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Fahrbericht Polestar 4: Goldene Mitte?

Dass er ohne Heckscheibe kommt, ist das populärste Detail am Polestar 4. Hatten aber auch schon die Heckmotor-Tatras vor fast 100 Jahren. Wie sich das anfühlt, konnten wir im bayerischen Voralpenland ausgiebig erfahren.

Mit dem Polestar 4 schließt die Marke die Lücke zwischen Polestar 2 und Polestar 3. | Foto: G. Soller
Mit dem Polestar 4 schließt die Marke die Lücke zwischen Polestar 2 und Polestar 3. | Foto: G. Soller
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Gregor Soller

Kurz zu den Fakten: Mit 4,8 Meter Länge und Preisen ab 61.900 Euro bildet der 4,8 Meter lange und 1,54 Meter hohe Polstar 4 die Brücke zwischen der Mittelklasse-Limo 2 und dem SUV der oberen Mittelklasse, dem Polestar 3. Mit dem teilt er sich die 2,99 Meter Radstand, aber NICHT die Plattform! Denn während der Polestar 3 auf der SPA-II, der weiterentwickelten Scalable Product Architecture für elektrische Antriebe steht, nutzt der Polestar 4 „noch“ die „SEA1“ von Geely, die ausgeschrieben Sustainable Experience Architecture heißt und kompakter auch im Volvo EX30 oder Smart#3 zum Einsatz kommt.

Interessant auch die Produktionsorte: Neben China wird der Polestar 4 auch im südkoreanischen Busan montiert werden, was man von Renault respektive Samsung Motors kennt, um auch den Polestar v4 bei Bedarf „zollfrei“ anbieten zu können.

Man ist also nicht so ganz konsequent bis ins letzte Schräubchen, was man dann auch „erfahren“ kann. Das beginnt schon beim Einsteigen, wo einen ein quergestellter 15,4-Zoll-Zentralscreen empfängt, der im Detail (noch) etwas anders programmiert ist als im Polestar 3 – um ehrlich zu sein, etwas umständlicher und spaßiger: Die Innenraumfarben der LED-Beleuchtung wählt man hier beispielsweise nach Planeten aus und für die ein oder andere Einstellung muss man manchmal eine Stufe tiefer ins Menü als beim Polestar 3. Diese Differenzen will man aber über die Zeit per Softwareupdates nivellieren.

Zwei Optionen: 200 oder 400 kW!

An Power stehen hier ein Hecktriebler mit 200 kW oder ein Allradler mit 400 kW zur Auswahl. Letzterer kann die vordere, fast komplett baugleiche Maschine abkoppeln, denn zwei permanent erregte Elektromotoren kosten zusammen im massiv Strom, wie uns CTO Lutz Stiegler erklärt. Aber: Im Gegensatz zu Asynchronmaschinen sind sie trotzdem immer die kompaktere, leichtere, leistungsstärkere und im Einzeleinsatz auch effizientere Wahl.

Wir starten in der 200-kW-„Basis“, die schon genug Punch an den Start bringt, aber sich überraschenderweise tatsächlich schwerfälliger und träger fährt als der Polestar 3! Was sogar das Foto-Filmteam vor Ort bestätigt – welche beide Modelle ohne große tiefere Kenntnisse auch immer wieder bewegen musste. Hätten wir so nicht gedacht.

Weshalb wir gleich mal in die 400-kW-Version umsteigen, die 20 kW stärker ist als der stärkste Polestar 3. Aber selbst dann gibt sich der Polestar 4 dezenter und etwas schwerfälliger als der große Bruder. Was nicht heißt, dass er sich per se schwer oder träge fahren würde, aber die überraschende Leichtfüßigkeit des größeren Modells geht im klar ab. Ansonsten alles fein: Er lenkt gekonnt – vielleicht teils eine Idee synthetisch – federt und dämpft fein und lässt sich auf losem Untergrund auch mal dazu bewegen, das Heck ein bisschen raushängen zu lassen, statt nur stumpf zu untersteuern.

