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Fahrbericht Polestar 3: Bruder Leichtfuß

Auch der Polestar 3 überrascht mit leichtfüßigem Handling und toller Verarbeitungsqualität.

Nein, im Hintergrund ist kein schwedisches Holzhaus, sondern ein Neubau in Bad Tölz. Davor der neue Polestar 3. | Foto: G. Soller
Nein, im Hintergrund ist kein schwedisches Holzhaus, sondern ein Neubau in Bad Tölz. Davor der neue Polestar 3. | Foto: G. Soller
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Gregor Soller

Endlich ist er da – praktisch zeitgleich mit dem eigentlich für später geplanten Polestar 4. Eigentlich hätte er wie der Volvo EX90 schon längst auf dem Markt sein sollen, was Softwareprobleme etwas verzögerten. Aktuell /Mitte September 2024) startet die Produktion der beiden im Volvo Werk in South Carolina.

Unser erster Eindruck und der des Volvo EX90 bestätigt sich: Im Segment der oberen elektrischen Mittelklasse-SUV gehört der Polestar 3 klar zu den leichtfüßigsten Alternativen, der im Gegensatz zum Volvo nur als Fünfsitzer konzipiert ist, aber mit 4,9 Meter Länge bei fast drei Meter Radstand eben auch für fünf extrem viel Platz bietet.

Die Preise starten ab knapp 80.000 Euro brutto

Kurz zu den Fakten: Der Polestar 3 startet als 220 kW starker Hecktriebler ab 78.590 Euro brutto. Darüber rangieren zwei Allrad-Versionen mit 360 oder als Performance 380 kW, die 85.590 respektive 92.190 Euro kosten – wer bis 15.11.2024 ordert, erhält je 4.000 Euro Rabatt. Damit parkt Polestar neben den deutschen Premiums und bietet wie diese viele Individualisierungsmöglichkeiten an, dass man den Preis gerade bei den performanten Allradlern locker ins sechsstellige hochjazzen kann.

Grundsätzlich kommt auch hier der Hecktriebler weiter als die Allradler, die, um Strom zu sparen, bei Nichtgebrauch des vollen Vortriebs zu Fronttrieblern werden – dann schaltet man den hinteren Motor weg. Und da immer Akkus mit brutto 111 kWh verbaut sind, reicht das für bis zu 650 Kilometer nach WLTP (Der EX90 kommt mit 101-kWh-Akku „nur“ bis zu 580 Kilometer weit). Netto bleiben davon 107 kWh übrig.

Starke Reichweiten dank großem Akku

Interessant: Der Long Range Dual Motor kommt auch bis zu 631 Kilometer weit, das gleiche Modell mit Performance-Paket schafft aber nur 561 Kilometer nach WLTP…von denen real eher 400 bleiben dürften: Nachdem wir just dieses Modell bei strömendem Regen und Temperaturen um die sechs Grad Celsius durchs bayerische Voralpenland treiben durften – die 210 km/h Topspeed aber nie nutzten, standen 24,7 kWh/100 km am Display – das wären knapp 27,2 kWh/100 km brutto. Womit der Polestar 3 eher nicht zu den Sparfüchsen gehört. Kollegen, die bei besserem Wetter fuhren, berichten von 22 bis 23 kWh/100 km netto, das wären 24,2 bis 25,3 kWh/100 km brutto. Könnte hinkommen, da Polestar selbst schon 22,1 kWh/100 km nach WLTP angibt. Besser auf Performance verzichten, dann stehen 18,9 (Basis) respektive 19,8 kWh/100 km im Datenblatt…

Damit wären wir also 393,4 Kilometer weit gekommen, im tiefen Winter geht man besser von 350 aus, im Sommer können es aber eben auch echte 460 Kilometer plus x werden. Bei den schwächeren Modellen dürften es gar 400 bis 500 werden.

Das Fahrwerk filtert eine Tonne Gewicht raus

Dafür lassen den Polestar 3 seine 380 kW (517 PS) und bis zu 910 Nm Drehomoment derartig leichtfüßig wirken, dass er gefühlt eher 1.584 statt 2.584 Kilogramm zu wiegen scheint: Die Lenkung wirkt in allen drei „Härtegraden“ zwar ganz dezent synthetische, aber immer straff und angenehm. Und auf losem Untergrund lässt er trotz ESP dezente Heckschwenks zu und kann auch engen Landstraßen freudig in Kurven geworfen werden. Der Anspruch, sich hier fahrdynamisch an Porsche zu orientieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Und ja, auch der EX90 fährt sich flott, aber der Polestar 3 surft hier noch leichtfüßiger durch die Kurven. Dabei hilft das Luftfahrwerk mit dreifach verstellbaren Dämpfern, dass immer straff, aber nie unkomfortabel arbeitet, dämpft und federt!

