Manchmal scheint die Welt geradezu auf Dinge gewartet zu haben, die sie eigentlich nicht wirklich braucht. Wobei ein echt geländegängiger Wrangler mit einer stabilen Pritsche hintendran den Traum vom Planwagen-Treck in den Westen wohl besser verkörpern kann als jedes andere Auto. Weshalb der „Gladiator“, wie der Jeep mit Pritsche heißt, für 2021 schon wieder ausverkauft ist – und zwar sowas von ausverkauft, dass laut Insidern manche Händler per Grauimport zusätzlichen Nachschub aus den USA holen. Dort wird der Gladiator in Toledo, Ohio gebaut – und zwar im Werk Süd, der Ur-Produktionsstätte von Willys Overland, wo er dem Wrangler folgte, der in das moderne Werk in den Norden der Stadt umzog. Soweit, so legendär.
Praktisch: 1,5 mal 1,3 Meter Pritsche plus 725 Kilogramm und bis zu 3,5 Tonnen Anhängelast
Der Pick-up gleicht bis zur B-Säule dem Standard-Wrangler, streckt sich aber dann auf 5,54 Meter Länge, was genug Platz auch für große Fahrgäste in Reihe zwei und eine rund 1,5 Meter lange und 1,32 Meter breite Ladefläche mit vergleichsweise kleinen Radhäusern schafft. Passen also auch Europaletten drauf! Die Zuladung beträgt bis zu 725 Kilogramm und man darf bis zu 3,5 Tonnen anhängen.
Für Bau- und Galabauunternehmen, die mit Mann, Maus und (schwereren) Maschinen bei ihren Kunden anrücken, ist der Gladiator also gerüstet. An die Pritsche kommt wegen der Ladehöhe gut heran, nur das beim Testwagen verbaute Rollverdeck erwies sich als etwas fummelig. Sinnvoll ist auf jeden Fall die Vollverkleidung der Pritsche innen mit gummiartigem Kunststoff. Außerdem erleichtern beim Testwagen verschiebbare Zurrösen die Ladungssicherung.
Sparsam? Eher nicht, aber dafür stark - charakterstark
In Sachen Nutzwert lässt sich der Gladiator also nicht lumpen, weshalb wir jetzt endlich vorn einsteigen und den 3,0-Liter-V6-Turbodiesel von VM Motori, der 264 PS und bis zu 600 Newtonmeter maximales Drehmoment ab nicht ganz niedrigen 1400 Touren bereitstellt. Nachdem er in sämiges Leerlauftrommeln verfallen ist, braucht er allerdings etwas Drehzahl, bis der Turbo Ladedruck aufbaut und der Gladiator losbrüllt – dann geht es flott voran. Trotzdem könnte sich die Automatik ruhig ein bisschen mehr auf die Urgewalt des Motors verlassen und so für mehr Souveränität und nebenbei geringere Verbräuche sorgen. Kurzer Blick auf den seit 1.700 Kilometer ungenullten Verbrauch, der bei ziemlich ungünstigen 14,0l/100 km steht – harte Einsätze und viele Autobahntransfers bei bescheidenster Aerodynamik fordern ihren Tribut. Mit stark zurückhaltendem Gasfuss kann man sich aber auch der Zehn-Liter-Marke nähern.
Stabile Dana-Achsen mit Lkw-Know-How
Die Kraft verteilt die bekannte, von ZF in Lizenz gebaute Achtstufen-Wandler-Automatik an alle vier Räder. Abseits der Straßen hemmen den Gladiator am ehesten sein Gewicht von rund 2,2 Tonnen und der lange hintere Überhang, der den Rampenwinkel dort nachhaltig versaut. Aber sonst kämpft er sich fast überall durch: Dank Command-Trac 4x4-System mit zweistufigem Verteilergetriebe und Gelände-Untersetzung von 2,72 sowie den stabilen (und schweren) Dana 44 Vorder- und Hinterachsen mit einer Übersetzung von 3,73. Hier beim Vorführer nicht möglich: Wie beim Renegade Vorder- und Hinterachse sperren und den Querstabi vorn entkoppeln, um den Vorderhufen noch mehr Verschränkung zu ermöglichen. Die Wattiefe gibt Jeep mit 76 Zentimetern an.
Damit rangiert er eher auf dem Hardcore-Niveau des Wrangler Renegade. Trotzdem lenkt sich unser blauer Vorführer trotz gigantischer 13,7 Meter Wendekreisradius erstaunlich kompakt und vergleichsweise exakt auch durch enge italienische Bergdörfer und steckt grobe Unebenheiten erstaunlich gut weg. Tritt man das Gaspedal tiefer, brummelt der Pickup kurz auf und stürmt los – kann dank Untersetzung aber auch langsam und kräftig durch anspruchsvolles Gelände steigen.
Arbeiten im Freien: Dach weg, Türen raus und Windschutzscheibe umlegen
Wo man gern die Möglichkeit nutzt, Dach und Türen zu demontieren und die Windschutzscheibe umzulegen, um mit seinem Gladiator im Freien gegen den Fahrtwind und die Wildheit der Natur zu kämpfen – bevor man stoppt, den Bagger vom Anhänger lädt, und diese zu kultivieren beginnt. Und genau diese Offenheit und Urwüchsigkeit macht den Gladiator zum Charakterdarsteller unter den Pick-ups. Wenn das eines Tages irgendwie auch ein bisschen kompakter, rein elektrisch ginge, wären sicher auch noch ganz andere Kunden offen für die Offenheit des Gladiator.
Zumal er kein Schnäppchen ist: Als "Basisversion" Sport kostet der Gladiator ab 60.500 Euro (das sind gut 50.840 Euro netto), die Overland-Variante ist ab 68.500 Euro (gut 57.560 Euro) zu haben und die 80th Anniversary-Ausstattung steht ab 71.500 Euro (knapp 60.100 Euro netto) in der Preisliste - noch teurer kam die Launch-Edition für 75.500 Euro (knapp 63.550 Euro netto).
Was bedeutet das?
Das größte Problem des Gladiator, der in Deutschland immer als Nutzfahrzeug zugelassen wird, ist tatsächlich seine Verfügbarkeit. Das erklärt sich aus seiner Kompromisslosigkeit und führt schnell zur Frage, warum Start-ups und Jeep sich so schwer tun, das Ganze etwas kleiner, leichter und elektrisch herzustellen – sicher nicht in sechs- sondern eben in vier- bis fünfstelliger Stückzahl. Denn dass es Fans gibt, die netto 50.000 Euro plus für einen sehr offenen und damit charakterstarken Pick-up auszugeben, der als reines Alltagsauto ohne Arbeitseinsatz viel zu sinnbefreit wäre, beweist der Gladiator aufs Beste…
Elektromobilität , IAA Pkw , SUVs und Geländewagen , Diesel , Hybrid , Antriebsarten, Kraftstoffe und Emissionen , Hypermotion , Tokyo Motor Show , Oberklasse- und Sportwagen , Carsharing , Autonomes Fahren (Straßenverkehr) , Ladeinfrastruktur , Apps und Software (sonst.) , Verkehrspolitik und Digitale Infrastruktur , Formel E , Brennstoffzellen , Fahrzeug-Vernetzung und -Kommunikation , Fahrzeuge & Fuhrpark , Wirtschaft, Steuern, Recht & Politik , Automotive-Messen & Veranstaltungen , Pkw, Carsharing , Kompakt- und Mittelklasse , Minis und Kleinwagen