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Fahrbericht: Seat Mii electric - so muss ein E-Volks-Wagen sein

Mit guter Reichweite, hoher Agilität sowie praktischem Fahrzeugkonzept zum erschwinglichen Preis zeigt der Hersteller gemeinsam mit seinen Konzerngeschwistern, wie ein Elektroauto für alle aussehen muss.

Nicht nur ein Stadt-Stromer: Der Mii Electric packt durchaus auch Mittelstrecken, zur Not hilft ein CCS-Lader schnell auf die Sprünge. | Foto: J. Reichel
Nicht nur ein Stadt-Stromer: Der Mii Electric packt durchaus auch Mittelstrecken, zur Not hilft ein CCS-Lader schnell auf die Sprünge. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Seat hat als erste Volkswagen-Marke den Startschuss für die Einführung des elektrischen Kleinwagens gegeben. Der Mii electric ist baugleich mit dem VW eUp sowie dem Skoda Citigo iV und soll ab sofort bestellbar sein. Die Auslieferung erfolgt voraussichtlich allerdings erst im nächsten Februar.

"Wir wollten das beste Stadtauto bauen, das man kaufen kann und damit nicht nur Elektroautos Paroli bieten, sondern vor allem auch Verbrenner-Modellen", umschreibt der verantwortliche E-Mobilitätsleiter Santi Castella die Aufgabenstellung.

Der bisherige VW eUp war vor allem bei der Reichweite zu schwach, um mehr Nachfrage zu generieren. Jetzt glaubt man: "Der Mii electric ist genau das richtige Fahrzeug für einen elektromobilen ersten Aufschlag", wie Seat-Sprecher Fabian Simmer erklärt. Das könnte durchaus zutreffen, ein Strom-Auto wie den Mii hätte man sich allerdings von einem Konzern wie Volkswagen schon seit Jahren gewünscht. Castella argumentiert dagegen, erst jetzt sei die Akku-Technologie reif, um ein Elektro-Auto plausibel und praxistauglich darzustellen.

All-you-need-car: Platz für Vier auf wenig Fläche

Wie auch immer: Bei einer ersten Proberunde hinterließ das Fahrzeug, das einen neuen Elektroantrieb in das 2011 vorgestellte Kleinwagenkonzept transferiert, einen durchdachten Eindruck. Die mit 32,2 kWh nutzbarer Kapazität ausgestattete Lithium-Ionen-Batterie ist dabei komplett im Fahrzeugboden untergebracht, sodass sowohl der recht tiefe und hohe Kofferraum (251 bis 923 l) wie auch der Passagierraum voll erhalten bleiben. Bei einem 1,82 Meter großen Fahrer sitzt man auch im Fond also relativ bequem, die Kopffreiheit des von Haus aus etwas höher bauenden One-Box-Konzepts (1,48 Meter) ist mehr als ausreichend. Vier erwachsene Personen plus leichtes Gepäck haben also durchaus Platz in dem nach wie vor nur 3,55 Meter langen, 1,64 Meter schmalen Kleinwagen.

Schluss mit Getrommel: Mit E-Antrieb wie verwandelt

Der verwandelt sich trotz der angejahrten Konstruktion mit dem Elektroantrieb in ein völlig anderes Fahrzeug, das es bisher zwar schon bei VW als eUp zu kaufen gab, aber eben nicht mit einem alltagstauglichen Akku samt Schnelllader an Bord. Im Gegensatz zum teils ziemlich grimmig trommelnden Dreizylinder-Benziner, der ebenso wie der CNG-Antrieb komplett gestrichen wird, ist der E-Antrieb im Mii überhaupt nicht zu hören und unterdrückt selbst leises Sirren wirkungsvoll. Umso mehr fallen da natürlich ein paar Windgeräusche auf der Autobahn auf, die der am Testtag schärfere Wind durch die Türdichtungen jagt. Alles aber im Rahmen. Generell ist der Mii Electric nämlich ein äußerst leises Fahrzeug, das auch recht ruhig abrollt, für einen Kleinwagen kommod und angenehm straff federt, ohne hart zu sein. Die Karosserie erweist sich darüber hinaus als knarz- und verwindungsfrei, die sichtbar preisbewusst gewählten Kunststoffe sind sauber verarbeitet.

