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ioki-Chef Barillère-Scholz: Die Mobilitätswende beschleunigt sich

VM-Interview: Dr. Michael Barillère-Scholz, Geschäftsführer der DB-On-Demand-Tochter ioki, zu den Folgen der Corona-Krise, Pooling in der Pandemie, warum Digitalisierung Pendlerströme reduziert und kluges Ride-Sharing einen starken ÖPNV ergänzt, nicht ersetzt.

Glaubt an Ergänzung, nicht Ersatz: ioki-Chef Barrillère-Scholz plädiert für die Vernetzung der Verkehrsträger
Glaubt an Ergänzung, nicht Ersatz: ioki-Chef Barrillère-Scholz plädiert für die Vernetzung der Verkehrsträger
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Johannes Reichel

Der ÖPNV vermeldet in der Corona-Krise einen dramatischen Einbruch der Nutzerzahlen um 70 und teils bis zu 85 Prozent. Ist der ÖPNV in Zeiten der Pandemie überhaupt noch vermittelbar als Massen-Transportmittel mit hochkapazitären „Gefäßgrößen“?

Dr. Michael Barillère-Scholz: Ein zuverlässiger ÖPNV ist für unsere Gesellschaft unabdingbar. Die gesamte Branche hat in den vergangenen Wochen sichergestellt, dass viele systemrelevante Berufsgruppen zur Arbeit kommen konnten. Mittlerweile fahren wir bei der DB im Regionalverkehr bundesweit im Durchschnitt wieder 90 Prozent unseres Angebots. Die Verkehre laufen stabil und gut hoch. Prognosen für die Zukunft abzugeben wäre zum jetzigen Zeitpunkt unseriös. On-Demand-Mobilität als integrierte Ergänzung des bestehenden ÖPNV wird sicherlich weiterhin eine Rolle spielen.

Wie könnte das aussehen?

BS: In der Digitalisierung liegen große Chancen. Wir erleben gerade eine extrem beschleunigte Entwicklung hin zu Homeoffice, Online-Meetings- und Videokonferenzen. Durch Corona wird die Gruppe der digitalen „Early Adopter“ gerade im Schnelldurchlauf von alteingesessenen Unternehmen ergänzt, die sich – gezwungenermaßen – in wenigen Wochen auf Digitalarbeit umstellen mussten. Was unter normalen Umständen viele Jahre gedauert hätte, führt in der Krise zu einem Innovations- und Geschwindigkeitsschub.

Die Pandemie bietet hier auch die Chance, eingeübte Mobilitätsgewohnheiten zu durchbrechen und Mobilität unter den veränderten Rahmenbedingungen und des weiterhin dringenden Handlungsbedarfs beim Klimaschutz weiterzuentwickeln.

Könnten Sie ein konkretes Beispiel nennen?

BS: Die zunehmende Nutzung digitaler Office-Lösungen könnte beispielsweise auch den zeitlichen Verlauf entzerren. So wären nicht die Schüler mit den Werktätigen alle zusammen in einer Welle, sondern vielleicht mit Zeitversatz. Wenn wir sehen, dass die Verkehrsmittel um 8 Uhr brechend voll sind und dann ab 9:30 Uhr halbleere Busse durch die Städte fahren, ist das nicht effizient. Beides hat seine Berechtigung, aber nötig wäre eine Flexibilisierung.

Welche Rolle können da „On-Demand“-Dienste spielen, auf die Sie sich bei ioki ja fokussieren? Wenn alle „on demand“ fahren, wird es ja auch nicht weniger Verkehr …

BS: Doch, wenn man es richtig anstellt und konsequent als Teil des ÖPNV, und so sehen wir uns, begreift. On-Demand-Shuttles im Pooling-Prinzip können die Effizienz signifikant erhöhen, das haben wir zuletzt in Hamburg gemeinsam mit den Verkehrsbetrieben Hamburg Holstein gezeigt, wo der reguläre Linienbus-Betrieb mit festem Fahrplan im industriell geprägten Stadtteil Billbrook zu schwach ausgelasteten Zeiten durch unser voll digitalisiertes und App-basiertes, flexibles Angebot ergänzt wird.

