalitionsvertrag auf "Kurs 1,5 Grad" gebracht werden kann. Aus Sicht von Klimawissenschaftlern wäre selbst das Grünen-Wahlprogramm in Reinform nur im absoluten "Best Case Scenario" konform mit 1,5 Grad, den Pariser Klimazielen oder den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts.

Klimaschädliche Subventionen abbauen - und hoffen, dass es reicht

Dass sich die FDP dann auch noch weigert, für mehr Klimaschutz die sogenannte Schuldenbremse aufzuweichen oder wenigstens partiell die Steuern zu erhöhen, wirft massive Finanzierungsfragen und dem Haushalt auf, dessen Spielräume Bundesfinanzminister und designierter SPD-Kanzler Olaf Scholz aber im Blick haben sollte. Kredite für Klimaschutz sind keine Schulden, sondern längst notwendige Investitionen ins Zukunftsmärkte. Wie hieß es die Formel einer Politikerin aus einer der unzähligen Talkrunden im Wahlkampf so schön: Es gibt keine Schuldenbremse auf einem toten Planeten.

Ob die FDP bereit ist, im Gegenzug zu ihrer Kreditverweigerung den ganzen "Besserverdiener"-Steuerwust aus Dienstwagen-, Diesel- und Kerosin-Privileg oder Pendlerpauschale oder auch die noch immer vorhandenen Alimentierungen für fossile Energieträger aufzuweichen, darf angezweifelt werden.

Auch wenn das Papier formuliert, man "wolle zusätzliche Haushaltsspielräume dadurch gewinnen, dass wir den Haushalt auf  überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen".

Drei bis sechs Milliarden alleine für Dienstwagenprivilegien

Nicht nur das Prüfen, auch das streichen von drei bis sechs Milliarden Euro teuren "Besserverdiener-Goodies" wie der ökologisch und sozial völlig fragwürdigen Dienstwagenbesteuerung wäre dringend nötig, um die Investionen in Mobilitäts- und Energiewende, in Lade- und Wasserstoffinfrastruktur,  aber auch um die bereits heute drastischen Klimakatastrophenschäden zu stemmen. Da kann man dann noch so viel "sollen" und "wollen" ins Papier schreiben, wie das die FDP auch schon in ihrem Wahlprogramm praktiziert hat. Im Sondierungspapier heißt es etwa:

"Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden. Für die Windkraft an Land sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden. Wir wollen dafür sorgen, dass die Kommunen von Windenergieanlagen und größeren Freiflächen- Solaranlagen auf ihrem Gebiet finanziell angemessen profitieren"

Feststeht: Im Moment ist das Sondierungsergebnis vor allem für die Grünen eine "Zumutung" und manche echte "Kröte" dabei, auch wenn man immerhin ein "Klimaschutzsofortprogramm" in den ersten hundert Tagen auf den Weg bringen will. Die FDP bockig, die SPD diskret auf der Bremse, so wie die Ampel sich im Moment darstellt, hängt sie auf (Rot)Gelb fest. Sie muss aber dringend auf "Grün" springen, soll der Kampf gegen die Klimakrise gelingen. Es geht hier nicht um Rechthaberei. Sondern um's Ganze.

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