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Interview VDA-Präsidentin Hildegard Müller: Wir haben allen Grund zur Zuversicht!

Die Mobilitätsbranche befindet sich im Wandel und mit ihr auch der VDA. Im Interview gibt sich die VDA-Präsidentin Hildegard Müller zuversichtlich, dass die ambitionierten CO2-Ziele erreicht werden, mahnt in dem Zusammenhang aber auch einige Probleme an, die dringend und zügig gelöst werden müssen.

VDA-Präsidentin Hildegard Müller gab sich im VISION Mobility-Interview zuversichtlich, dass die Automobilbranche trotz Corona-Krise alls CO2-Ziele erreichen wird. | Foto: VDA
VDA-Präsidentin Hildegard Müller gab sich im VISION Mobility-Interview zuversichtlich, dass die Automobilbranche trotz Corona-Krise alls CO2-Ziele erreichen wird. | Foto: VDA
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Gregor Soller

Der Umbruch in der Branche der Mobilität ist allenorts zu spüren, auch beim VDA. Mittlerweile ist dort auch das erste Blockchain-Unternehmen Mitglied und der Verband unterstützt das Tempo des Wandels. Das war hinter den Kulissen auch auf dem technischen Kongress des VDA zu spüren, den VISION Mobility-Chefredakteur Gregor Soller moderieren durfte: Neben den Vertretern der Automobil- und Zuliefererbranche waren außerdem verstärkt Vertreter aus der IT, der Politik und sogar aus er Chemie vertreten, um den Wandel in der Branche der Mobilität durchaus vielschichtig zu diskutieren. Im Anschluss haben wir noch ein Interview mit der VDA-Präsidentin Hildegard Müller geführt, dass durchaus optimistisch ist, aber auch einige Nachbesserungen anmahnt. Das Pariser Klimaabkommen und seine Ziele stehen, doch erreicht werden kann das laut Müller nur mit einem konkreten Fahrplan.

Vision Mobility: Der Technische Kongress und das dortige Bekenntnis zur IAA sowie die Stärke der deutschen Automobilindustrie auf der Messe Auto Shanghai geben Anlass zur Hoffnung. Kommen wir nach turbulenten Jahren jetzt wieder in ruhigeres und besser planbares Fahrwasser?

Hildegard Müller: Die Transformation der gesamten Branche in Richtung Elektromobilität und Digitalisierung fordert alle Kräfte – und wird zusätzlich verschärft durch Corona. Dennoch haben wir allen Grund zur Zuversicht: Die Unternehmen haben sich vorbildlich um den Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter und Kunden gekümmert, die Impf-Kampagnen laufen auf breiter Front an, ein Ende der Pandemie ist langsam in Sicht. Wir bereiten uns intensiv auf die IAA Mobility vor, die im September in München stattfindet. Ich gehe davon aus, dass bis dahin sehr viele Menschen gegen Corona geimpft sind, sodass wir eine deutlich bessere Situation als heute haben werden. Außerdem erarbeiten wir ein umfangreiches Infektionsschutzkonzept für Besucher und Aussteller.

Unsere Unternehmen haben – trotz vorübergehender erheblicher Marktrückgänge und manchem Engpass in der Logistik – gezeigt, dass sie auch unter schwierigsten Bedingungen die Lieferkette intakt halten, ihre Belegschaften erfolgreich durch Phasen der Kurzarbeit steuern und gleichzeitig Innovationen in neue Technologien engagiert vorantreiben. Notwendig sind jetzt vor allem klare und sich nicht ständig ändernde Rahmenbedingungen, damit die Unternehmen Planungssicherheit haben. Das betrifft den Hochlauf der Ladeinfrastruktur ebenso wie den dringend erforderlichen Ausbau der digitalen Netze.

Vision Mobility: Mit den Fortschritten einher geht auch das Erreichen der anspruchsvollen CO2-Neutralität Europas bis 2050. Stand heute scheint die Automobilindustrie dafür gut gerüstet und könnte diese Ziele schon früher erreichen – oder trügt dieser Eindruck?