Wenn wir es richtig machen, hat das diverse Vorteile: Wir heben die Qualität, wir senken die Betriebskosten, wir sorgen für weniger Verkehr, weil bei einem flexiblen Angebot weniger Menschen das eigene Auto nehmen müssen, und wir können am Ende vor allem CO2 einsparen.

Befürchten Sie ein Zurückschlagen des Pendels in Richtung individueller und motorisierter Mobilität, wie es sich schon andeutet und damit weitere Verschärfung der Probleme?

BS: Auch hier sind Prognosen sehr schwierig in der aktuellen Lage. Ich persönlich glaube an das Gegenteil.

Die Mobilitätswende wird sich nach Durchstehen der Krise beschleunigen, der Trend zu nachhaltigen Lösungen anhalten oder sich sogar exponentiell steigern.

Aktuell sehen wir zum Beispiel eine Zunahme des Radverkehrs und die Menschen bleiben vielleicht dabei. Außerdem stellen wir gerade fest, wie Städte und Kommunen im Eilverfahren Flächen umwidmen, etwa Autospuren in Radwege verwandeln. Das sind erfreuliche Effekte im Kontext der Krise. Der Stress beim Autofahren, der Stau, die Parkplatzsuche – all das wird nach der Krise nicht geringer sein.

Ist der urbane Verkehr dann auch komplett elektrifiziert?

BS: Idealerweise schon, bei ersten Bussen wie auch bei Pkw ist das ein guter Trend. Wobei man auch immer die Gesamtökobilanz inklusive Recyclings betrachten muss. Und aus meiner Sicht gilt:

Elektrisch ist gut, aber als „geteilte Mobilität“ noch besser und damit der eigentliche Treiber zur Verbesserung des Status quo.

Nicht selten wird „on-demand“-Mobilitätsanbietern wie auch Ride-Pooling-Diensten vorgeworfen, sie würden das Problem überbordenden Verkehrs verschärfen, weil sie als niedrigschwelliges und bequemes Angebot erst eine Nachfrage schaffen für Wege, die vorher möglicherweise per ÖPNV, Fuß oder Rad bewältigt worden wären. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen öffentlichem Auftrag und den legitimen Gewinninteressen eines Mobilitätsdienstes?

BS: Wir sind als Tochterunternehmen der Deutschen Bahn ganz klar ein integraler Bestandteil des ÖPNV. Eine unlimitierte, unkoordinierte Entwicklung neuer Mobilitätsdienste wie in den USA ist nicht in unserem Interesse. Dort scheinen die Fahrdienste tatsächlich das Problem eher zu verschärfen, weil sie ausschließlich auf ihre privaten Geschäftsinteressen ausgerichtet sind.

Aber in vielen Städten fehlt es schlicht an koordinierenden Stellen oder regelrechten Verkehrs- und Mobilitätsreferaten, die dann auch stellenübergreifende Kompetenzen haben.

BS: Das stimmt. Wir brauchen bei den Städten Verantwortliche, die die Fäden in der Hand halten und die verschiedenen Angebote vernetzen und dosieren. Das geht auch über eine Kontingentierung von Angeboten, die dann aber auch wirtschaftlich nachhaltig sind. Die Betriebsverantwortung für den öffentlichen Nahverkehr als Teil der Daseinsvorsorge sollte bei der öffentlichen Hand liegen und alle Angebote, auch von privater Seite, müssen öffentlichen Zielen und Interessen dienen. Dafür müssen die Städte aber auch mehr Kompetenzen aufbauen. Hier helfen wir von ioki zum Beispiel mit unserem Beratungsangebot „Mobility Analytics“.

Die Analyse von Mobilitätsdaten und was sich damit alles planen und prognostizieren lässt, löst bei den Verantwortlichen sehr oft einen Aha-Effekt aus.

