Fahrbericht Lotus Eletre: Hyper birthday!
Als „Hyper-SUV“ bezeichnet Lotus den neuen Eletre. Kleiner hatten sie es zum 75. Geburtstag der Marke nicht. Und ja, der Eletre ist natürlich nur relativ und nicht absolut gesehen leicht, aber ohne ihn hätte Lotus eben auch nur eine relative Wahrscheinlichkeit gehabt, die nächsten 75 Jahre zu überleben: Als Geely 2017 über Proton bei den Briten einstieg, fasste man den weitreichenden Plan, Lotus komplett neu aufzustellen - zukunftssicherer denn je. Klotzen statt Kleckern lautete das Motto im oft klammen Hethel. Dort gebar man zunächst den Sportwagen Emira - den letzten Lotus-Verbrenner.
Seit dem Evija steht Lotus voll unter Strom
Doch der war nur ein Zwischenschritt in die Zukunft: Aktuell in die Auslieferung geht das erste rein elektrische Lotus-Hypercar Evija mit 1.500 kW. Das sind 2.309 PS und 1.704 Nm, damit soll der Supersportwagen binnen 9,1 Sekunden auf 300 km/h sprinten und diverse Hypercars „herbirnen“, wie man in Österreich sagen würde. Dafür krempelte man die Fertigung am britischen Stammsitz Hethel massiv um.
Doch Sportwagen haben es schwer, weshalb auch Lotus auf die SUV-Schiene setzt. Künftig nur noch rein elektrisch. Gestartet wird mit dem Eletre und noch 2023 soll eine ähnlich starke Limousine mit dem Codenamen „Typ 133“ folgen – ein Taycan-Konkurrent mit großer Heckklappe und in Top-Spec über 900 PS. 2024 folgt ein D-Segment SUV (Typ 134), das gegen den Elektro-Macan antreten soll und 2025 kommt ein elektrischer Sportwagen (Typ 135), der gegen den elektrischen 718 Boxter gestellt wird. Man erkennt schon, wen Lotus als einen der Hauptkonkurrenten erkoren hat.
Langfristig gedacht: Die neue 800-Volt-Architektur. Im Package steckt viel ZF
Basis für all die neuen Modelle ist die Lotus-eigene EPA-Plattform, was für „Electric Premium Architecture“ steht, die sich natürlich im Geely-Konzern bedient und die mit 800-Volt operiert. Der Antrieb stammt übrigens von ZF! 500 Ampere Stromstärke können hier theoretisch bis zu 400 kW Ladeleistung im Peak ermöglichen, in Europa könnten 350-kW-DC-Lader so voll genutzt werden – auch hier muss es eher hyperschnelles Laden sein….
Wir haben den Eletre probeweise bei gut 50 Prozent Akkustand an einen HPC-Lader gehängt. Dort nahm er sich immerhin bis zu 125 kW, die er mit kleinen Tälern bis 67 Prozent Ladestand hielt. Sodass der Hub von 20 auf 80 Prozent in den versprochenen 20 Minuten klappen könnte. Auch an Teslas Supercharger checkten wir die Ladepower: Da Tesla aber nur mit 400 Volt operiert, kann der Eletre hier mit maximal 80 kW Ladeleistung Strom ziehen. Ebenfalls wichtig: AC kann jeder Eletre mit 22 kW laden und ist damit nach gut sechs Stunden wieder auf 100 Prozent Akkustand.
Schon das „Basismodell“ leistet 450 kW
Aber nicht nur beim Laden (das wichtiger ist als die puren Fahrleistungen) klotzt Lotus, sondern auch bei den Fahrwerten: Die „Basis“ tritt mit 450 kW (603 PS) und 710Nm im Peak an, womit Eletre und Eletre S in 4,5 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen – bis 258 km/h. Beide sollen dank 112-kWh-Akku (109 kWh netto, die Zellen stammen von CATL) bis zu 600 Kilometer Reichweite nach WLTP bieten. Real bot uns der Eletre bei uns bei 95 Prozent Akkustand 462 Kilometer an. Der Eletre R klotzt mit 905 PS und 985 Nm Drehmoment, die den Riesen hier per Zweiganggetriebe im Idealfall in 2.95 Sekunden auf 100 km/h schießen. Mit 265 km/h ist er aber kaum schneller als die Basis, dafür müssen wegen größerer Räder und Performance-Reifen aber maximal 490 Kilometer Reichweite nach WLTP genügen – real dürfte man eher bei 350 Kilometer plus minus x liegen.