Hildegard Müller: Zunächst konzentrieren wir uns auf das Ziel, das uns die EU-Kommission bis zum Jahr 2030 vorgegeben hat: minus 37,5 Prozent CO2 bei Pkw, das ist schon sehr anspruchsvoll. Das geht nur mit einem hohen Anteil an E-Autos. Das umfasst rein batterie-elektrische Pkw (BEV) ebenso wie Plug-in-Hybride (PHEV). Insbesondere der Plug-in-Hybrid ist in der Übergangsphase zu einem E-Zeitalter von herausragender Bedeutung. Denn er bietet dem Nutzer beides: lokal emissionsfreies Fahren und die erforderliche Reichweite. Erfreulich: Der Hochlauf der Elektromobilität ist in Deutschland in vollem Gange. Das zeigen auch die Zahlen: Während im 1. Quartal 2021 der Pkw-Gesamtmarkt in Deutschland um 6 Prozent unter dem Vorjahresniveau lag, haben sich die E-Pkw-Neuzulassungen nahezu verdreifacht – von gut 52.000 auf fast 143.000 Einheiten. PHEV erreichten einen Anteil von 55 Prozent an den E-Neuzulassungen, BEV 45 Prozent. Allein im März lag der Marktanteil von Elektroautos an allen Pkw-Neuzulassungen bei 22,5 Prozent. Das heißt: Gut jede fünfte Neuzulassung ist ein E-Auto.

Und die deutschen Konzernmarken sind mit einem Marktanteil von 70 Prozent bei E-Autos führend in Deutschland. Unser Modellangebot werden wir von derzeit 70 in den nächsten Jahren auf über 150 Modelle verdoppeln. Unterstützt wird die E-Nachfrage durch die Förderinstrumente wie Umweltbonus und Innovationsprämie. Aber das erklärt den Markterfolg der Elektro-Pkw nicht allein.  Entscheidend ist, dass die Modelloffensive in voller Fahrt ist – und zwar nicht nur im Premiumsegment, sondern auch im Volumensegment.

Ich will aber einen Punkt betonen: Der Hochlauf in der Elektromobilität kann nur erfolgreich sein, wenn auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland und Europa endlich an Fahrt gewinnt. Der Staat, der immer neue Ziele für Unternehmen setzt, bleibt hinter seinen eigenen Verpflichtungen leider deutlich zurück.

Vision Mobility: Sie fordern nach wie vor Technologieoffenheit bezüglich der Antriebe, obwohl die E-Mobilität gerade im Pkw riesige Fortschritte macht. Wäre es nicht sinnvoller, Synfuels und die Brennstoffzelle in anderen Verkehrsträgern wie Flugzeugen oder der Seeschiffahrt zu priorisieren?

Hildegard Müller: Elektromobilität ist mit Sicherheit die Technologie, die wir brauchen, um die 2030-Klimaziele der EU, die ja noch einmal nachgeschärft werden sollen, zu erreichen. Unsere Unternehmen arbeiten engagiert am dafür notwendigen Hochlauf. Alle anderen Optionen sind bis dahin nicht in der „Großserienproduktion“ verfügbar, bleiben aber auf der Agenda. Denn wir sehen in dem 2030-Ziel ja nur eine Zwischenetappe, das Pariser Klimaziel gilt für das Jahr 2050, dann wollen wir klimaneutrale und bezahlbare Mobilität haben, bei Neuzulassungen und im Fahrzeugbestand. Das heißt: Wir brauchen bis dahin auch E-Fuels und Wasserstoffantrieb, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wir sollten die Verwendung von E-Fuels nicht vorab auf bestimmte Verkehrsträger beschränken, sondern alles tun, damit wir Grünstrom in großen Mengen bekommen – der ist auch notwendig, um E-Fuels zu produzieren. Die Verkehrswende ist also ohne Energiewende nur halb gedacht. Wir werden diese Kraftstoffe im Übrigen auch brauchen, um den Bestand der Fahrzeuge zu dekarbonisieren. Die Klimaziele sind sonst nicht zu erreichen.

Vision Mobility: Außerdem drängen Sie auf einen weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur. Dabei steht die Ladeinfrastruktur für Pkw im Mittelpunkt. Was muss getan werden?

