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Hypermotion 2021: VM Think Tank Cargobikes - das Rad wird neu erfunden

Mindestens 30 Prozent, vielleicht 70 Prozent der innerstädtischen Frachten ließen sich mit E-Cargobikes befördern, meinten die Experten auf dem Panel. Wenn die Technik sich weiter professionalisiert, die Aufbauten sich standardisiert, aber vor allem: Die Politik nach der Wahl den Rahmen richtig setzt. Förderung alleine bringt's nicht.

Debattierten über die Neuerfindung des Rades - als Lastenrad: Klaus Grund, Benjamin Federmann, Jonas Kremer und VM-Redakteur Johannes Reichel. | Foto: HYM
Debattierten über die Neuerfindung des Rades - als Lastenrad: Klaus Grund, Benjamin Federmann, Jonas Kremer und VM-Redakteur Johannes Reichel. | Foto: HYM
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Johannes Reichel

Mindestens 30 und bis zu 70 Prozent der innerstädtischen Transporte ließen sich mit E-Cargobikes abwickeln, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das war der Tenor des jüngsten Think Tanks von VISION mobillity im Rahmen der Hypermotion in Frankfurt, der unter hochkarätiger Besetzung von Branchenexperten stattfand. Und wie dieser Rahmen aussehen müsste, das debattierten die Panelisten intensiv. Einig war man sich darin, dass es eine reine staatliche Förderprämie, von den Grünen im Wahlkampf auch für private Cargobikes vorgeschlagen, alleine nicht bringt. "Viel wichtiger wäre ein Masterplan Verkehr", meinte etwa der Frankfurter Radlogistikpionier Klaus Grund von "Sachen auf Rädern", der innerstädtisch vor allem Food-Transporte per Lastenrad abwickelt.

Vor der Förderung braucht es einen Masterplan

Bei der bisherigen Förderung falle er mit seinem Unternehmen meist durch's Raster, zudem seien die Antragsformalia zu kompliziert. Schon bisher sei die Incentivierung der Lastenräder durch Programme des Bundes, der Länder und Kommunen bei weitem zu niedrig, moniert auch Jonas Kremer, CEO des Berliner E-Cargobike-Herstellers Citkar.

"Eine Förderung alleine bringt auch nichts, man sollte nicht in dieses Fahrwasser geraten, alles mit Geld lösen zu wollen. Das Transportmittel muss sich durch seine Vorteile durchsetzen", plädierte Benjamin Federmann, Chief Innovation Officer beim E-Cargobikehersteller ONO, der ebenfalls aus Berlin stammt.

Um diese Vorteile auszuspielen, müsse der gesetzliche Rahmen passen. "Tempo 30 und Haltebeschränkungen für schwere Vans wie in Paris, das wäre mal eine Maßnahme, die einen Impact hätte", fordert Federmann zum "großen Wurf statt Förder-Klein-Klein" auf.

"Man muss den Raum in den Städten neu verteilen und weg von der Autozentrierung. Wir brauchen mehr Platz für Rad- und Fußverkehr. Und wir müssen die nun mal notwendigen Logistikprozesse nachhaltiger und menschengerechter ins Stadtleben integrieren", appelierte Federmann weiter.

Jonas Kremer ergänzt, dass manche Unternehmen durchaus eine Prämie in Anspruch nehmen würden, die dann aber mit 4.000 bis 5.000 Euro auch höher liegen müsse. Welche Wirkung eine Incentivierung haben könne, zeige die Prämie bei E-Autos. Auch dürfe man die Nutzung von schweren E-Cargobikes im privaten Bereich als Autoersatz nicht unterschätzen, so Kremer aus Citkar-Perspektive. Hier warnte allerdings Federmann, dass eine Förderung im privaten Bereich nur "Mitnahmeeffekte" auslösen könne und zu wenig zielgerichtet sei.

Stückzahlen zu niedrig für dedizierte Cargobike-Komponenten

Aber in Anbetracht der meist noch kleinen Stückzahlen seien die E-Cargobikes einfach noch sehr teuer in der Anschaffung. "Wir sind hier noch weit von automobilindustriellen Serien entfernt", konstatierte Federmann nüchtern. Das habe Auswirkungen auch auf die Komponenten, die teils aus dem Motorradsegment, teils aber aus dem B2C-Fahrradsegment stammten und noch nicht wirklich perfekt geeignet für schwere Lastenräder seien, so Federmann. Radlogistiker Grund berichtet aus der Praxis, dass ständige Reparaturen notwendig seien und der Komplettverschleiss eines Bikes nach drei Jahren vorliege. Grund setzt einspurige Long-John-Bikes mit Anhänger und in Kombination mit dezentralen Mikrohubs ein, die noch schmal und geeignet für enge Innenstädte wie in Frankfurt sind. Ein Lastenrad für alle Zwecke, werde es nicht geben, prognostiziert Grund.

Normierung tut Not - und wird kommen

ONO-Innovations-Chef Federmann plädierte zudem für eine forcierte Standardisierung der Bike-Aufbauten, nach dem Vorbild der Postsäcke, Seecontainer oder Europaletten, wobei er sich auch andere Normen als eine EPAL-Orientierung vorstellen kann. In Sachen der Grenzen des neuen oder besser wiederentdeckten Transportmittels im Hinblick auf die zu transportierenden Nutzlasten sieht Federmann übrigens keine fixe Grenze. Jonas Kremer glaubt ebenfalls, dass es eine Standardisierung braucht und sie kommt, sich die Branche aber an den Europalettenmaßen und davon abgeleiteten Normierungen wie Euroboxen orientieren werde.

Leichter Einstieg: Cargobikes als "Logistics as a Service"

Klaus Grund setzt für einen reibungsloseren Ablauf der Radlogistik auch auf Vorkommissionierung, wie sie in der Logistik üblich ist. Darüber hinaus sollten immer mehr Prozesse auch teilautomatisiert werden, plädiert Federmann. Man wolle das auch mit dem neuen Angebot "Logistics as a Service" vorantreiben, das die Prinzipien der Lkw-Logistik auf die Cargobikes überträgt und dem Anwender möglichst viele Prozesse im Alltag abnimmt, wirbt Federmann.

Vorteil Fahrrad: Kein Fahrermangel

Einen Fahrermangel wie im Lkw-Sektor sieht Praktiker Klaus Grund in der Radlogistik übrigens nicht. "Unsere Fahrer sind überzeugte Radler, die ihren Job gerne machen und fair behandelt und bezahlt werden", meint der Frankfurter. Benjamin Federmann prognostiziert sogar, dass sich unter Cargobikern eine Community bilden werde wie die der Trucker oder Fernfahrer in den 80er-Jahren. Der "King of the Urban Road", sozusagen.

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