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Fahrbericht Microlino: Korrekte Charakter-Knutschkugel

In Paris konnten wir den kleinen Zwerg mit Züricher Zulassung erstmals durch die Gassen zwirbeln.

In Paris konnten wir die erste Ausfahrt mit dem Microlino machen - dem zweiten überhaupt gebauten Serienfahrzeug. | Foto: G. Soller
In Paris konnten wir die erste Ausfahrt mit dem Microlino machen - dem zweiten überhaupt gebauten Serienfahrzeug. | Foto: G. Soller
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Gregor Soller

Endlich ist es soweit! Die ersten Microlino laufen in Turin vom Band und gingen von dort aus direkt auf die Messe nach Paris, wo wir die erste Ausfahrt unternehmen konnten. Im zweiten ever gebauten Microlino aus der Premier Series! Schon seine knuffige Optik zaubert uns ein Grinsen ins Gesicht. Hier stimmt endlich wieder das Verhältnis aus Leer- und zu transportierendem Gewicht: 530 Kilogramm Auto transportieren 60 bis 200 Kilogramm Mensch, wobei das Verhältnis bei zwei Schwergewichten fast eins zu 2,5! Zum Vergleich: Beim Rolls Royce Spectre mit 2.975 kg Leergewicht kommen wir hier auf einen Faktor von eins zu 14,87…

Perfekt, wenn man „anbandeln“ will…

Steigen wir ein, was praktisch und unpraktisch zugleich ist, denn: Man kann den Züri-Zwerg in engste Lücken pressen – da man vorn einsteigt braucht man auf Türöffnungswinkel keine Rücksicht nehmen. Beim Längsparken braucht man allerdings immer etwas Puffer nach vorn und muss hoffen, dass der Vordermann beim Einparken Abstand lässt und nicht Stoßfänger an Stoßfänger parkt. Dann aufs Knöpfchen gedrückt und das Frontportal öffnet sich. Selbst große Fahrer können gut hinters Lenkrad schlüpfen – zwei Personen sollten sich aber vorher absprechen beim Einfädeln, denn zugegebenermaßen besteigt man Standard-Pkw einfacher. Dafür kommt man sich bei diesem Vorgang auch nahe, was das „Anbandeln“ sehr unterstützen kann.

Dann packt man das Portal an der Schlaufe und zieht zu – sowohl beim Öffnen als auch beim Schließen fanden die Schweizer die korrekte Mischung aus Kraft, was Solidität ausdrückt – und Leichtgängigkeit, denn es soll ja nicht jedes Mal in einen Kraftakt ausarten.

Wir starten, drehen dazu den Fahrwählschalter links auf „D“ und treten aufs Fahrpedal. Und der Microlino setzt sich fix in Bewegung. Bei Bedarf ist er im „Sport-Modus“ in fünf Sekunden auf 50 km/h. Das Einzige was hier etwas stört, ist das „Heulen“ der kleinen 12,5 kW leistenden E-Maschine, die immerhin tapfere 89 Nm Drehmoment auf die Hinterräder bringt. Das hat Mitgründer und PR-Chef Merlin Ouboter also gemeint, als er sagte, sie hätten ein „Thema mit dem Geräusch“. Um zu beruhigen: Dieses Thema hätten dann alle Elektrozwerge – auch Renault Twizy und Opel Rocks-e liegen soundmäßig eher bei einer Tram als am Porsche Taycan – grundsätzlich klingen größere Pkw-E-Motoren besser, lassen sich in größeren Fahrzeugen viel besser wegdämmen und soundseitig auch noch besser (künstlich) überspielen…

Klassisches Wildlederlenkrad mit Metallspeichen

Trotzdem macht der "Zürizwerg" von Anfang an Laune, denn man greift in ein klassisches wildlederbezogenes Metallspeichenlenkrad ohne Servo und freut sich über den direkten Draht zur Fahrbahn. Zwar kauert man nicht kartartig über dem Asphalt wie beim Schweizer Kyburz, dafür thront man in der Microkapsel auf Augenhöhe mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Und ja, im Pariser Straßenkampf muss man sich das Vertrauen in und den Respekt für den Microlino erst erarbeiten, aber schon nach ein paar hundert Metern und Ampeln wuselt man wild mit!  

