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Koalition beschließt "Lex Diesel" und weiteren Arbeitskreis Mobilität

Mit der "de facto" Erhöhung der Grenzwerte für Stickoxidausstoß und der Gründung der "Konzertierte Aktion Mobilität" müht sich die Regierung, die Transformation zu moderieren.

Mehr Nachhaltigkeit im Verkehr: Trotz der Erhöhung der NOx-Grenzwerte sollen die Emissionen im Verkehr nach dem Willen der Bundesregierung generell und mittelfristig sinken, auch mit saubereren Diesel-Fahrzeugen. | Foto: Bosch
Mehr Nachhaltigkeit im Verkehr: Trotz der Erhöhung der NOx-Grenzwerte sollen die Emissionen im Verkehr nach dem Willen der Bundesregierung generell und mittelfristig sinken, auch mit saubereren Diesel-Fahrzeugen. | Foto: Bosch
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Johannes Reichel

Mit der Entscheidung, höhere Grenzwerte für den Stickoxidausstoß zuzulassen und der Gründung einer neuen Arbeitsgruppe "konzertierte Aktion Mobilität" hat die Bundesregierung in dieser Woche zwei Maßnahmen beschlossen, um den Transformationsprozess im Mobilitätssektor sozial- und industrieverträglich zu gestalten. Mit der ersten Entscheidung verfügte die Koalitionsmehrheit im Bundestag, dass Kommunen künftig Fahrverbote nur für den Fall verhängen müssen, wenn dort mehr als 50 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft gemessen werden. Auch in Städten die Fahrverbote verfügen sollen mehr Diesel-Fahrzeuge einfahren können, neben Euro-6-Diesel-Modellen auch Wagen mit Euro 5 und Euro 4-Norm, sofern sie nachgerüstet wurden und danach nicht mehr als 270 mg/km an NOx ausstoßen.

Ausgenommen sein sollen auch nachgerüstete Busse und Müllfahrzeuge. Statt strengeren Fahrverboten setzt die Bundesregierung auf die Stärkung des ÖPNV, auf Tempolimitierungen sowie den Umbau kommunaler Flotten. Die Kontrolle der Fahrverbote soll nicht über eine Plakette erfolgen, sondern mittels Stichprobenprüfungen mit mobilen Geräten und dem Abgleich mit dem Flensburger Zentralregister. Der Vorschlag des Bundesverkehrsministeriums, ähnlich der Lkw-Maut großflächige Überwachung mit stationären Scannern zu installieren, ist damit vom Tisch. Die mobil erhobenen Daten sollen nach zwei Wochen wieder gelöscht werden.

Vorbild Kohlekommission: "Konzertierte Aktion Mobilität"

Als weitere Maßnahme beschloss die Bundesregierung die Gründung einer "konzertierten Aktion Mobilität", die ähnlich der Kohlekommission die Transformation im Bereich der Mobilität begleiten und gestalten soll. Dabei soll es regelmäßige Spitzengespräche zwischen Politik und Industrie geben, um "angesichts der schnellen und tiefgreifenden Veränderungen in der Automobilwirtschaft Deutschland als weltweit führenden Standort der Automobilindustrie zu sichern", wie es offiziell heißt.

Man wolle "Vorreiter darin sein, die Infrastruktur und die Regulierung an die Anforderungen moderner Mobilität anzupassen", heißt es weiter über die "Aktion", die von der SPD-Chefin Andrea Nahles angeregt worden war.

Die neue Gruppe fügt sich in das ebenfalls neu initiierte Klima-Kabinett, mit dem die Bundesregierung in Sachen der Erfüllung ihrer Klimaschutzziele aus der Defensive kommen will und dem die Bundeskanzlerin direkt vorsitzt.

