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Fahrbericht Citroën Oli: Ein mutiges „genug“!

Mit der Studie Oli hat Citroën einen Minimalisten rausgehauen, der so nicht gebaut werden wird, aber viele innovative Ansätze zum Thema Nachhaltigkeit mitbringt.

Platz mit Weitblick: Man kann dem Oli im Wortsinn aufs Dach steigen! | Foto: Dani Heyne
Platz mit Weitblick: Man kann dem Oli im Wortsinn aufs Dach steigen! | Foto: Dani Heyne
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Gregor Soller

Für einen Prototypen fährt er sich erstaunlich erwachsen – Im Oli hat Citroën zusammen mit BASF viele nachhaltige Ideen verbaut – und neben dem neuen Logo gleichzeitig ein paar Hinweise auf zukünftige Designdetails der Marke gegeben. Laut Pressesprecher Christopher Rux wird man erstaunlich viele davon ab 2023 an künftigen Serienfahrzeugen wiederfinden.

Die Idee der wild aussehenden Studie, die von den Proportionen fast wie ein Geländewagen der US-Armee aussieht – der hier allerdings für die Reduktion des CO2-Footprint kämpft: Nachhaltigkeit soll eine eigene Kreislaufwirtschaft schaffen. Das Fahrzeug soll einfach und erschwinglich bleiben und für mehrere Besitzer neu erfunden respektive aufbereitet werden können. Dafür erdachte Citroën mit BASF austauschbare Teile: Würde der Oli dereinst verkauft, könnte man überholte Komponenten, neue Dekors oder Farben und perspektivisch sogar modernisierte Teile verbauen, um ihn damit aufzuwerten oder innen gar „neu“ erscheinen und gar riechen zu lassen.

Dazu sollen niedrige Gesamtbetriebskosten kommen: Wenn eine Tür, ein Scheinwerfer oder eine Stoßstange ersetzt werden muss, können die recycelten Teile auf verantwortungsvolle Weise über Citroën aus anderen Fahrzeugen beschafft werden, die nicht mehr genutzt werden. Klar, wenn die Aufarbeitung eines Autos mehr kostet als der Kauf eines neuen, werden die Fahrzeuge normalerweise nicht mehr hergerichtet. Dabei ist es ökologisch und ökonomisch vorteilhafter, ein Fahrzeug aufzuarbeiten als es zu ersetzen. Doch wenn das partout nicht mehr wirtschaftlich sein sollte, würde Citroën jeden Oli zum Ersatzteilspender für andere Oli machen oder Teile dem allgemeinen Recycling zuführen. Man darf gespannt sein, in wieweit das beim künftigen C3 und Co. umgesetzt wird. Denn dieses Potenzial bringt ja jedes neue Auto immer mit.

Oli bedeutet platt übersetzt: „Es ist genug!“

Doch kurz zurück zur Entwicklung des Oli. Oli spricht man eigentlich [all-ë] und es steht einfach für „genug!“ – mit Ausrufezeichen. Laut Citroën ist er ein „markantes konzeptionelles Manifest mit intelligenten Ideen, das den Status quo in Frage stellt; ein Ziel für vielseitige vollelektrische Mobilität, um das Leben der Menschen zu verbessern“. Kleiner hatten sie es leider nicht. Citroën CEO Vincent Cobée setzt nach:

„Wir haben dieses Projekt ‚oli‘ genannt, als Anspielung auf den Ami und weil es zusammenfasst, worum es bei diesem Fahrzeug geht. Es ein weiterer Beweis dafür, dass nur Citroën in der Lage ist, allen Menschen auf unerwartete, verantwortungsbewusste und lohnende Weise unkomplizierte, vollelektrische Mobilität zu bieten.“

Große Ideen für einen kleinen CO2-Fußabdruck

Klein soll dafür der CO2-Fußabdruck des Oli sein, für den man folgende Vorgaben machte: Er sollte ein Gewicht von 1.000 kg nicht überschreiten, bis zu 400 km weit kommen und nicht mehr als 10 kWh/100 km verbrauchen. Dafür hat man die Höchstgeschwindigkeit auf 110 km/h begrenzt, denn dann genügt dafür ein 40-kWh-Akku; Aufladung von 20% auf 80% in etwa 23 Minuten. Laurence Hansen, Direktorin Citroën Produkt und Strategie, ergänzt:

„Wir wollten nur die Menge an Materialien verwenden, die wir wirklich brauchen. Deshalb haben wir kompromisslos das Ziel verfolgt, die richtigen Ressourcen dort einzusetzen, wo sie benötigt werden und gleichzeitig die Auswirkungen des Einsatzes dieser Ressourcen zu begrenzen.“

Und sie schiebt nach:

„Letztendlich ist es eher eine Entscheidung für einen Lebensstil als für ein Fahrzeug. Man kann sich entscheiden, für die neuesten Funktionen und die künstliche Intelligenz zu bezahlen, die man nur 2% der Zeit beim Fahren nutzt, oder man kann sich fragen, wie man verantwortungsbewusst handeln kann und wie viel davon man wirklich braucht“.

