Werbung
Werbung

Kaum gestartet, schon gestoppt – das Agenturmodell auf dem Prüfstand

Eigentlich war es „das ganz große Ding“ im Autohandel: Das Agenturmodell. Zuletzt wurde es immer öfter in Frage gestellt. Steht es damit vor dem Scheitern, oder handelt es sich nur um einen vorübergehenden Rückschlag?

Es hätte der große Deal für Autohersteller, -handel und Kunden werden sollen: Das Agenturmodell, das mittlerweile schon wieder auf dem Prüfstand steht. | Foto: F. Reppold, ai-generiert
Es hätte der große Deal für Autohersteller, -handel und Kunden werden sollen: Das Agenturmodell, das mittlerweile schon wieder auf dem Prüfstand steht. | Foto: F. Reppold, ai-generiert
Werbung
Werbung

Volkswagen Nutzfahrzeuge zieht nur wenige Tage vor dem Start der Einführung eines Agenturmodells die Notbremse. Nach Skoda ist dies der zweite Rückzug innerhalb kurzer Zeit. Dabei galt das Agenturmodell als zukunftsweisend für die Automobilbranche. Nun drängt sich die Frage auf: Steht das viel diskutierte Agenturmodell vor dem Scheitern, oder handelt es sich nur um einen kurzen Rückschlag?

Das Agenturmodell im Überblick

Im klassischen Autovertrieb agieren Autohändler als eigenständige Unternehmer. Sie kaufen Fahrzeuge vom Hersteller und verkaufen sie an Endkunden weiter. Dabei spielen Rabatte und individuelle Preisverhandlungen eine zentrale Rolle. Das Agenturmodell dreht dieses System auf den Kopf. Hier bleibt der Hersteller Eigentümer der Fahrzeuge und steuert den gesamten Verkaufsprozess. Der Händler wird zum Vermittler, der im Auftrag des Herstellers handelt. Somit sind Preise nicht mehr vom jeweiligen Händler abhängig, sondern innerhalb einer Marke transparent, egal wo der Käufer sein Fahrzeug kauft. Für die Händler bedeutet dies, dass durch die neue Vermittlerrolle zukünftig noch mehr Fokus auf exzellenten Kundenservice und professionelle Beratung liegen wird.

Erste Erfolge und klare Vorteile

Einer der frühen Vorreiter in Deutschland ist Mercedes-Benz – der Automobilhersteller hat bereits 2023 ein Agenturmodell eingeführt. Durch den direkten Zugang zum Kunden und die Preishoheit verschafft sich Mercedes-Benz klare Vorteile. Auch BMW zieht nach und plant, dieses Modell hierzulande auszurollen. Mit einer strafferen Steuerung des Vertriebsprozesses will der Hersteller das Kundenerlebnis verbessern und flexibler auf die Dynamiken des Marktes reagieren. MINI, die Tochtermarke von BMW, hat diesen Schritt bereits zum 1. Oktober dieses Jahres vollzogen und zieht ebenfalls eine erste positive Bilanz. Ab sofort werden Neuwagen und „Junge Gebrauchte“ im Agenturmodell verkauft oder online direkt beim Hersteller bestellt, während die Händler als Schnittstelle für Serviceleistungen dienen.

Für die Hersteller liegen die Vorteile auf der Hand: Transparente Preise und ein einheitlicher Markenauftritt verhindern Rabattschlachten und sichern stabile Margen. Gleichzeitig ermöglicht der direkte Kundenzugang den Herstellern, wertvolle Daten in Echtzeit zu sammeln und die Customer Journey gezielt zu steuern. Der Wandel der Händlerrolle hin zum Vermittler zwischen OEM und Kunde verspricht zudem geringere Vertriebskosten und schlankere Prozesse – zumindest in der Theorie. Ein Modell, das die Transformation des Vertriebs in der Automobilbranche einläuten könnte.

Doch während einige Autobauer diesen Weg konsequent gehen, treten andere auf die Bremse – was steckt dahinter?

Warum zögern einige Hersteller?