Hildegard Müller: Hierzu hat sich der VDA vielfach geäußert. Wir brauchen die Ladeinfrastruktur in vier Bereichen: Zuhause, am Arbeitsplatz, an Einkaufszentren und im öffentlichen Raum. Und wir brauchen einen intelligenten Mix aus Schnellladepunkten, vor allem an Autobahnen, und an Lademöglichkeiten zuhause. Auch der Europäische Rechnungshof hat vor kurzem den zu langsamen Ausbau der Ladeinfrastruktur in der EU deutlich kritisiert – diese Sorge teilen wir. Um das von der EU-Kommission vorgegebene Ziel von einer Million Ladesäulen in Europa bis 2025 zu erreichen, müssten laut Europäischem Rechnungshof 3.000 Ladesäulen pro Woche errichtet werden. Mit derzeit 250.000 Ladepunkten ist man von dem 2025-Ziel jedoch leider noch meilenweit entfernt. Die bisherige EU-Förderung wurde als unkoordiniert eingestuft, es fehle an einem schlüssigen Gesamtkonzept für den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Die zuständige EU-Kommission habe keinen Überblick, wo welche Ladesäulen fehlten, moniert der Rechnungshof. Er hat die EU-Kommission aufgefordert, rasch einen „Fahrplan“ zur Elektromobilität in Europa zu erarbeiten. Diese Mahnung ist ein Weckruf für Europäische Politik. Die EU-Kommission muss jetzt einen Plan für den Ausbau der Ladeinfrastruktur in ganz Europa vorlegen. Ohne einen rasanten Ausbau der Lademöglichkeiten in allen Ländern der EU ist eine Verschärfung der Flottenziele in der EU nicht zu akzeptieren - und wir werden so auch die klimaneutrale Mobilität bis 2050 nicht erreichen.

Vision Mobility: Die CO2-Vorgaben gelten ja europaweit. Wie weit sind die anderen Länder beim Aufbau der Ladeinfrastruktur?

Hildegard Müller: Was von vielen übersehen wird: Die Ladeinfrastruktur ist ja keineswegs gleichmäßig in den 27 EU-Ländern verteilt. 69 Prozent der Ladepunkte befinden sich in lediglich drei Ländern – Deutschland, Frankreich, Niederlande. Die Gelder aus dem EU-Aufbauplan müssten überall in Europa schnell auch für die Ladeinfrastruktur der Elektromobilität eingesetzt werden. Jetzt kommt es entscheidend darauf an, dass die Ladeinfrastruktur in Deutschland und Europa ausgebaut wird. Dazu brauchen wir auch das Engagement der Politik, das ist eine Infrastrukturaufgabe.

Vision Mobility: Welche Möglichkeiten sehen Sie bei den Nutzfahrzeugen? Auch hier gibt es ja erstmals stramme CO2-Minderungsvorgaben.

Hildegard Müller: Die Nutzfahrzeuge werden einen erheblichen Beitrag leisten. In Europa müssen ihre CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 30 Prozent gesenkt werden. Dieses Ziel werden wir nicht allein durch die weitere Optimierung des bereits sehr effizienten und sauberen Dieselantriebs erreichen. Notwendig ist auch hier ein erheblicher Hochlauf der Elektromobilität, wobei zunächst die schweren Lkw im Verteilerverkehr im Mittelpunkt stehen. Im Schwerlastverkehr auf der Langstrecke brauchen wir eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur in Deutschland und Europa – da steckt noch vieles in den Kinderschuhen. Insbesondere im europäischen Fernstraßennetz benötigen wir an Park- und Rastplätzen den Aufbau einer nutzfahrzeugspezifischen Schnellladeinfrastruktur.  Der klimapolitische Erfolg bei Nutzfahrzeugen hängt zentral vom raschen Aufbau von Schnellladesäulen ab – und von Strompreisen, die international wettbewerbsfähig sein müssen und den Spediteur nicht wirtschaftlich überfordern dürfen. Gerade aber im Bereich des Schwerlastverkehrs sind auch die Potenziale von Wasserstoff und E-Fuels sehr interessant.

Vision Mobility: Noch immer hat man außerdem den Eindruck, dass viele Förder- und Elektrifizierungsprojekte gerade in Deutschland im Dschungel der Bürokratie an Fahrt verlieren – wie könnte man das vereinfachen?

Hildegard Müller: Wir sollten das nicht so kritisch sehen, da ist vieles von der Politik auch richtig auf den Weg gebracht worden. Umweltbonus und Innovationsprämie werden vom Kunden sehr gut angenommen, das zeigen die Wachstumsraten bei den Neuzulassungen von E-Autos. Ein weiterer Beleg für eine erfolgreiche Steuerung ist das Förderprogramm privater Ladestationen – sogenannter Wallboxen - für Elektroautos an Wohngebäuden. Die Bundesmittel hierfür wurden mehrmals aufgestockt, von 200 Mio. Euro auf 400 Mio. Euro, weil die Nachfrage so hoch ist. Mit einem Zuschuss von 900 Euro werden der Kauf und die Installation der Wallbox unterstützt. Innerhalb von gut drei Monaten wurden über 300.000 Wallboxen installiert. Das ist auch deshalb wichtig, weil ein Großteil aller Ladevorgänge daheim stattfinden wird.

