Fraunhofer-Projekt: Intelligente Ampeln für besseren Verkehrsfluss
Bisherige Ampelsteuerungen funktionieren regelbasiert und verfügen über Induktionsschleifen, die in den Asphalt eingelassen sind. Doch diese Regeln und die vorhandenen Sensoren bilden die Verkehrssituationen nur grob ab, meint ein Forscherteam am Institutsteil für industrielle Automation INA des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Lemgo.
Im Rahmen des Projekts KI4LSA erforschen sie deshalb, wie eine auf Künstlicher Intelligenz basierende Ampelsteuerung vorausschauend den Verkehr lenken kann. Hochauflösende Kamera- und Radarsensoren sollen das Verkehrsgeschehen zudem präzise erfassen. Das Ziel: weniger überfüllte Ampelkreuzungen, mehr Verkehrsfluss und mehr Sicherheit, vor allem auch für Fußgänger.
Autozahl in Echtzeit und spurgetreu
Die Anzahl der wartenden Fahrzeuge an der Kreuzung soll so spurgetreu in Echtzeit aufgenommen werden. Erfasst werden soll auch die durchschnittliche Geschwindigkeit der Fahrzeuge und die Wartezeit. Die Echtzeit-Sensorik wird mit Künstlicher Intelligenz kombiniert. Die KI verwendet Algorithmen des sogenannten Deep Reinforcement Learning - eine Methode des maschinellen Lernens, die intelligente Lösungen für komplexe Steuerungsprobleme finden soll.
„Wir haben von der Lemgoer Kreuzung, an der unsere Tests stattfinden, ein realitätsgetreues Simulationsmodell gebaut und die KI in diesem Modell unzählige von Iterationen trainieren lassen. Zuvor haben wir das gemessene Verkehrsaufkommen zur Rushhour in das Simulationsmodell übertragen, sodass die KI mit realen Daten arbeiten kann“, erklärt Arthur Müller, Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA.
Ein trainierter Agent, ein Neuronales Netz, stelle die Ampelsteuerung dar und die so trainierten Algorithmen sollen das beste Ampel-Schaltverhalten ermitteln sowie die beste Phasenfolge. So sollen sich die Wartezeiten an der Kreuzung verkürzen, Fahrzeiten, der durch Staus entstehende Lärm und die CO2-Belastung gesenkt werden.
Bis 15 Prozent besserer Verkehrsfluss
Die KI-Algorithmen laufen auf einem Edge-Computer im Schaltkasten an der Kreuzung, so die Forscher. Sie lassen sich auf Verbundschaltungen testen, anwenden und skalieren, also auf benachbarten Ampeln, die sich in einem Verbund befinden. Simulationen an der Test-Kreuzung in Lemgo, die mit solchen intelligenten Ampeln ausgestattet wurde, zeigten laut Forschungsteam, dass der Verkehrsfluss durch Künstliche Intelligenz um 10 bis 15 Prozent verbessert werden könnte. Für die kommenden Monate stehen weitere Evaluationen an, der trainierte Agent soll auf die Straße gebracht, also ins Reallabor überführt werden. Berücksichtigt werden sollen auch Parameter, wie Lärmbelästigung und Abgasemissionen. Doch es gilt auch gewisse Hürden zu überwinden:
„Die Annahmen zum Verkehrsverhalten in der Simulation stimmen nicht 1:1 mit der Realität überein. Dementsprechend muss der Agent angepasst werden“, sagt Müller. „Gelingt dies, ist der Skalierungseffekt enorm, bedenkt man die große Anzahl an Ampeln allein in einer Stadt wie Lemgo.“
Durch KI-Ampeln könnte laut Müller die vorhandene Infrastruktur effizienter genutzt werden. Infolge von Staus entstünde in der EU jährlich ein wirtschaftlicher Schaden, der auf 100 Milliarden Euro für die Mitgliedsstaaten beziffert würde, so die Pressemitteilung des Fraunhofer IOSB.
"Weltweit sind wir die ersten, die die Ampelsteuerung per Deep Reinforcement Learning unter realen Bedingungen testen. Wir setzen auf den Vorbildcharakter unseres Projekts“, erklärt Müller.
Das Projekt läuft bis Sommer 2022 und wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur BMVI gefördert. Projektpartner sind die Stührenberg GmbH, die Cichon Automatisierungstechnik GmbH, die Stadtwerke Lemgo GmbH sowie die Alte Hansestadt Lemgo (assoziiert) und Straßen.NRW (assoziiert).
Fußgänger im Fokus: Ampel nach Aufkommen
Ein weiteres Projekt namens KI4PED stellt die Fußgänger in den Fokus: Gemeinsam mit der Stührenberg GmbH und den assoziierten Partnern Straßen.NRW, Stadt Lemgo und Stadt Bielefeld möchte das Fraunhofer IOSB-INA bis Ende Juli 2022 einen innovativen Ansatz zur bedarfsgerechten Steuerung von Fußgängerampeln entwickeln. Im Blickfeld sind dabei vor allem vulnerable Personen, wie Ältere oder Menschen mit Handicap. Ziel ist es, Wartezeiten zu verkürzen und die Sicherheit an Ampelkreuzungen durch längere Überquerungszeiten zu erhöhen, da die Grünphasen für diese Personengruppen laut aktueller Studien zu kurz seien.
Derzeit installierte Taster liefern zu wenig Informationen, beispielsweise über die Anzahl der Personen, so die Forscher. Mittels künstlicher Intelligenz und hochauflösender Lidar-Sensoren sollen die Überquerungszeiten automatisch an die Bedarfe der jeweiligen Fußgänger angepasst werden. Die Personenerkennung und das Tracking soll auf Basis von Lidar-Daten mittels KI erzielt und in einem eingebetteten System in Echtzeit umgesetzt werden.
„Aus Gründen des Datenschutzes verwenden wir anstelle von kamerabasierten Systemen Lidar-Sensoren, da sie Fußgänger als 3D-Punktwolken darstellen und diese somit nicht identifiziert werden können«, erklärt Dr. Dennis Sprute, Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA.
Lidar-Sensoren senden Laserstrahlen zur Abstandsmessung aus und registrieren das zurückgestreute Licht. Die Laufzeit des Lichts gibt Aufschluss über die Entfernung zum Objekt, also zur Person. Diese Sensoren sind zudem robust gegenüber Beleuchtungs-, Spiegelungs- und Witterungseinflüssen.
Eine Machbarkeitsstudie überprüft ihre optimale Positionierung und Ausrichtung an der Ampelkreuzung. Die KI-Algorithmen werden an zwei Ampelkreuzungen in Lemgo und Bielefeld eine Woche lang trainiert. Geplant sind auch Sensortests auf dem Gelände des Fraunhofer IOSB-INA bei verschiedenen simulierten Beleuchtungsbedingungen. So soll die Erkennungsleistung bestimmt werden.
Nach eigenen Angaben erhoffen sich die Forschungspartner mit einem bedarfs- und situationsgerechten Steuerungskonzept, die Wartezeit bei hohem Personenaufkommen um 30 Prozent und die Anzahl gefährlicher verkehrswidriger Überquerungen um etwa 25 Prozent reduzieren zu können.
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