Insofern sei der Oli (wie einst die Ente) eine Möglichkeit zu sagen: Es reicht! „Ich will zwar etwas Innovatives, aber ich will es unkompliziert, erschwinglich, verantwortungsbewusst und langlebig.“ Die entsprechen kompakten SUV wie dem ëC4, der auch die Basiskomponenten liefert. Oli misst 4,20 m in der Länge, 1,65 m in der Höhe und baut leider üppige 1,9 m breit.

Auch hier wie beim Ami: Identische Teile wie Stoßfängermitten oder Türen

Die mittleren Teile der Kunststoffstoßfänger sind wie beim Ami vorn und hinten identisch: Dazu entwickelte Plastic Omnium einen „Monomaterial“-Ansatz, der ein einfaches Recycling ermöglicht. Dazu kommt ein starker, aber leichten Seitenschutz und zu 100% recycelbare Stoßfängern aus Polypropylen, das zu 50% aus wiederverwerteten Materialien besteht. Jeder Radkasten ist mit einem identischen, farblosen robusten Schutz aus recyceltem Kunststoff mit einer horizontalen Oberseite versehen, die das Kontrastthema der Fenster und Beleuchtungsmodule aufgreifen soll. Unter den Stoßfängern sitzen dreieckige Haken, mit denen der Fahrer ein anderes Fahrzeug ziehen oder einen großen Stein aus dem Weg räumen könnte – doch sie dienen eher der Optik, denn für Ersteres bräuchte der Oli massiv „Anhängelast“ und für Letzteres der Allrad, um dahinzukommen, wo große Steine in den Weg fallen können.

Reifen für bis zu 500.000 km Laufleistung

Doch bullig und knuffig steht er da auf seinen 235/50-R20-Sohlen, die von Goodyear runderneuerbar konzipiert wurden. Und natürlich aus ganz viel Recyclingmaterial gebacken wurden: Die Lauffläche der sogenannten „Eagle GO-Konzeptreifen“ besteht fast ausschließlich aus nachhaltigen oder recycelten Materialien. Darunter Sonnenblumenöl und Reishülsenasche sowie Kiefernharze und Naturkautschuk, die synthetischen, erdölbasierten Gummi ersetzen. Durch die Wiederverwendung der nachhaltigen Karkasse sollen sie eine Lebensdauer von bis zu 500.000 km erreichen, da die Profiltiefe von 11 mm während der Lebensdauer des Reifens zweimal erneuert werden kann. Der Reifen ist außerdem mit der Goodyear SightLine-Technologie ausgestattet, die einen Sensor umfasst, der während der gesamten Lebensdauer des Reifens eine Vielzahl von Parametern überwacht.

Viel weniger Teile – und die leicht demontierbar

Und so nachhaltig geht es weiter: Wir öffnen die Türen und sehen Sitze aus insgesamt acht Bauteilen – statt 37 wie beispielsweise beim C5X. Man sieht viele Schraubpunkte und unbeschichtete Materialien. Auftritt Pierre Leclercq, Designchef Citroën. Er erklärt dazu:

„Wir scheuen uns nicht, Ihnen zu zeigen, wie das Fahrzeug zusammengesetzt ist, so dass Sie zum Beispiel Rahmen, Schrauben und Scharniere sehen können. Die Reinheit erlaubt es uns, anders zu gestalten und alles zu hinterfragen. Das ist wie ein analoger Ansatz für viele Dinge, die heute digital geworden sind“.

Deshalb muss es als Infotainment das Smartphone samt zwei Boomboxen tun. Der Verzicht auf das übliche Audiosystem sparte weitere 250 g Gewicht. Da die Boxen abnehmbar sind, kann der Sound überall genossen werden. Und die beiden USB-Ports kann man einfach abziehen und woanders auf der Stromschiene an der Armaturentafel positionieren. Darüber und dahinter: das riesige Anzeigenband mit hier senkrecht stehender Tachowalze und einer Blinkeranzeige, die über die ganze Breite die Richtung dokumentiert. Lenkstockhebel beim Prototypen bitte wieder zurückstellen – auch das erinnert an CX und Co. In der Mitte sitzen fünf klar gekennzeichnete Kippschalter für die Klimaanlage. So dass man auch hier die Anzahl der Teile im Vergleich zum C4 zum Beispiel mehr als halbieren konnte: Von 75 auf 34.