Zudem liegt das für einen Stromer mit 1,2 Tonnen leichte Fahrzeug mit den tief platzierten, 280 Kilo schweren. luftgekühlten Akkus im Boden wie das sprichwörtliche Brett auf der Straße und wedelt lustvoll über kurvige Landstraßenpassagen. Das Fahrwerk wurde überarbeitet und eigens mit neuen Federn ausgestattet. Die präzise und doch leichtgängige Lenkung trägt hier auch ihren Teil bei, erst recht, weil man mit unter zehn Meter Wendekreis fast wie auf der Stelle dreht. Dynamisch ist auch die Beschleunigung: In der City zieht man dank der 260 Nm des 61-kW-Motors unter vier Sekunden auf 50 km/h und verseilt damit die meisten hochmotorisierten Verbrenner. Angenehm ist der "B"-Modus, der mit strammer Rekuperation dann "Ein-Pedal-Fahren" ermöglicht und die Betriebsbremse, die nötigenfalls stramm zupackt, meist arbeitslos macht.

Selbst auf der Autobahn kommt der Mii klar

Aber wie gesagt, man kommt auch auf der Autobahn gut klar, der lange Radstand sorgt für ordentlichen Geradeauslauf. Nötigenfalls greift sogar der serienmäßig verbaute aktive Spurassistent (!) ein, es gibt eine Verkehrszeichenerkennung und ein Tempomat (Option) lässt einen bequem mit 110-120 km/h dahinstromern.

Allzu sehr "rauchen" lassen sollte man es aber nicht, denn dann reagiert die Reichweitenanzeige sehr empfindlich und zählt die Kilometer nur so runter. Überhaupt ist das einer der Hauptkritikpunkte an dem weitgehend tadellos gemachten Stromwagen: Die digitale Anzeige im Zentraldisplay - mehr als diesen monochromen Bordcomputer braucht mein eigentlich nicht - passt sich äußerst nervös den jeweils augenblicklichen Begebenheiten an. Heißt, wenn es gerade bergauf geht, bricht die Reichweite regelrecht ein. Der Algorithmus "vergisst" ziemlich schnell, was vorher so geschah und wie der Chauffeur agiert.

Nervöse Reichweitenanzeige, aber letztlich realistisch

Das macht einen so nervös, dass man irgendwann einfach im Menü auf Durchschnittsverbrauch wechselt, statt ständig die Restkilometeranzeige zu taxieren. Relevant ist ohnehin die analoge "Tankuhr" rechts und die beträgt sich relativ präzise: Mit 50 Kilometer Restreichweite schlägt das System erstmals Alarm und reduziert schon mal vorsorglich die Leistung ein wenig.

Unterm Strich kamen wir trotz der Sprunghaftigkeit des Reichweitenrechners ziemlich genau auf die anfangs angezeigten 234 Kilometer des nicht ganz vollgeladenen Fahrzeugs. Die 13,4 kWh/100 km an Stromverbrauch im gemischten Autobahn/Lanstraße/Stadt-Mix sind nicht weit von den Werksangaben entfernt (12,7-12,9 kWh/100 km). Mit voller Kapazität sollten die 260 Kilometer machbar sein, im reinen Stadtbetrieb spricht der Hersteller gar von 358 Kilometer. Damit käme man wohl wochenlang über klassische Stadtpendlerdistanzen, ohne laden zu müssen.

"Uns war wichtig, auch für Menschen ohne Heimlademöglichkeit zumindest für eine Woche Mobilität zur Verfügung zu stellen", erklärt Castella weiter.

Schnell voll: Optional gibt's einen 40-kW-CCS-Lader

Apropos: Optional zum 7,2 kW-Lader mit Typ-2-Anschluss ist ein CCS-Stecker mit 40-kW-DC-Bordlader erhältlich, mit dem sich der Strom-Mii binnen einer Stunde von leer auf 80 Prozent. Das Ladekabel Typ 2 ist platzsparend in der Mulde im Kofferraum verräumt, der Anschluss sitzt nicht ganz so praktisch anstelle des obsolet gewordenen Tankeinfüllstutzens.