Denn, das ergaben erste sehr dezente Ausfahrten rund um Oslo: Allzu sparsam ist der Eletre nicht: Am Ende standen bei unserem Eletre S nach knapp 420 Kilometern Bummelfahrt 23,6 kWh/100 km auf dem Display, was mit Ladeverlusten eher 26 kWh/100 km sind – nicht wirklich sparsam, auch wenn der Eletre einen guten cW-Wert von 0,26 aufweisen kann.
Typisch Lotus: Der Eletre fühlt sich kompakter an als er ist
Dafür fühlt man sich gerade in Norwegen immer dramatisch übermotorisiert, denn der Eletre ist eigentlich für zügiges und freudiges Reisen gedacht und gemacht: Tatsächlich dreht er wunderbar in Kurven ein, hat mit 12,2 Metern (dank Hinterachslenkung) einen kleinen Wendekreisdurchmesser und fühlt sich, wie es sich für einen Lotus gehört, zumindest kompakter an, als er ist: Eher wie ein Zwei-Tonnen-4,7-Meter-SUV. Erst auf Parkplätzen und an der Ladesäule werden die 5,1 Meter Länge bei 2,02 Meter Breite (ohne Spiegel) offensichtlich. Mit 1,63 Meter Höhe und fast 3,02 Meter Radstand ist viel Platz geboten.
Auch in der Praxis: Vier groß gewachsene Passagiere finden samt Gepäck locker Platz, dahinter wartet beim Fünfsitzer ein variabler 688 Liter großer Kofferraum, zu dem sich ein 46-l-Frunk addiert. Eher für China gedacht ist der Viersitzer, bei dem die Fondpassagiere im Prinzip die gleichen Sitze samt aller Verstellmöglichkeiten haben wie die vorn Sitzenden. Aber hier lässt sich nix umlegen. Es bleibt bei 611 Litern Volumen, während man den Fünfsitzer durch Umklappen der Rückenlehne auf bis zu 1.532 Liter erweitern kann.
Die Sitze selbst sind straff und bequem – eine (ausziehbare) Oberschenkelauflage würde sie Langbeinern noch bequemer machen. Im Sport-Modus ziehen sie die Seitenwangen straffer an –die optionale Massagefunktion findet eine gute Mitte zwischen lasch und (zu) stark – Letzteres kann auf Dauer anstrengen.
Dolby Atmos sorgt für einen Hammer-Surround-Sound auf allen Plätzen
Beschallen lassen kann man sich optional von einem High-End-System. Für den Eletre bietet Lotus zwei Audiosysteme an, die mit KEF entwickelt wurden. KEF Premium ist ein Surround-Sound-System mit 1.380 Watt und 15 Lautsprechern, während KEF Reference ein 2.160-Watt-System mit 23 Lautsprechern und 3D-Surround-Sound ist. Um Tiefe, Präzision und Klarheit zu verbessern, werden beide Systeme mit Dolby Atmos kombiniert, und die Kombination dieser Technologie mit KEF Audio ist eine weitere Premiere. Wir durften das Reference-System „referenzieren“ und müssen zugeben: Hyper-Sourround-Klang, der den Eletre wirklich in einen Kinosal mit Dolby-Surround-Qualitäten verwandeln kann! Tatsächlich hat man dann das Gefühl, mitten im Konzertsaal oder Geschehen zu sitzen – Videostreaming mit mehreren Anbietern ist geplant. Auch hier ließen sich die Briten nicht lumpen und entschieden sich für die ganz große Geburtstagsfeier!
Doch starten wir endlich: Auch der Eletre ist auf Bremspedaldruck „an“; Schaltwippe auf „D“ und der 2,5-Tonner zieht lässig von dannen. Rekuperation und Fahrmodi steuert man über massive Wippen am Lenkrad, auf One-Pedal-Fahren verzichtet man wie bei Porsche. Trotzdem hat Lotus grundsätzlich hat Lotus eine etwas softere Abstimmung gewählt – der Eletre beschleunigt auch als R nicht brachial, sondern linear, ebenso verzögert er.
