ICCT-Bericht: Der Diesel ist noch immer nicht sauber
Mehr als sieben Jahre nach dem Beginn des "Dieselgate"-Skandals zum weit verbreiteten Einsatz von Abschalteinrichtungen von Abgasreinigungssystemen bei Diesel-Fahrzeugen hat der International Council on Clean Transportation jetzt Belege dafür vorgelegt, dass Dieselfahrzeuge aller Hersteller im realen Betrieb hohe Stickoxidwerte (NOx) ausstoßen. Aufgrund begrenzter Abhilfemaßnahmen seien diese Fahrzeuge jedoch auch heute noch in ganz Europa in Betrieb, moniert das Institut. Im Jahr 2016 hatte John German vom ICCT gefordert, dass die EU-Verordnungen eine klare und eindeutige Definition von Abschalteinrichtungen festlegen müssen, um das Problem vollständig anzugehen. Vor kurzem hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) das getan und in vier Urteilen klargestellt, was eine verbotene Abschalteinrichtung ist. Laut Gericht darf die Abgasreinigung nur noch heruntergefahren werden, wenn konkrete Technikschäden und Sicherheitsrisiken drohen.
Danach müssten Autohersteller den Kunden grundsätzlich Schadenersatz zahlen, wenn im Fahrzeug eine solche Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung eingesetzt wird. Bis dato bestand für Klägerinnen und Kläger lediglich dann eine Chance auf Schadenersatz, wenn diese vom Hersteller "bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht" worden waren. Das war nur beim VW-Dieselmotor EA189 der Fall, mit dem der Dieselskandal ab September 2015 seinen Anfang nahm. Viele dieser verbotenen Strategien seien bei den Herstellern von Dieselfahrzeugen üblich gewesen, so das ICCT, bevor das Prüfverfahren Real Driving Emissions (RDE) eingeführt wurde.
Hersteller wehren sich: Alle geltenden Normen beachtet
Gegenüber dem Handelsblatt betonten alle Hersteller, sich immer an geltende Normen gehalten zu haben. Wie Peter Mock, ICCT-Europageschäftsführer, gegenüber dem Medium erklärte, hätten die Behörden in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten lange weggeschaut, weil die Anzahl der Autos einfach so groß sei. Der Verband der Automobilindustrie kontert prompt und lässt einen Sprecher erklären: "Die Fahrzeuge, die hier durch den ICCT beanstandet werden, sind auf deutschen Straßen kaum noch existent. Der ICCT-Bericht basiere „ausschließlich auf längst überholten Daten, die zum Teil sogar bis ins Jahr 2016 zurückgehen“. Zudem hätten die Hersteller in den vergangenen Jahren „umfangreiche Nachbesserungen an den Fahrzeugen und Nachrüstungen an der Hard- und Software vorgenommen“.
Fast alle Diesel in unabhängigen Test mit hohen NOx-Emissionen
In dem neuen ICCT-Bericht werden die Ergebnisse von Emissionstests neu bewertet, um die Verbreitung verbotener Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen, die vor der Einführung des RDE-Verfahrens in Europa verkauft wurden, abzuschätzen. Dabei werden Daten aus offiziellen staatlichen Labor- und Praxistests, unabhängigen Tests und einer umfangreichen Datenbank mit Fernerkundungsmessungen berücksichtigt. Die Analyse ergab, dass "verdächtige" NOx-Emissionen bei mindestens 77 % der offiziellen staatlichen Tests und bei bis zu 100 % der Fahrzeuge der Norm Euro 5, Euro 6b und 6c in unabhängigen Tests und Fernerkundungsdaten festgestellt wurden, was auf die wahrscheinliche Verwendung einer verbotenen Abschalteinrichtung hindeutet. Von den 219 getesteten Fahrzeugmodellen wiesen 209 in mindestens einem Test verdächtige Emissionen auf. Über zwei Drittel oder 150 der getesteten Fahrzeugmodelle wiesen "extreme" Emissionen auf, was darauf hindeutet, dass mit ziemlicher Sicherheit eine Abschalteinrichtung vorhanden ist.