Vision Mobility: Gleiches gilt für die Bezahlmöglichkeiten der öffentlichen Ladeinfrastruktur, wo die Forderung nach Direktbezahlsystemen Konflikte zwischen Energie- und Finanzwirtschaft auf den Plan rief – wie könnte sich das möglichst schnell und unbürokratisch lösen lassen?

Hildegard Müller: Richtig ist, dass auch das Bezahlen am Ladepunkt möglichst einfach und modern, also online via App erfolgen kann. Wenn wir erst überall Scheckkarten-Terminals installieren, die vorab geeicht werden müssen, werden wir erheblich an Geschwindigkeit verlieren und das System deutlich verteuern, das kann sich Deutschland nicht leisten.

Vision Mobility: Weil wir gerade beim Bezahlen sind: Noch immer sind die Stromtarife extrem unterschiedlich und im öffentlichen Raum oft überteuert, so dass Elektromobilität eigentlich keine Alternative zum fossilen Betrieb ist. Gefährden wir hier nicht den Umstieg? Zumal die einzige Idee der Regierung dazu ist, fossile Brennstoffe künstlich zu verteuern, was am Ende nicht nur die Mobilität, sondern auch alle mit ihr verbundenen Services verteuert – also am Ende das Leben jedes Einzelnen? 

Hildegard Müller: Wir sollten berücksichtigen, dass wir alle uns hier auf Neuland bewegen. Die Elektromobilität kommt ja jetzt erst mit großer Dynamik, die Märkte entwickeln sich. Ich bin davon überzeugt, dass wir bald einen gesunden Wettbewerb auch bei den Strompreisen haben werden, die an der Ladesäule zu entrichten sind. Immer mehr Menschen erkennen, dass die Nutzungskosten eines E-Autos deutlich niedriger sind als bei einem herkömmlichen Diesel- oder Benziner-Pkw. Ein E-Auto hat weniger Verschleißteile, das senkt die Servicekosten des Halters. Auch das ist ein wichtiger Kaufgrund für immer mehr Kunden. Ich halte aber wenig davon, herkömmliche Kraftstoffe zu verteuern. Denn wir sollten in dieser Debatte beispielsweise auch auf die alleinerziehende Pflegekraft schauen, die tagtäglich auf das Auto angewiesen ist und sich nicht sofort einen Neuwagen leisten kann. Individuelle Mobilität bedeutet für viele Menschen Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben und muss bezahlbar bleiben.

Vision Mobility: Womit wir bei der letzten Frage wären, nämlich künftigen 5G-Anwendungen: Wie beurteilen Sie das Thema „Autonomes Fahren“ und „Vision Zero“ aus aktueller Sicht? Werden wir diese Vision des unfallfreien Verkehrs bis 2050 ebenfalls erreichen können?

Hildegard Müller: Unsere Unternehmen – Hersteller wie Zulieferer – sind bei der Digitalisierung sehr gut unterwegs. Aber wir brauchen auch den entsprechenden Rechtsrahmen, damit diese Technologien auf die Straßen kommen können. Deshalb sollte der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum autonomen Fahren nun rasch alle parlamentarischen Hürden nehmen, auch wenn an der ein oder anderen Stelle noch nachjustiert werden muss. Die Verabschiedung muss aber noch in dieser Legislaturperiode erfolgen.

Die deutsche Automobilindustrie hat sich einen großen technologischen Vorsprung erarbeitet, den wir jetzt nicht durch zeitliche Verzögerung im Gesetzgebungsverfahren verspielen dürfen. Wir brauchen eine bundesweite einheitliche Regelung, weil die Erprobung automatisierter und autonomer Fahrsysteme nicht an der Grenze von Bundesländern Halt machen kann - wir wollen den Regelbetrieb in allen Bundesländern aufnehmen. Und wir brauchen auch auf EU-Ebene die notwendigen Rahmenbedingungen. Die Politik muss auch hier ihre eigenen Aufgaben noch machen.

 

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