Die Konnektivitätsfrage hat der Hersteller bei dem Fahrzeug ganz im Sinne der jüngeren Generation gelöst, die ohnehin für alles ihr eigenes Handy nutzt: Mit einer speziellen App und serienmäßig verbautem Connect-Modem kann man auf diverse Fahrzeugfunktionen zugreifen und etwa aus der Ferne nach der Reichweite der Akkus, dem Schließzustand oder überhaupt der Position schauen. Im Fahrzeug selbst flanscht man dann sein Endgerät einfach an die Halterung an und nutzt für die Navigation eben die App seiner Wahl.

Das Radio selbst ist dann simpel und weder mit Touchscreen, noch sonstigem Schnickschnack ausgestattet, tut aber seinen Job: Es spielt Musik, wahlweise per Bluetooth-Verbindung und man kann auch per Freisprecheinrichtung telefonieren. Über die DriveMii-App lassen sich dann auch Musikanwendungen, Radio oder andere gewohnte Apps zugreifen.

Ausstattung: Niedrige Komplexität für niedrigen Preis

Die Liste der Basisausstattung ist erfreulich lang, die der Extras dagegen kurz und knapp: Ein paar Farben, Easy-Flex-Paket mit asymetrisch klappbaren Rücksitzen, Winterpaket mit Sitzheizung und beheizten Spiegeln sowie Windschutzscheibe und Regensensor. Wobei zu einem echten Winterpaket eine Heizung mit Wärmepumpe fehlt, hier wird konventionell gearbeitet, was die Reichweite im Winter beeinträchtigen dürfte. Dazu ein "Plus"-Paket mit ein paar optischen Goodies und 16-Zoll-Alu-Rädern.

Das ist alles bewusst mit niedriger Komplexität gehalten, um den Preis von knapp über 20.000 Euro brutto zu realisieren, der sich per Umweltbonus auf 16.270 Euro reduzieren lässt. Oder in einer verlockenden Leasingrate von 145 Euro monatlich mündet, ohne Anzahlung, bei 36 Monaten Laufzeit und 10.000 Kilometer im Jahr. Und nicht zu vergessen, Seat wirbt mit niedrigen Betriebskosten: Im deutschen Strommix soll man für 2,80 Euro 100 Kilometer weit kommen und die Servicekosten liegen ein Drittel niedriger. Zudem fügt man eine vertrauensbildende Garantie von 160.000 km auf den Akku (70 Prozent Kapazität) mit an, die über acht Jahre läuft. Da kann man wirklich nicht meckern. Außer, dass er so spät kommt.

Was bedeutet das?

Es ist schon erstaunlich, wie sich die "alte" und die "neue" Automobilwelt derzeit im Eiltempo ihrem Schnittpunkt nähern: Gerade hatten wir uns beim Pilotieren des eGO Life gedacht, so ein Auto von einem etablierten Hersteller, warum gibt es das eigentlich nicht schon längst. Und hier steht er: Noch ehe das ambitionierte Start-up aus Aachen so richtig aus den Produktionspuschen kommt, grätscht der Platzhirsch aus Wolfsburg mit seinen aufstrebenden Ablegern Seat und Skoda in die Parade. Denn der Mii Electric und seine Brüder sind genau das: Reduziert auf's Wesentliche, ausgestattet mit einem ordentlichen Akku-Paket, einem spaßigen und strammen Elektroantrieb, einem erwachsenen und agilen Fahrwerk und Platz für vier Personen nebst gar nicht mal so wenig Gepäck im tiefen Frachtabteil. Voila, fertig ist der Volksstromer. Aber siehe oben: Warum so spät?

Andererseits: Besser spät als nie. Dieses Package passt jedenfalls, zumal mit verlockenden Leasingraten von 145 Euro monatlich (ohne Anzahlung), für ein vollwertiges Elektroauto ein echter Kampfpreis und eine strategisch-programmatische Ansage. Aber die Hersteller brauchen ja auch Stückzahlen, damit die SUV-gebeutelten Flottengrenzwerte ab 2020 zu halten sind. Das ist wohl auch der Grund, weswegen sich Interessenten mit der Lieferung noch bis nächstes Jahr gedulden müssen. Aber konfigurieren kann man ja schon mal, das geht so schnell wie der Ampelstart mit dem Mii ...

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