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IAA Mobility 2023: VM-Fahrbericht VW ID. Buzz AD - Kollege Computer chauffiert gut

Der E-Bulli wird autonom – mit Riesenschritten strebt der nach dem Abschied von Argo AI mit Sensorik der Intel-Tochter Mobileye ausgerüstete Elektro-Transporter – sonst ein „normales“ Serienmodell – in die Serie. Wir waren schon in Freising auf Tour - und angetan, vom defensiv-flüssigen Fahrstil. Alles kein Selbstzweck: Die AD-Bullis sind die Speerspitze der On-Demand-Shuttles im ÖPNV, die man für ein Schlüsselelement der Verkehrswende hält.

Selbst ist der Van: Erste Tour im autonom fahrenden ID. Buzz, vom Flughafen München nach Freising. Kurzfazit: Läuft! | Foto: J. Reichel
Selbst ist der Van: Erste Tour im autonom fahrenden ID. Buzz, vom Flughafen München nach Freising. Kurzfazit: Läuft! | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Formal heißt das Modell ID. Buzz AD Prep 1, sprich Erprobungsfahrzeug, mit dem wir uns auf die erste autonome Tour begeben. Angepeilt ist bei dem VW Nutzfahrzeuge-Projekt nach der offiziellen Scala des autonomen Fahrend SAE-Level 4 ohne Fahrer, im ODD, sprich in einem begrenzten Straßennetz – und zwar im ersten Schritt Personenbeförderung, sprich MaaS (Mobility as a Servic), im zweiten Schritt aber auch Frachtbeförderung oder TaaS (Transport as a Service). Bewusst hat man hier kein Level 5 im Blick. Das seien keine Fahrzeuge im eigentlichen Sinne mehr, sondern reine People Mover, skizziert VWN-AD-Chef Christian Senger, der das AD-Programm beim letzten verbliebenen deutschen Hersteller auf diesem Feld verantwortet, den feinen Unterschied. Für den Start und die öffentliche Akzeptanz sei es auch wichtig, dass ein "normales Fahrzeug" daherkommt. Und da hat man mit dem "ikonischen" Sympathieträger aus dem VW Nutzfahrzeuge-Sortiment, dem "E-Bulli", genau die richtige Wahl getroffen, findet Senger.

Der letzte Mohikaner: VW glaubt ans autonome Fahren - im ÖPNV

Losgehen soll es mit den „autonomen Fahrdiensten“ schon im Jahr 2025/26, in Dreieinigkeit mit Mobileye und der On-Demand-Tochter Moia. Die will die Fahrzeuge in Hamburg einsetzen – und damit auch einem dringlichen Problem zu Leibe rücken: Dem grassierenden Fahrermangel. Für eine Flotte von 5.000 Fahrzeugen bräuchte man einen Fahrerpool von 12.000 bis 15.000 Chauffeuren. Bei kleinen Fahrzeugen schlagen die Personalkosten umso heftiger ins Kontor, wie Moia-CEO Sascha Meyer weiß. Auch im Betrieb will man daher übrigens so viel wie möglich automatisieren: Fahrzeugcheck über Teleoperator etwa.

Die kleinen „Gefäße“, wie Meyer sie nennt, sind aber wiederum ein Schlüsselelement der Verkehrswende, nicht nur im suburbanen, sondern eben auch im urbanen Bereich, in Ergänzung und als Lückenschluss im ÖPNV – und übrigens keineswegs als Taxi-Konkurrent. Von mehr "Werthaltigkeit" im ÖPNV spricht Meyer - und meint schlicht: attraktivere Öffis, die den Kunden im wahrsten Sinne "entgegenkommen" und mehr Komfort bieten. Übergeordnetes Ziel: Das eigene Auto überflüssig machen, den Verkehr und das Klima entlasten.

In Hamburg zeigen sich erste "Moia-Effekte": Weniger Pkw-Fahrten

Schließlich geht es hier um Ride-Pooling, das heißt, die effiziente Bündelung von Fahrtwünschen - und nicht das klassische von A nach B-Geschäft. Dabei ist man schon weit gekommen in Hamburg: Auf eine „ehrlich gemessene“ Auslastung von 1,8 bis 1,9 Fahrgäste bringt es der Fahrdienst in der Hansestadt bereits, eine enorme Zahl, im Vergleich zur schlechten Auslastung von Privat-Pkw – oder auch zu Taxis. In der Stadt ist zugleich die für einen wirtschaftlichen Betrieb notwendige, die "natürliche" Nachfrage vorhanden, wie Meyer erklärt. Am Wochenende ist es schon heute so, dass man heillos überbucht ist. 1,2 Millionen Fahrten verzeichnet man pro Woche. Reine Umland-Betriebe sieht der Moia-Chef mangels Masse dauerhaft als Zuschussgeschäft, wie es der ÖPNV eben auch ist. Daher aber nicht weniger sinnvoll als Ergänzung. Aber Volumeneffekte erziele man hier weniger, meint Meyer.

Erste Verlagerungseffekte zeigen sich in Hamburg: Die Zahl privater Pkw-Fahrten ist rückläufig, knapp acht Prozent weniger, oder 15 Millionen Pkw-Kilometer. Die ÖPNV-Fahrten, zu denen sich Moia zählt, legen zu. Zudem verweist Meyer auf den "Touren-Effekt": Die Leute kombinieren einen Moia-Shuttle bei Wege-Ketten, etwa in die Arbeit und weiter ins Fitness-Studio, bei denen man sonst den eigenen Wagen genommen hätte. Auf einen niedrigen fünfstelligen Betrag taxiert der AD-Fahrfunktion-Verantwortliche bei VW Nutzfahrzeuge Prof. Thomas Form die Mehrkosten, knapp 35.000 Euro könnten das sein.