Viele der Vor-RDE-Dieselfahrzeuge noch im Umlauf
Anhand der vom ICCT erstellten Marktstatistiken schätzen die Autoren, dass in der EU und im Vereinigten Königreich insgesamt etwa 53 Millionen Dieselfahrzeuge verkauft wurden, die nach der Euro-5- und der Vor-RDE-Euro-6-Norm zertifiziert sind. Unter Berücksichtigung nur der von offiziellen Behörden getesteten Fahrzeuge weisen etwa 24 Millionen verkaufte Dieselfahrzeuge verdächtige Emissionen auf - davon 16,3 Millionen Dieselfahrzeuge mit extremen Emissionen. Diese Zahlen wären noch höher, wenn die staatlichen Behörden ihre Tests ausweiten würden, um mehr Fahrzeugmodelle zu untersuchen, wie etwa die 60 zusätzlichen Fahrzeugmodelle, die bei unabhängigen Tests und Fernerkundungen verdächtige Emissionen aufweisen, skizziert das ICCT weiter.
"Unsere Überprüfung zeigt, dass das Problem der hohen NOx-Emissionen bei allen Herstellern verbreitet ist. Als größter Hersteller von Dieselfahrzeugen in Europa produzierte der Volkswagen-Konzern die meisten Fahrzeuge mit verdächtigen Emissionen. Aber auch mehrere andere Hersteller haben Millionen von Fahrzeugen mit verdächtigen und extremen Emissionen verkauft. Renault-Nissan zum Beispiel verkaufte über 4 Millionen Fahrzeuge mit extremen Emissionen. In Prozent des Gesamtabsatzes haben fast alle Herstellergruppen einen höheren Anteil an Fahrzeugen mit extremen Emissionen verkauft als der Volkswagen-Konzern", berichtet das ICCT.
Die zehn populärsten Fahrzeugmodelle, die bei offiziellen staatlichen Tests extreme Emissionen aufweisen, machten zusammen etwa 4,5 Millionen Verkäufe aus. Nahezu alle diese Modelle hätten auch bei unabhängigen Praxistests oder Fernerkundungen extreme Emissionen aufgewiesen. Drei der zehn Modelle mit extremen Emissionen, würden von der Volkswagen-Gruppe hergestellt und verwendeten EA189-Motoren, für die obligatorische Software-Updates durchgeführt wurden, die aber auch nach den Rückrufen noch Emissionen weit über den gesetzlichen Grenzwerten aufweisen, so das ICCT. Mehr als das Siebenfache liegt laut dem Bericht der Opel Insignia mit Zwei-Liter-Motor damit am weitesten über dem Grenzwert. Auch vier Modelle der Allianz Renault-Nissan mit der Marke Dacia überschreiten laut ICCT den Grenzwert um das Sechsfache. Die Euro-5-Diesel VW Passat, VW Tiguan und Skoda Octavia des VW-Konzerns liegen nach Aussage des ICCT noch immer vierfach über dem Erlaubten.
Euro 7-Norm als Reaktion auf den Diesel-Skandal
Das Problem der hohen NOx-Emissionen von Dieselmotoren im realen Fahrbetrieb wurde vor mehr als acht Jahren erkannt, und diese Neubewertung der Emissionsdaten zeigt noch deutlicher, wie weit verbreitet der wahrscheinliche Einsatz von verbotenen Abschalteinrichtungen ist. Obwohl bisher nur begrenzte Abhilfemaßnahmen ergriffen wurden, gab es wichtige Reaktionen gegeben. Mit der kürzlich angekündigten Euro-7-Verordnung werden umfassendere Prüfanforderungen eingeführt, die dazu beitragen werden, die Durchsetzung der realen Emissionen zu verbessern, glaubt das ICCT. Auf Stadtebene seien in ganz Europa Umweltzonen eingerichtet worden, um die Luftqualität zu verbessern, indem Dieselfahrzeuge und andere Fahrzeuggruppen mit hohem Schadstoffausstoß ins Visier genommen werden.
"Doch diese Maßnahmen allein können die zig Millionen Dieselfahrzeuge, deren NOx-Emissionen weiterhin um ein Vielfaches über dem gesetzlichen Grenzwert liegen, nicht aus der Welt schaffen. Jetzt, da die EuGH-Urteile ein großes Hindernis für die Durchsetzung von Abschalteinrichtungen beseitigt haben, ist es an der Zeit, dass die EU-Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich das Problem der übermäßigen NOx-Emissionen von Dieselfahrzeugen umfassend angehen", forderte das Institut.
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