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Meinungsbeitrag

IPCC-Bericht: Klein-Klein gegen die Klimakrise - oder "grüner wird's nicht"!

Nun ist es auch amtlich: Die Erde erwärmt sich laut jüngstem Weltklimabericht noch schneller als angenommen. Das wäre Anlass zu entschlossenem Handeln, vor allem von "Verursacher-Ländern" wie Deutschland. Stattdessen ergeht sich die Ampel in akademische Debatten um "Technologieoffenheit". Und hängt weiter auf "Gelb". Bitte umschalten!

Mehr Fortschritt wagen: Die Ampel sollte zeitnah auf "grün" springen, will Deutschland nicht in Bausch und Bogen seine Klimaziele verfehlen, findet VM-Redakteur Johannes Reichel. | Foto: G. Soller
Mehr Fortschritt wagen: Die Ampel sollte zeitnah auf "grün" springen, will Deutschland nicht in Bausch und Bogen seine Klimaziele verfehlen, findet VM-Redakteur Johannes Reichel. | Foto: G. Soller
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Johannes Reichel

Glauben heißt nicht wissen, wurde man früher in der Schule öfter mal belehrt, wenn die rechte Präzision in der Aussage fehlte. Nun ist es aber so, dass wir sehr genau wissen, was gerade auf unserem Planeten und mit seinen Bewohnern passiert. Es ist also mitnichten eine "Glaubensfrage", die Sache mit der Klimakrise. Bestenfalls, ob man an die Wissenschaft "glaubt", sprich ein fakten- oder fiktionsorientierter Mensch ist. Von Politikern nimmt man gemeinhin an (oder hofft es zumindest), dass ihr Handeln von Fakten bestimmt wird. Fakt ist also laut dem jüngsten, zusammenfassenden "Synthese-Bericht" des Weltklimarats (IPCC) von 93 renommierten Wissenschaftlern, dass die Erde sich bereits um exakt 1,09 Grad erwärmt hat im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und dass dies bereits heute JEDEN Winkel der Welt beeinflusst, auch deutsche Autobahnen, die nicht etwa auf einer Insel oder einem anderen Planeten liegen.

Beim aktuellen Kurs liegen wir Richtung 3,2 Grad

Hitzewellen oder Dürren, Wasserknappheit, durch die Erwärmung gemäß den Gesetzen der Physik heftigere Wirbelstürme wie jetzt gerade in Gestalt des harmlos "Freddy" genannten Zyklons, der wohl ausdauerndste, der sich jemals auf dem Planeten austobte. All das ist laut IPCC noch ein Vorgeschmack auf das, was uns drohen könnte. Spätestens bis 2040 wird wohl die 1,5-Grad-Marke erreicht, die das Pariser Abkommen eigentlich als verbindliche Grenze gesetzt hat. Seither sind die Emissionen aber nicht etwa gesunken, sondern weltweit sogar gestiegen. Bliebe es beim aktuellen Kurs, steuern wir jedenfalls auf 3,2 Grad im Jahr 2100 zu. Jedes Zehntelgrad bedeutet gewaltige Verheerungen. Das ist es, was uns allen drohen kann, aber eben nicht drohen muss, wenn jetzt konsequent gehandelt würde. Exakt diese Dekade bleibt den Verantwortlichen noch, um das Ruder nicht herumzureißen, aber doch einigermaßen kontrolliert in der Hand behalten zu können, soll nach dem 1,5-Grad-Ziel nicht auch noch das 2,0-Grad-Ziel gerissen werden.

"Wir müssen uns ernsthaft mit der Welt jenseits von 1,5 Grad beschäftigen, weil wir auf diese zusteuern. Das sagt der Synthesebericht recht deutlich.", ordnet Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Mitautor die Ergebnisse gegenüber der Süddeutschen Zeitung ein.

Man dürfe sich davon aber nicht "paralysieren" lassen. Es müsse auch jenseits der 1,5-Grad-Marke darum gehen, den weiteren Anstieg zu verhindern und das Klimasystem zu stabilisieren. "Und das bedeutet, dass wir auf Netto-Null-Emissionen müssen", verdeutlicht der Wissenschaftler.

Womit man mitten im Alltags-Klein-Klein der Ampel-Koalition in Berlin wäre, die, getrieben von einer waid- und wahlwunden FDP im Gezänk um Formulierungen wie "Technologieoffenheit" mit E-Fuels verstrickt ist, den mühsam verhandelten "Verbrennerausstieg" der EU in Frage stellt oder aberwitzige Vorhaben wie "Autobahnneubau" debattiert. Die streiten wie die "Gasheizkesselflicker". Und bleiben ganz offenbar trotz der immer dringlicheren Mahnungen aus Wissenschaft, von Umwelt- und Naturschutzverbänden, von Fridays for Future oder des Bundesverfassungsgerichts den Nachweis schuldig, den Ernst der Lage wirklich erfasst zu haben.