Auch durch die Corona-Krise könnte das Thema „Autonome Shuttles“ mehr Fahrt aufnehmen, schon wegen des Gesundheitsschutzes für die Fahrer. Bleibt das eine Nischenanwendung – oder ist da mehr drin?

BS: Ja, unbedingt, aber nicht als Ersatz für private Autos, sondern als Teil des öffentlichen Nahverkehrs. Andernfalls sehe ich die Gefahr von Rebound-Effekten, weil es ja so schön bequem ist, sich ein Shuttle vor die Tür zu bestellen. Und wenn wir es schaffen, damit die Betriebskosten entscheidend zu senken, was natürlich auch ein Ziel sein muss, dann wird der ÖPNV auch in ländlichen Regionen besser finanzierbar, dichter und flächendeckend möglich. Der entscheidende Vorteil aber liegt darin, dass wir den ÖPNV damit insgesamt attraktiver machen können.

Aber viele Leute haben da noch Berührungsängste, so ganz ohne Fahrer im Straßenverkehr…

BS: Zunächst werden in jedem Fall noch Fahrtbegleiter mit an Bord sein. Noch sind autonome Fahrzeuge ein großes Forschungs- und Entwicklungsfeld in Deutschland. Für uns ist der nächste Schritt, diese Busse auch auf Abruf fahren zu lassen. Unsere ioki-Plattform ist schon heute bereit dafür. In Karlsruhe mit dem Projekt „EVA-Shuttle“ soll diese Kombination eines autonomen Shuttles mit unserem On-Demand-Dienst erstmalig umgesetzt werden. Das hochautomatisierte Shuttle kann dann auch auf dynamischen Routen unterwegs sein.

Es geht perspektivisch darum, dieses Verkehrsmittel sukzessive im Mischbetrieb von ÖPNV-Flotten einzusteuern. Spannend sind diese Shuttles etwa auch für den Stadtrand oder das Umland.

Autonom oder nicht: Das Pooling von Fahrten scheint ja auch für ioki der Schlüssel zu mehr Effizienz und Nachhaltigkeit im Verkehr zu sein. Aber Pooling in der Pandemie, ist das nicht ein Widerspruch in sich?

BS: Es ist in der Tat nicht leicht für die Anbieter im Moment, viele haben den Dienst ja auch heruntergefahren und stark modifiziert. Oder sie fahren, wie wir mit unserem Angebot „ioki cares“ systemrelevantes Personal wie Pflegekräfte kostenlos zur Arbeit. Mit unseren Fahrzeugen des britischen Herstellers LEVC in Hamburg zeigen wir aber auch wie es gehen könnte: Trennscheibe zum Fahrer, viel Platz zum Abstand halten, digitale Bezahlung und zusätzliche Hygienemaßnahmen. Jetzt kommt die Maskenpflicht hinzu. So ist das durchaus praktikabel.

Und wie sieht eigentlich der Mobilitätsmix eines Mobilitätsexperten aus?

BS: Ich persönlich habe einen sehr breiten Mix an Mobilität. Auf der Reise nutze ich am liebsten den öffentlichen Verkehr.

Ich finde nach wie vor, dass eine Fahrt etwa mit dem ICE an Komfort und Bewegungsfreiheit und als schnellster Coworking Space der Welt an fast nichts zu überbieten ist.

Aber auch viele neue Sharing-Angebote nutze ich sehr regelmäßig, auch weil ich sehr neugierig bin. Die Kombination eines Klapprads für die erste und letzte Meile mit dem ÖPNV gehört für mich seit Jahren zu meiner persönlichen Mobilität dazu. Ansonsten schaffe ich gerade das Auto komplett ab – und das obwohl ich eher im ländlicheren Raum lebe. Dafür setze ich dann auf ein elektrisches TukTuk und ein Lastenrad. Für weitere Strecken setze ich dann auf Carsharing. Fragen sie mich gerne einmal in sechs Monaten wie das so geklappt hat.

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