Nationale Plattform soll schnell andere Vorschläge machen

Derweil soll auch die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Expertenkommission "Nationale Plattform zur Zukunft der Mobilität", deren Vorschläge Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor kurzem noch als "realitätsfern" und "gegen jeden Menschenverstand" abgelehnt hatte, schneller zu anderen Ergebnissen kommen. Man erwarte neue Vorschläge nach wie vor bis zum 29. März, hieß es aus dem Ministerium, nachdem über eine Verschiebung der Frist spekuliert worden war. Fachleute hielten den Zeitplan offenbar für zu ambitioniert. Die Kommission soll Wege aufzeigen, wie sich der CO2-Ausstoß im Verkehr bis 2030 um 40 Prozent reduzieren lässt.

Was bedeutet das?

Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bilde ich einen Arbeitskreis - gemäß diesem Motto scheint die Bundesregierung derzeit zu handeln. "Konzertierte Aktion Mobilität", das ist schon dicke aufgetragen, um zu verschleiern, dass hier bisher weder etwas "konzertiert" war, noch mit "Aktion" zu tun hatte, jedenfalls nicht im Sinne von zukunftsorientiertem Handeln. Zu sehr war die Politik damit beschäftigt, die Industrie zu protegieren, nicht sehend, dass sie damit das Gegenteil bewirkte: Entwicklungen wurden verschleppt, verschlafen und verzögert, vor allem "powered by Bundesverkehrsministerium". Das wird jetzt kurzerhand von der Kanzlerin teilentmachtet mit einem neuen übergeordneten Gremium.

Dass es eine gigantische Transformation in der Mobilität gibt, einhergehend mit den Megatrends Elektrifzierung und Automatisierung, das ist nun wirklich keine neue Erkenntnis. Es liest sich wie ein Witz, wenn die Regierung jetzt für sich beansprucht, man wolle "Vorreiter sein", "wieder werden", wäre weniger realitätsverleugnend gewesen. Das hätte man sein können, wenn man nicht so lange an "alten Zöpfen" gehangen hätte, die einen freilich üppig hielten. Jetzt sollen Hybrid-Fahrzeuge die frühere Wertschöpfung und damit die Arbeitsplätze über die Zeit retten, eine Einsicht die Toyota vor 20 Jahren schon hatte.

Und warum man dann nicht viel stärker auf das Thema Erdgas oder Brennstoffzelle setzt, die beide einen besseren Kompromiss aus Nachhaltigkeit und Arbeitsplatzerhalt bieten als die radikale batterieelektrische Mobilität mit ihrem hohen Automatisierungsgrad beim Akku sowie niedriger Komplexität im Antrieb, das versteht auch kein Mensch.

Das Bild gleicht erschreckend der Bewegungsunfähigkeit beim Thema Energie, wo man die Weichen weg von der Braunkohle schon vor Jahrzehnten hätte stellen können statt im hektischen Hauruck-Verfahren.

Jetzt muss alles auf einmal passieren, entsprechend hektisch wirkt das Gremiengegründe und der Aktionskreisionismus.

Der Erfolg hat die Deutschland AG arrogant und bräsig gemacht und seine Politik auch. Doch es ist nicht zu spät: Immerhin steigt jetzt das Bewusstsein, dass der Umbruch extrem schnell kommt und eigentlich schon da ist.

Und dass man in Zukunft vielleicht weniger Hardware-Leute mit mechanischer Grundausbildung als vielmehr Programmierer mit Software-Kompetenz braucht. Die Wertschöpfung entsteht künftig weniger in den Fabriken, mehr hinter den Bildschirmen. Wie meinte VW-Chef Herbert Diess bei seinem Plausch mit dem Kooperationspartner Satya Nadella, dem Microsoft-Boss: "Unsere strategische Partnerschaft ist ein wesentlicher Baustein, um Volkswagen zum software­ge­trie­be­nen Mobilitäts­anbieter weiterzuentwickeln". Recht hat er. Und das ist dann letztlich die beste Arbeitsplatzsicherung.

 

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