Natürliche Nachfrage: Das Geschäft läuft nur in der Stadt

Klar, technisch ist das die deutlich größere Challenge, als der Umland- oder Autobahn-Betrieb. Aber Meyer meint: „Es hilft nichts, wir müssen in die Städte, damit es sich rechnet“. Vom ID. Buzz AD sind im ersten Schritt etwa 10.000 Exemplare geplant, dann in der Langversion, die jüngst in den USA vorgestellt wurde und die bald auch nach Europa kommt. In die Skalierung, avisiert Form, werde man dann ab dem nächsten Jahrzehnt gehen – und zwar weltweit. Dann aber auf Basis eines abgesicherten und solide aufgesetzten Prozesses, der vor allem auch rentabel sein soll. Hamburg solle als "Blaupause" für Europa und die Welt dienen, ergänzt Sascha Meyer. Man müsse nicht der erste sein, formuliert VWN-AD-Chef Christian Senger mit Blick auf die amerikanische und chinesische Konkurrenz, aber der Beste. Er erwartet, dass man sich in etwa zur gleichen Zeit, sprich in ein paar Jahren, am dann zügiger wachsenden Markt trifft - und gibt sich auch insofern gelassen, als man mit Horizon seit kurzem ja auch in China einen potenten Technologie-Partner fürs autonome Fahren hat.

Und dann erwartet Senger einen schnellen Hochlauf der Technologie und der „On-Demand“-Shuttles. Er meint: Das ist wie beim Popcorn. Und das könnte funktionieren, wie eine erste Tour oder besser "Mitfahrt" ergab. Die startet vom Testareal am Münchner Flughafen, das man von Argo AI übernahm und auf der unzählige Verkehrssituationen mit Frachtkontainern nachgestellt sind. Argo AI ist eine eigene Geschichte. Die Kurzform von Christian Senger: Zu komplex, zu teuer, zu fehleranfällig, zu ambitioniert, mit all der High-End-Einzelstück-Sensorik. Das Sensor-Package von Mobileye quasi "von der Stange" besteht aus Kamera, Lidar, drei Long- und sechs Short-Radaren und ist zwar auch nicht ganz billig (siehe oben), aber eben doch erprobt und skalierbar. Sodass es ziemlich zügig losgehen konnte.

Erste Tour de Autonom: Der Bulli lässt gut fahren

Zügig los legt auch unser ID. Buzz AD. Nach der ersten Ausfahrt übernimmt der Computer vom Sicherheitsfahrer und zirkelt schon mal sehr elegant und flüssig durch den Kreisverkehr, meistert eine komplexe Kreuzungssituation hinter diversen Fahrzeugen und einem Lkw mit typischem Stop-and-Go und bremst defensiv, als aus einer Autobahnausfahrt ein Fahrzeug auf unsere Landstraßenspur einschert. Ein kundiger Fahrer hätte hier vielleicht weniger auf die Bremse gedrückt, aber "better safe then sorry", gilt als oberste Devise, wie auch Fahrfunktionschef Thomas Form am Beifahrersitz erläutert.

Einen Haken kann man fast schon setzen hinter "normalen" Landstraßenbetrieb, bis zum Ortschild Freising absolviert der Computer souverän. Das Fahrgefühl ist "flüssig defensiv" - man ist keineswegs ein Verkehrshindernis, auch wenn sich das System natürlich penibel an die Limits hält. Verblüffend, wie akkurat er Kurven durchfährt, das wirkt gar nicht mehr so eckig, wie unsere ersten Erfahrungen mit autonomen Fahrzeugen. Dann wird's kniffeliger, Ortsschild Freising: Von 70 bis 80 Prozent Komplexität spricht Meyer bei der aufgesetzten Runde, die natürlich mit entsprechendem Kartenmaterial gut hinterlegt ist. Der autonome Bulli kennt die Trasse als aus dem "ff" und wie ein guter Taxi-Fahrer.

Ein Screen sortiert den Verkehr

Auf einem Screen bekommt man den Verkehr sortiert, ähnlich wie bei Tesla, damit man weiß, wie der Kollege Computer die Echtzeit-Situation einschätzt. Ergänzt durch Farben: Weiß für "irrelevant", gelb für "vorbeifahren", rot für "Vorfahrt gewähren", blau für "im Weg". Das sind zum Beispiel die zwei Jungen Damen, die sich mit ungläubigen Blicken leicht zögerlich dem Zebrastreifen nähern - und für die der autonome Bulli selbstredend zuverlässig anhält. Beachtlich aber auch, das letztlich souveräne Agieren hinter diversen Radfahrern: Die sogenannten Radwege in Freising - wie in Deutschland häufig ein schmaler abmarkierter Streifen auf der Fahrbahn - animieren den AD-Bulli nicht zu forschem Überholen ohne den vorgeschriebenen Abstand, wie man es häufig nicht nur in Freising als Radfahrer erlebt. Der Buzz bleibt brav hinten - und wartet ruhig, bis sich die Situation klärt und gefahrfreies Überholen möglich ist. Die Rückfahrt spult der Buzz dann ebenso locker runter, er kennt ja den Weg. Der Sicherheitsfahrer hat nur zwei Mal kurz ans Lenkrad gezuckt, eigentlich mehr ein Reflex als echte Notwendigkeit.

VM-Fazit:

Beeindruckend, wie souverän schon der Prep 1-Buzz agiert, wir hätten keine Probleme, uns diesem klug agierenden Chauffeur anzuvertrauen. Und sind gespannt auf die weiteren Evolutionsstufen. Vielleicht ist der Computer doch der bessere Fahrer.

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