Mit dem Polestar 4 schärft die Marke ihr Profil mit neuen schicken Designdetails

Die Bedienung ist eine Idee komplexer als beim Polestar 3, immerhin kriegt man Tempowarner und Co mit zwei Klicks weg und kommt schnell ins Hauptmenü, von dem aus man leicht in diverse Untermenüs kommt. Unterschiede gibt es auch beim Soundsystem: Hier wird nicht die ganz große neue Bowers & Wilkins-Komposition mit 25 Speakern aufgefahren, dafür gibt es neuen Modernismus in den Türverkleidungen und bei den Leuchten, wo man „Thors Hammer“ in zwei übereinanderliegende „Dual Blade“-Scheinwerfer uminterpretiert hat, mit denen man sich künftig auch optisch stärker von Volvo abheben möchte. Und am Heck, klar fällt vor allem die fehlende Heckscheibe auf, welche die Fahrgäste im Fond aber nicht stört: Sie finden sich in einem kuscheligen Kokon wieder, der allerdings im Sichtbereich von den drei Seitenfenstern und einem riesigen, Bügelfreien Glasdach geöffnet wird. Dank der 2,99 Meter Radstand bleibt in Reihe zwei viel Platz zum Lümmeln, zumal, wenn man die Rückenlehnen flacher stellt. Allerdings ist die Rücksitzanlage eher niedrig eingebaut und geizt wie die Vordersitze etwas mit Oberschenkelauflage. Und: Zu weit unten sollten die Vordersitze nicht sein, sonst bringt man in Reihe zwei seine Füße nicht mehr darunter. Stellt man sie trotzdem ganz nach unten, sitzt man eher wie in einer Limousine als in einem D-Segment-SUV als das Polestar den 4 bezeichnet.

Hinter Reihe zwei finden sich 526 bis 1.536 Liter Kofferraum, im Untergeschoss im Heck eine tiefe Crashboxwanne und vorn unter der Haube ein Frunk. Einzige Krux: Wegen der hier aufwändigeren Hecksitzanlage und der flacher abfallenden Nicht-Scheibe ist der Polestar 4 hier nicht ganz so variabel und schluckfreudig wie der Polestar 3.

AC lädt er mit 22 kW, DC mit bis zu 200 kW

Und er lädt auch nicht ganz so fix, denn wo der Polestar 3 mit bis zu 250 kW am HPC-Lader zieht, müssen hier im Maximum 200 kW genügen. Dafür lädt er AC mit bis zu 22 kW. Womit wir bei Akkukapazität und Verbrauch sind: Von 100 kWh brutto blieben 94 kWh netto, was bei einem realen Verbrauch von knapp 22 kWh/100 km brutto rund 430 Kilometer Reichweite ergibt. Damit ist der Polestar 4 nicht wirklich sparsam, aber auch nicht über Gebühr „durstig“. Seine Ladeplanung übernimmt er kompetent und die Assistenzsysteme nerven nicht, auch wenn uns die typisch chinesische Kamera in der A-Säule suspekt bleibt. Weitere Assistenzsysteme stecken in der Front und in den massiven Spiegelfüßen, nach hinten gibt einem der Kameraspiegel Rücksicht. Einziger kleiner Nachteil: Da seine Linse vergleichsweise verschmutzungssicher ober im Dach sitzt, kann er nicht abbilden, was direkt hinter dem Auto ist, weshalb man beim Rangieren gut beraten ist, zusätzlich mit den Außenspiegeln und der Kameradraufsicht von oben zu reversieren.

Gelungener Brückenschlag

Trotzdem hinterlässt der Polestar 4 am Ende einen positiven Eindruck: Denn wer gut verarbeitete Individualität in der oberen Mittelklasse sucht, könnte hier fündig werden, zumal die Preise sich eher am Polestar 2 als 3 orientieren: Er startet, sofern man ihn vor dem 15.11.2024 ordert, bei 599 Euro im Leasing (bei 4.000 Euro Anzahlung) oder bei 57.900 Euro als RWD und ab 65.900 Euro als 400-kW-Allradler. Danach kommen je 4.000 Euro obendrauf, womit der Polestar 4 sich aber immer noch im erweiterten Dienstwagenrahmen befindet – und deutlich günstiger ist als der größere Bruder. Womit Polestar eine gelungene und optisch individuelle Brücke in die eigene Oberklasse gebaut hat.

Ach ja, und mit 19,9 Tonnen CO2e bei der Erzeugung liegt er besser als der Polestar 3 und auch besser als der Polestar 2 einst lag. Auch da ist also noch Musik drin!

Was bedeutet das?

Der Polestar 4 schlägt eine gekonnte Brücke zwischen 2 und 3 im Programm und wird vor allem Individualisten ansprechen. Ob die jetzt wirklich das von der Marke kommunizierte SUV in ihm sehen oder doch eher eine etwas höher bauende sehr individuell gestaltete Limousine, bleibt dem Auge des Betrachters vorbehalten. 

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