Überall sieht man hochgereckte Daumen und lächelnde Gesichter und kann fast 90-Grad abbiegen, ohne groß zu bremsen. Für etwas mehr Punch sorgt die „Sport-Taste“ – mit Rakete auf dem Dach angedeutet – dabei handelt es sich um einen Taster auf dem Fahrwählschalter. Doch im Alltag strömt der Zwerg auch im Standardprogramm schon gut mit. Da man vorn zu zweit auf einer Bank sitzt, bringt auch das die Insassen einander näher – womit der Microlino die perfekte Kuppelhilfe wäre. Aber auch wenn man, wie in unserem Fall, lieber Distanz wahrt, gelingt das noch. Einzelsitze sind wegen dem nötigen Durchrutschen des Fahrers hinters Lenkrad schwer umsetzbar.

Straffes Fahrwerk, keine Servolenkung

Und da der kleine Kühlschrank (die Isetta wurde einst vom Kühlschrankhersteller Iso entwickelt und übernahm deshalb die Kühlschranktür als Designmerkmal) hoch baut, wurde das Fahrwerk eher straff ausgelegt, wodurch mit jedem Meter das Vertrauen ins Auto wächst. Nur grobe Unebenheiten oder die Speedbumper in Paris kommen etwas arg trocken durch.

Wegen schlechten Wetters laufen die Scheiben an, was man per Schiebefenster sofort und leicht korrigieren kann, außerdem gibt es ein dreistufiges wirksames Gebläse, das schon in Position eins laut lüftet (noch ein kleines Geräuschthema) aber schnell für freie Scheiben sorgt. Oder man drückt die Defrosttasten je für die Vorder- und Heckscheibe. Womit wir schon mitten im Menüscrollen sind, denn viele Funktionen haben die Ouboters auf dem kleinen Scrollbar unter der Scheibenmitte versteckt. Darunter auch die verschiedenen Anzeigemodi der Instrumente. Blinker und den (auch gut hörbaren) Scheibenwischer bedient man per Lenkstockhebel. Neben den Scrollbar kann man sein Smartphone als Navi klemmen, darunter sitzt der Warnblinktaster samt zweier USB-Ports, von denen es beifahrerseitig weitere gibt. Dazu ein kleines Schweizer Fähnchen – in Summe haben die Ouboters ihre Knutschkugel sehr gelungen eingerichtet.

Großer Kofferraum mit satt schließender großer Klappe

Dazu kommt ein vergleichsweise großer, 230 Liter oder mehrere Rivella-Kästen fassender Kofferraum mit einer satt schließenden Klappe. Dank 14-kWh-Akku schafft man bis zu 230 Kilometer weit, was einem Verbrauch von gut sechs kWh/100 km entspricht. Zum Vergleich: Sparsame „Schwergewichte“ wie Teslas Model 3 liegen bestenfalls bei 14 bis 15 kWh/100 km, große Elektro-SUV eher bei 20 kWh/100 km plus. Doch für viele Pendelfahrten in Stadt und Umland sind die eigentlich alle (fast immer) überqualifiziert. Geladen werden kann AC wegen des kleinen Akkus leider nur mit bis zu 2,6 kW, sodass man sich im schlechtesten Fall um die vier Stunden gedulden muss, bis es wieder weitergehen kann. Wir zwirbeln den Zwerg in seine enge Lücke zurück und entsteigen ihm mit breitem Grinsen.

Was bedeutet das?

Danke! Der Microlino ist ein erfrischend anderer Beitrag zum elektrischen Fahren! Nicht unbedingt ausschließlich praktischer und dynamischer als Standard-2,5-Meter-Konstruktionen wie der Opel Rocks-e oder ein Renault Twizy, aber er bringt einen wieder nahe zurück zum ursprünglichen Fahren. Und lässt einen Geschwindigkeiten ganz anders wahrnehmen samt dem Gefühl, dass man schon im Stadtverkehr Grenzbereiche „erfahren“ kann – mit viel weniger Ressourcen- und Flächenverbrauch als mit Standard-Pkw.

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