Nicht einmal ein Tempolimit in Stadt und Land oder den Abbau fossiler Subventionen in der Mobilität bekommen die Zank-Ampler auf die Reihe. Denn der Output von "Rot-Grün-Gelb" ist müde und gar nicht den Umständen angemessen entschlossen und kraftvoll. "Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit", war ihr klangvolles Motto. Wie definieren die in Berlin den Begriff "Fortschritt"?!

Und wo bleibt das "Wagnis", wenn die Ampel der Mut verlässt, sobald es Ernst wird. Die Transformation ist leider alternativlos, daraus sollten sich alle Politiker der Regierung und auch der seriösen Opposition endlich einigen und danach handeln und es den Menschen erklären, statt noch weiter Ängste zu schüren vor "kubanischen Verhältnissen", wie jüngst der CSU-Landesverkehrsminister.

Doch die Ampel, sie hängt noch immer auf "Gelb" und eigentlich auch auf "Rot", weil Kanzler Scholz die bisher unverbrüchliche Männerachse zu Christian Lindner nicht beschädigen und den kleinsten Koalitionspartner nicht noch weiter in die Krise stürzen will. Das ist sehr rücksichtsvoll und vielleicht dem eigenen Machterhalt dienlich. Aber nicht dem Klimaschutz.

Klar, der Krieg in der Ukraine ist eine Sondersituation, die manche abrupte Kursänderung und Verzögerung verursacht, die Vertreter alter Industrien wittern noch mal Morgenluft und versuchen, die Uhren wenn nicht zurückzudrehen, so doch anzuhalten, Kohle und Atom sind auf einmal wieder gefragt. Nebenbei: "Fossile" Kriege um irgendwelche nationalen Grenzen kann sich die Menschheit eigentlich sowieso nicht mehr leisten. Und vor denen macht die Klimakrise auch nicht halt - was dem Psychopathen im Kreml in seinen Großmachtfantasien aber egal sein dürfte. Das aber nur am Rande. Denn manches ist einfach aus hausgemacht und wäre mit guter Politik durchaus besser zu machen.

Partikularinteressen der Gegenwart dominieren

So ist der Vorwurf von Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger auch nicht von der Hand zu weisen, die Bundesregierung stelle "Partikularinteressen der Gegenwart über die Idee einer lebenswerten Zukunft". Das ist keineswegs melodramatische Schwarzmalerei, sondern im alltäglichen Handeln der Berliner Politik ables- und nachweisbar. Der Kanzler müsse den Klimaschutz zur Chefsache machen, fordert auch die Klima-Allianz Deutschland, der wissenschaftliche Konsens sei deutlich.

"Um die Welt vor der Klimakatastrophe zu bewahren, muss die Zeit des fossilen Zeitalters enden - und zwar jetzt", appellierte Klima-Allianz-Chefin Christiane Averbeck. 

Doch die meisten Staaten erreichten nicht einmal die selbst gesteckten, relativ mickrigen Ziele, konstatiert der IPCC-Bericht. Die Transformation geht viel zu langsam, konstatiert auch Germanwatch-Chef Christoph Bals, der seit 1992 die internationale Klimapolitik verfolgt. Dabei wäre es viel kostengünstiger, jetzt in Klimaschutz zu investieren, als später für die Schäden aufkommen zu müssen. Dafür seien aber hohe und unbeliebte Vorabinvestitionen nötig. Für ihn ist übrigens im Pkw-Bereich "die Messe gesungen", die Tendenz gehe schnell in Richtung Elektromobilität, erklärte er in der SZ.

"Wer jetzt noch dagegen kämpft, verrennt sich in die Vergangenheit", formulierte er.

Und findet es problematisch, wenn sich ein deutscher Verkehrsminister im Verbund mit rechtspopulistischen Regierungen wie Ungarn und Italien daran macht, ein bereits ausverhandeltes Gesetzespaket noch einmal aufzuschnüren. 

Der Verkehrssektor patzt doppelt

Deutschland hatte seine Klimaziele jüngst nur deshalb eingehalten, weil wegen des Kriegs in der Ukraine die Energie so teuer geworden ist, dass der Verbrauch sank. Speziell im Verkehrssektor wurden die Ziele aber doppelt gerissen: Der einzige Bereich, in dem die Emissionen weiter stiegen und das Ziel weit verfehlt wurde. Der IPCC-Bericht müsse nun "die Basis für mehr Ambitionen" beim nächsten Klimagipfel sein, der ausgerechnet im Ölstaat der Vereinigten Arabischen Emirate in Abu Dhabi Ende des Jahres stattfindet. Symbolischer könnte der Ort nicht sein, dass sich die Menschheit noch mal am Riemen reißt. Es brauche eine "tiefgreifende, rapide und anhaltende Reaktion" innerhalb dieser Dekade, appelliert der Weltklimarat. Die Dekade dauert noch exakt sieben Jahre, neun Monate und neun Tage. Wird Zeit, dass die Ampel reagiert. Wie wär's mit einem entschlossenen und trefflich zu einer Ampel passenden: "Grüner wird's nicht"?! 

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