Stellantis hat den Start des Agenturmodells in Deutschland auf frühestens 2027 verschoben und die bestehenden Händlerverträge verlängert. Offenbar ist die Gruppe angesichts der Vielzahl an Marken und der komplexen Konzernstrukturen noch unschlüssig, wie das Modell einheitlich implementiert werden soll. Ein weiteres Beispiel ist die Elektro-Premiummarke Polestar, die das Agenturmodell bereits fest in ihr Geschäftsmodell integriert hatte. Nun wird das Modell sukzessive zu einer „unechten Agentur“ umgebaut, bei der der Handel wieder die Preiskompetenz übernimmt. Auch Ford hat seine Pläne vorerst auf Eis gelegt, arbeitet aber hinter den Kulissen an einem angepassten Vertriebssystem, das 2025 starten soll – allerdings wird dies nicht ohne Margenkürzungen gehen.

Diese Entwicklungen werfen die Frage auf, ob das Agenturmodell tatsächlich die Zukunft des Automobilvertriebs ist oder ob die Komplexität und der Widerstand des Handels die potenziellen Vorteile überwiegen. Viele Hersteller scheuen das erhöhte unternehmerische Risiko, das mit der Übernahme zentraler Aufgaben wie Kundenakquise, Lagerhaltung und Marketing einhergeht – Tätigkeiten, die zuvor an die Händler ausgelagert waren. Hinzu kommt der enorme Aufwand, den die Hersteller in den Aufbau eigener IT-Infrastrukturen und -Prozesse investieren müssen, um die gesamte Customer Journey vom ersten Online-Kontakt bis hin zur Fahrzeugauslieferung selbst zu managen. Diese Investitionen sind nicht nur kostenintensiv, sondern auch technisch anspruchsvoll und erfordern einen umfassenden Umbau interner Strukturen.

Daneben sehen vor allem kleinere Händler das Modell als Bedrohung: Sie verlieren die Kontrolle über die Preisgestaltung und müssen sich mit ihrer neuen Rolle arrangieren. Langfristig könnte diese Umstellung zu einer Konsolidierung im Handel führen, bei der nur die größeren und breiter aufgestellten Händler überleben, die stärker in Beratung und Kundendienst investieren können. Der klassische Autoverkäufer, wie wir ihn kennen, könnte hingegen immer weiter in den Hintergrund treten.

 

Ist das Agenturmodell nur ein Zwischenschritt zum Direktvertrieb?

Langfristig könnte das Agenturmodell für einige Hersteller eine Brücke zum vollständigen Direktvertrieb darstellen. Doch das Agenturmodell könnte auch selbst zur Sackgasse werden: Manche Branchenexperten vermuten, dass sich einige Hersteller angesichts der Herausforderungen zurück zum klassischen Händlervertrieb bewegen könnten, um die komplexen Anforderungen des Modells zu umgehen.

Zögern oder Durchziehen?

Das Agenturmodell bietet zweifellos Chancen für die Automobilbranche, steht aber gleichzeitig vor enormen Herausforderungen. Während einige Hersteller wie Mercedes-Benz und BMW das Modell als zukunftssicher betrachten, zögern andere Autobauer. Der Widerstand der Händler und die unklaren Strukturen zur Umsetzung führen dazu, dass das Modell nicht so schnell Fuß fasst, wie ursprünglich gedacht.

Was bedeutet das?

Ob das Agenturmodell die Zukunft des Autohandels prägen wird oder nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum vollständigen Direktvertrieb bleibt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Klar ist jedoch, dass der Automobilvertrieb vor einem fundamentalen Wandel steht – und das Agenturmodell könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen – für manche als langfristige Lösung, für andere als Zwischenschritt auf dem Weg zum völligen Verzicht auf die Vermittlerrolle.

Zum Autor:

Philipp Kranich ist seit 2023 Senior Manager Automotive Market Intlligence bei rpc – The Retail Performance Company. Zuvor war er mehrere Jahre in unterschiedlichen Management- und Beratungsfunktionen in der Automobilbranche aktiv. Bei rpc arbeitet er an den strategisch relevanten Themen rund um den Automobilhandel der Zukunft.

Werbung

Branchenguide

Werbung