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Flottengrenzwerte: Enttäuschung mit Ansage - Absage an starkes Instrument

In Fachkreisen wird die lasche Position Deutschlands in Sachen Grenzwerte negativ bewertet. Die seien trotz Schwächen das wirksamste Instrument, mahnt der ICCT und sieht den E-Boom in Gefahr.

Direkte Wirkung auf die Fahrzeugflotte: Mit den Grenzwerten setzt die Politik an der Wurzel an - und sorgte für einen Boom bei Elektroautos. | Foto: AdobeStock
Direkte Wirkung auf die Fahrzeugflotte: Mit den Grenzwerten setzt die Politik an der Wurzel an - und sorgte für einen Boom bei Elektroautos. | Foto: AdobeStock
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Johannes Reichel

Nachdem sich die Bundesregierung sich auf Drängen des FDP-Verkehrsministeriums und Billigung von SPD-Kanzler Olaf Scholz nicht auf die ehrgeizigere Position des Grünen-Umweltministeriums verständigen konnte, kommt weitere Kritik aus Fachkreisen. Der Beschluss sei eine "Enttäuschung, aber nicht viel anders als die Enttäuschung der letzten Jahre", konstatierte Peter Mock, Europa-Direktor der NGO International Council on Clean Transportation gegenüber Spiegel Online. Er honorierte, dass die Bundesregierung nun immerhin nicht mehr aktiv gegen die EU-Pläne arbeiten würde. Diese sehen eine Reduzierung der Flottenemissionen um 55 Prozent bei Pkw und Transportern bis 2030 vor.

Das Umweltministerium unter Steffi Lemke hatte 75 Prozent Reduktion vorgeschlagen. Sie konnte sich aber nicht durchsetzen und sieht jetzt allenfalls als Erfolg, dass zumindest E-Fuels nicht angerechnet werden können auf die Flottengrenzwerte. Ihr Ministeriumskollege Wissing will sie aber dennoch weiter fördern, entgegen urpsprünglicher Aussagen. Der Regierung sei zugleich bewusst, so das ICCT, dass mehr für die Klimaziele im Sektor getan werden müsse. Dafür seien die Grenzwerte das beste Instrument. Wenn man aber nicht weiter nachlege, seien die Ziele in Gefahr.

"Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Elektromarkt wieder implodiert, in dem Moment, in dem nicht mehr die Flottenziele greifen und zugleich Kaufrpämien auslaufen", warnte Mock.

Aus Sicht des ICCT-Chefs hätten die bestehenden Grenzwerte (derzeit 118 g CO2/km) die Hersteller angetrieben, die Emissionen zu senken und zugleich mit Elektrofahrzeugen auf den Markt zu kommen. Formal hätten alle großen Autohersteller in Europa die Emissionsziele für 2021 erreicht, lobte Mock.

Grenzwerte: Wirklicher Klimaschutz - oder nur auf dem Papier?

Zugleich räumte Mock aber ein, dass die EU-Standards auch nicht perfekt seien. Im Detail kritisiert etwa in schärferer Form Greenpeace, es handle sich um ein "Märchen vom Klimafortschritt" und nicht mehr als ein reiner "Papier-Wert". Schließlich können Hersteller schwerere Autos mit einem Gewichtsbonus beim CO2 abrechnen, die fünf Prozent Neuwagen mit den höchsten Emissionen werden seit 2020 nicht mehr mitgerechnet und als Elektroauto gelten auch Plug-in-Hybride, für die sogenannte Supercredits angerechnet werden. Kritisch sieht man bei Greenpeace etwa auch das Konzept des CO2-Pools, in dem Hersteller wie Tesla sich ihre Nullemissionen als Gutschriften abkaufen lassen können, ähnlich dem EU-Zertifikate-Handel.

Flottengrenzwerte: Direkte Wirkung auf die Hersteller

Dieser wird immer wieder als EU-weite Option auch für Pkw vor allem von der FDP nach Vorbild Energie und Industrie ins Spiel gebracht, ebenso eine erhöhte direkte Abgabe auf Sprit, wie sie schon besteht. Beides müsste aber aus Sicht von Peter Mock so hoch sein, dass man mit starken sozialen Verwerfungen rechnen müsste. Generell sei auch der Zusammenhang zwischen Benzinpreishöhe und Nachfragerückgang gering.

Der Ansatz der direkten Einwirkung auf die Hersteller sei wirksamer, wie der Boom bei den Elektroautos zeige. Die Grenzwerte würden hier als Treiber wirken, befindet auch Friederike Piper, Referentin E-Mobilität vom Umweltdachverband T&E, der jüngst die Beschlüsse der Regierung scharf kritisiert und in einer Studie mit dem Nabu prognostiziert hatte, dass damit die Klimaziele weit verfehlt würden. Die bisherigen Marken für 2025 und 2030 sieht sie als "low hanging fruits", die auch ohne größere Anstrenungen erreicht werden könnten.

„Deutschland ist nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch im Interesse der Zukunft des Automobilstandorts Deutschland verpflichtet, sich für strengere Flottengrenzwerte einzusetzen. Es wäre fatal, diese aktuelle Chance verstreichen zu lassen und keine Planungssicherheit für die nationale Industrie zu schaffen. Denn das käme nur den chinesischen Automobilherstellern zugute", glaubt Piper.

Als Alternativen zu strengeren Grenzwerten lägen noch unpopulärerer Maßnahmen auf dem Tisch, die die Ampel-Koalition und vor allem die FDP aber auch scheue: Ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer für den Kauf sparsamer Fahrzeuge, ein Wegfall von Dienstwagen- und Dieselprivileg, Tempolimit auf Autobahnen oder eine Pkw-Maut. Vermutlich setzt die Koalition weiter auf üppige Kaufprämien, deren Effekt aber nach jüngsten Berichten über den raschen und gezielten Weiterverkauf von deutschen E-Autos ins Ausland noch stärker in Frage stehen dürfte.

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