Sound? Kann man haben, wenn man das teure Bowers & Wilkins-System wählt

Untermalt gern vom 6000 Euro teuren 1.610 Watt starken Bowers & Wilkins-Soundsystem mit 25 Speakern, das man so ähnlich auch schon aus dem EX90 kennt und das auch hier für klanggewaltige Umhüllung sorgen kann. Was es unserer Meinung nach in der Klasse Wert ist, ebenso, wie man über das duftende Nappaleder nachdenken kann, wenn man nicht auf etwas günstig wirkendem neoprenähnlich wirkenden Recyclingmaterial sitzen will. Sie mögen kein Leder? Dann wäre Wolle aus tierschutzgerechter Haltung auch eine Alternative. Dazu ganz dezent Chrom und Holz, sonst wirkt der Polestar 3 etwas arg dezent eingerichtet…

Das Infotainment mit senkrechtem 14,5-Zoll-Screen kennt man ebenfalls vom EX90. Es ist, so viel sei schon vorweggenommen, intuitiver bedienbar als der querformatige Screen im Polestar 4, der auf Geelys SEA1 (scalable electric architecture) steht und eine etwas andere Software nutzt. Im Hintergrund sind Qualcomm und Nvidia mit aktiv gewesen, womit der Polestar schnell Routen rechnet, lade- und neuplant, aber trotzdem noch (zu) viele Untermenüs bietet, um diverseste Details einzustellen. Immerhin gibt es für den Sound einen klassischen Drehdrücksteller – danke dafür!

Bein manchen Punkten hat Polestar noch ein paar Asse im Ärmel behalten

Noch nicht alle Pfeile verschossen hat man beim Laden: Vorerst müssen 400 Volt genügen (800 hat man laut CTO Lutz Stiegler praktisch schon in der Hinterhand). Die 400 Volt haben laut Stiegler mehrere Vorteile: erstens kann man so leichter bidirektional Laden, zweitens genügt für 400 Volt grundsätzlich eine günstigere und leichtere Architektur um Kabel und Co. herum, drittens kann man in den USA so besser Teslas „Supercharger“-Netz nutzen und viertens kosten laut Stiegler hohe Ladepeaks für extremes Schnellladen anderswo Kompromisse. Trotzdem ist der Polestar 3 mit bis zu 250 kkW Ladeleistung im Peak beileibe kein Schnarchlader! Nach 30 Minuten soll man den Riesenakku wieder von zehn auf achtzig Prozent SOC gehoben haben…schade nur, dass man es bei AC erstmal bei 11 kW belässt. Das dauert dann schon mal sechs, sieben Stunden….die Wärmepumpe ist ohnehin serienmäßig an Bord.

Auch auf das „Taxischild“ am Dach mit dem Lidar verzichten Stiegler und sein Team noch: Trotzdem ist der Polestar 3 mit 5 Radaren, 5 Kameras und zwölf Ultraschallsensoren schon sehr umsichtig ausgestattet. Sehr angenehm: Das Symbol zum Wegklicken des Tempowarners kann man sich ganz oben auf den Zentralscreen legen. Ein Klick und er ist weg!

Ansonsten bedient sich der Polestar 3 mit Lenkstockhebeln klassisch gut, wenngleich der Blinker den gleichen „matschigen“ Soft-Rastpunkt hat, wie ihn auch Lucid, Cadillac und immer mehr andere Marken anbieten und man sich nach dem Sound ob er vielen Möglichkeiten diversester Quellen schon mal einen Wolf suchen kann. Die ebenfalls vom EX90 abgeleiteten Sitze gehören damit zu den Besten mit langer – mechanisch (! Danke dafür) ausziehbarer Oberschenkelauflage und der Komfort passt trotz knackigem Fahrwerk auch!

24,7 Tonnen CO2 in der Herstellung – nur Polestar kommuniziert diese Werte aktiv

Anhängen darf man bei den Allradlern bis zu 2.200 Kilogramm, beim Hecktriebler immerhin 1,5 Tonnen. Dann gehen zwar Reichweite und Leichtigkeit etwas flöten, aber der große Polestar wird so auch zum echten „Was-Weg-Schlepper“ – obwohl er sonst immer gern Bruder Leichtfuß gibt! Was auch für die Produktion gilt: Hier nennt Polestar 24,7 Tonnen CO2 – weniger, als man einst für die ersten Polestar 2 benötigte. Auch da geht also noch was in Sachen Leichtigkeit!

Was bedeutet das?

Ihnen sind die deutschen Premiums samt Volvo EX90 zu mainstream und schwerfällig? Chinas-Groß-Stromer zu chaotisch, die US-Fabrikate zu lässig verarbeitet und der Kia EV ist ihnen zu kantig? Dann könnte der Polestar 3 in Frage kommen. Er punktet vor allem mit seiner Leichtfüßigkeit, die man tatsächlich eher BMW oder Porsche zugeordnet hätte. Das sauber verarbeitet und noch real eingepreist.

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