Gekonnt abgestimmtes Fahrwerk, enger Wendekreis
Das Fahrverhalten gibt sich markentypisch ambitioniert, aber mit geschliffenen Spitzen: Dank der Zweikammer-Luftfederung, bei der eine Kammer geschlossen werden kann, in Verbindung mit den elektronischen Dämpfern und Torque-Vectoring und gezielte Bremseingriffe bleibt der Riese kompakt, aber gutmütig, die Hinterradlenkung mit 3,5 Grad Lenkwinkel trägt das Ihre zur relativen Kompaktheit. bei. Er reduziert den Wendekreisdurchmesser von 12 auf 10,6 Meter. In schnellen Kurven bremst sich der Eletre durch sanftes schieben über die Vorderräder ein und nur auf schnellen Wechselkurven oder auf engen Landstraßen kommt ab und an das Gewicht des Wagens durch – in solchen Fällen kämpfen aber auch BMW iX oder Porsche Taycan mit der Physik. Dazu passt die sauber abgestimmte Lenkung, die eine gelungene Mitte zwischen straff und leicht findet. Wie das Fahrwerk kann man hier getrost alles auf „Sport“ stellen, der Eletre federt dann immer noch fein und lenkt sich straff, aber nicht nervös. Und da er ohnehin immer viel Punch bietet, wählen wir beim Fahrmodus „Tour“. Bringt theoretisch laut Anzeige rund zehn Kilometer extra, was bei real gut 450 Kilometern Reichweite aber nicht die Rolle spielt. „Range“ würde nochmal zehn Kilometer addieren, schnürt aber die Präzision des Fahrpedals und damit den Fahrspaß etwas ab.
Für die Größe knackiges Fahrverhalten – etwas weniger Breite und Länge wären aber nett
Und so carven wir über norwegische Autobahnen. Bundes- und Landstraßen, wobei Letztere teils ganz schön eng werden können – wäre der Eletre 20 Zentimeter schlanker – dann müssten wir uns nicht jedes Mal mit den uns entgegenkommenden 70-Tonnen-Holzfuhrwerken arrangieren…hier zieht das Hyper-SUV gegenüber dem Hyper-Holzzug immer den Kürzeren. Immerhin kann man den Riesen dann später „remote“ parken (lassen). Der Eletre lässt sich bei Bedarf um zwei Stufen um 25 Millimeter absenken oder anheben, was auch die Standard-Bodenfreiheit von 187 Millimetern ändert. Der Aerodynamik zuliebe geht er selbst ab 110 km/h einen Stock tiefer, was noch einen guten Dämpfer- und Federungskomfort übriglässt, während er sich in der untersten Stufe schon ganz schon hart auf die Straße kauert. Umgekehrt bei schlechten Straßen oder dezentem Gelände – dann kriegt man auch mehr als 200 mm Bodenfreiheit unter die Achsen. Auch hier hat Lotus nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Noch nicht Hyper-schlau: Das Infotainment hat noch Luft nach oben
Nur relativ gut ist das Infotainment- und Navigationssystem, dem man seine chinesische Basis anmerkt – vieles wird noch nicht oder nicht immer flüssig verstanden oder muss laut Eletre noch „gelernt werden“, diese Ansagen kennt man von Nio oder dem Ora Funky Cat. Trotz zweier Qualcomm 8155 Snapdragon-Chips für rasante Rechenleistung, zusammen mit 12 GB RAM und 128 GB Speicherplatz. Die Verwendung einer sogenannten „Unreal Engine"-Technologie aus der Welt der Computerspiele ermöglicht 3D-Animationen und -Erlebnisse in Echtzeit. Aber immerhin: Der Screen zeigt alles gestochen scharf und reagiert sehr flott! Auch die Route wird bei Verlassen sofort neu berechnet. 5G-Kompatibilität ist dann eh Voraussetzung und die Software-over-the-Air-Fähigkeit soll den Eletre immer auf dem neuesten Stand halten und seine Kommunikation kontinuierlich verbessern.
Leider wollen manche Bedienpunkte wollen erst in Untermenüs gefunden werden, aber grundsätzlich ist all das etwas logischer aufgeteilt als bei Nio, Great Wall und Co. Die Aufforderung „Hey Lotus“ versteht Vieles, aber eben nicht immer Alles. Immerhin sorgen vier Mikros dafür, dass der SUV auch bei Musik oder einem Telefonat erkennt, von welchem Platz der Wunsch kommt. „Öffne das Fenster“ hinten beifahrerseitig gesprochen öffnet just diese Doppelverglasung. „Mir ist kalt“ ebendort gesprochen erhöht rechts im Fond die Temperatur. Auch den Kofferraum kann man per Sprachbefehl öffnen oder schließen, aber die Navigation versteht nicht immer alles: „Ich habe Hunger“ führte nicht zu einer Anzeige von Restaurants und manche Ortsangaben wurden auch nicht erkannt. Aber man sei dran versichert uns Serino Angellotti – Senior Chief Engineer, Electric, Electronic and Digital User Experience, zumal man hier über Updates gute Möglichkeiten habe, immer wieder Nachzusteuern.
Optional gibt es auch grün mit beigem Interieur - very british. | Foto: G. Soller
Das Interieur kommt dann zweifarbig. | Foto: G. Soller
Praktisch: Trotz Allrad (mit vorderem Motor) blieb Platz für einen Frunk. | Foto: G. Soller
Sehr groß: Der Kofferraum, der sich beim Fünfsitzer auch erweitern lässt. | Foto: G. Soller
Für die Fahrten auf der Straße stand der Eletre S zur Verfügung...| Foto: G. Soller
Auf dem Flugfeld konnte man den 905-PS Eletre R in 2,95 Sekunden auf 100 km/h schießen. | Foto: G. Soller
Das Logo bildet alle Vornamen des in London geborenen Firmengründers Anthony Colin Bruce Chapman ab. | Foto: G. Soller
Die Ladeplanung lässt sich bereits gut an
Die Ladeplanung klappt dagegen schon erstaunlich gut: Auf einem 1200-Kilometer-Trip nach Berlin hätte uns der Eletre mehrere kurze Ladestopps vorgeschlagen, die sich in Summe auf gut eine Stunde extra addiert hätten. Man kann aber auch selbst Ladestationen suchen und filtern. Den Akku vorkonfigurieren kann man (noch) nicht, aber auch das sei in der Mache. Bei den Karten arbeitet man mit Here zusammen und dort erklärt man uns, dass die aktuelle Krux noch sei, dass man die Ladeplanung entweder komplett dem Auto überlassen oder komplett selbst übernehmen müsse. Aktuell ist man dabei, Ladepunkte, die an der Strecke ungünstig liegen, herauszufiltern, dass man nicht jedes Mal die Route verlassen muss, wenn man zügig laden möchte. Was der Eletre auch noch nicht kann: Die Kartendaten im Hintergrund für eine Anpassung der Geschwindigkeit zu nutzen, um beispielsweise vor Kreiseln oder Kreuzungen von selbst abzubremsen, um das Fahren noch intuitiver zu machen. In Summe hat er starke Anlagen, die aber im Detail auch noch stark ausgebaut werden können.
Starkes Augenmerk auf Business- und Flottenkunden
Stark ausgebaut wurde das Augenmerk auf Business- und Flottenkunden, die auf der Webseite schon einen eigenen Bereich vorfinden, der aber noch mit speziellen Angeboten gefüllt werden möchte. Fakt ist: Für jeden Eletre gilt eine großzügige Standardgarantie von 5 Jahren oder 150.000 km, je nachdem, was zuerst eintritt. Dazu kommt eine Garantie auf Hochvoltkomponenten von acht Jahren oder 200.000 km, je nachdem, was zuerst eintritt. Das Lotus-Garantieprogramm deckt auch kostenlose Reparaturen ab, die auf Schäden oder Ausfälle aufgrund eines mangelhaften Teils zurückzuführen sind. Diese Reparaturen werden dann in einer Lotus-Vertragswerkstatt durchgeführt, von denen es perspektivisch auch mehr geben soll.
Die Preise starten bei 95.990 Euro brutto, das sind 80.663,86 netto für den Eletre, der „S“ kostet 120.990 Euro, das sind gut 101.672 Euro netto, der „R“ kommt auf 150.990 Euro, gut 126.882 Euro netto. Hohe, aber keine Hyper-Preise. Und so fährt sich Lotus` Geburtstagsgeschenk in unserer Sympathiewertung immer weiter nach oben: Man schätzt das kompakte Fahrverhalten in gut konturierten Sitzen und könnte, wenn man denn wollte trotzdem auch wirklich lange Touren zu viert machen – und den Eletre beim Laden in einen Kinosaal verwandeln. Um dort Lotus‘ 75. Geburtstag feiern – auf die nächsten 75 Jahre!
Was bedeutet das?
Mit dem Eletre schlägt Lotus ein ganz neues Kapitel auf und uns hat vor allem erstaunt, wie professionell die Entwickler hier vorgingen. Das ganze Fahrzeug hat ab Start absolutes Premium-Niveau – nur beim Infotainment bleibt noch etwas Raum für Verbesserungen – dafür ist der Raum im Auto nicht nur für einen Lotus gigantisch, wofür das Fahrverhalten sehr kompakt ausfällt. Dass auch Lotus SUV baut, wird die Hardcore-Fraktion schmerzen, doch allein mit Leichtbau-Elisen lassen sich nicht genug Kunden finden. Zumal auch Colin Chapman selbst bereits 1975 mit Elite und Eclat schon für einen kleinen „Eklat“ sorgte: Beide waren nämlich eher Komfort-Cruiser als Leichtbau-Racer…
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