Sitze und Boden: Einmal mit dem Gartenschlauch durchs Auto – oder einfach austauschen

Wir nehmen Platz auf den 3D-gedruckten Sitzen aus TPU –Thermoplastischem Urethan. Sie sind trotz ihrer Wabenstruktur erstaunlich bequem und machen den Innenraum vor allem für die Fondinsassen etwas luftiger. Man könnte sie sogar wieder shreddern und erneut in gleicher Qualität drucken. Klappt zumindest bei der französischen BASF-3D-Drucktochter Sculpteo, wie uns Alex Horisberger, Senior Specialist Product Design bei BASF erklärt. Die Vordersitze sind zudem leicht zu demontieren, auszubauen und zu recyceln, wenn man zum Beispiel die Farbe ändern möchte oder das Auto weiterverkaufen möchte. Könnte man auch mit dem Boden machen, der tatsächlich schon etwas (zu schnell) unter den vielen Fahrern und Fahrerinnen gelitten hat. Auch er wurde mit BASF entwickelt und besteht aus expandiertem thermoplastischem Polyurethan (E-TPU). Der Schaumstoff ist so elastisch wie Gummi, aber leichter, extrem widerstandsfähig und hoch abriebfest. Und könnte komplett getauscht werden.

Das Material findet man auch auf Laufbahnen, Fahrradsätteln oder in den Sohlen bekannter Laufschuhe, weil es durch seine Feder- und Dämpfungseigenschaften den Komfort auf der Strecke steigern kann. Der knallrote Boden ist außerdem mit einer hochelastischen und wasserdichten Beschichtung versehen und kann so leicht mit dem Wasserschlauch gereinigt werden. Wiederverwendbare TPU-Abflussstopfen im Boden sorgen dafür, dass Sand und Algen oder Schlamm und Matsch nach einem heißen Tag am Strand oder einem nassen Tag beim Wandern im Wald problemlos ausgewaschen werden können.

Oberflächen aus Leichtbauplatten: Im Kern aus Wellpappe, aber schlecht zu recyceln

Nicht ganz so recyclingfähig sind leider die Leichtbauplatten, aus der Fronthaube, Dach und die hintere Ladefläche bestehen. Bei ihnen standen geringes Gewicht, hohe Festigkeit und maximale Haltbarkeit im Fokus: Sie bestehen aus recycelter Wellpappe, die zu einer wabenförmigen Struktur zwischen Glasfaser-Verstärkungsplatten geformt wurde. Auch sie wurden gemeinsam mit BASF entwickelt und sind mit Elastoflex-Polyurethanharz beschichtet, das mit einer Schutzschicht aus zähem, strukturiertem Elastocoat überzogen ist. Es wird häufig für Parkdecks oder Laderampen verwendet und mit wasserbasiertem BASF R-M Agilis-Lack lackiert. Das Ganze kann aber laut Horisberger allenfalls „thermisch“ verwertet werden. Aber die Platten steif, leicht und tragfähig – so tragfähig, dass auch wir dem Oli über Reifen und Haube im Wortsinn aufs Dach steigen können. Das Gewicht wurde im Vergleich zur entsprechenden Stahldachkonstruktion um 50% reduziert. Wir springen vom Dach ins Heck, wo der Oli bei Bedarf den Pick-Up geben kann: Die Bordwand hinten kann man nach unten wegklappen, die Heckscheibe nach oben. Dann legt man die Rücksitze um, und klappt deren Kopfstützen nach oben weg und violá – hat man eine flache, 994 mm breite, Ladefläche, deren Tiefe sich von 679 mm auf 1.050 mm Länge strecken lässt.

Aufrechter Charakter: Die fast senkrecht stehende Windschutzscheibe

Die Windschutzscheibe steht senkrecht, da sie so billiger herzustellen ist und viel kleiner und leichter ausfallen kann: Glas wiegt viel und ist energieaufwändig in der Produktion. Das Scheibenwischer-Triple wurde extra angefertigt. Und es knallt weniger Sonne ins Auto: Citroën schätzt, dass der Strombedarf der Klimaanlage des Oli für die Batterien um bis zu 17% gesenkt werden kann, was wieder der Effizienz hilft. Kleine Nachteile sind beim Testwagen Windgeräusche schon ab 30 km/h und die schlechte Sichtbarkeit von nahe stehenden Ampeln. Und die Aerodynamik leidet natürlich. Weshalb ein sogenanntes „Aero Duct“-System zwischen dem vorderen Teil der Motorhaube und dem flachen Deckblech die Luft in einem „Vorhang-Effekt“ über das Dach lenken soll. Innerstädtisch kommen wir jedoch über 50 km/h nicht hinaus und können den Effekt entsprechend nicht beurteilen.

Die Türen: Leichtbau mit Klappfenstern (fast) wie bei der Ente

Viel komplexer sind die vorderen Türen samt deren Klappfenster geformt, doch auch sie folgen dem Beispiel des Ami und sind auf beiden Seiten identisch, wenn auch unterschiedlich montiert. Sie sind leichter, aber immer noch stabil, und laut Citroën einfacher herzustellen und zu montieren. Das soll weitere 20% Gewicht pro Tür sparen im Vergleich zu einem typischen Familienkombi. Auch hier werden nur halb so viele Bauteile benötigt: Durch den Wegfall der Speaker, des Schallschutzmaterials und der elektrischen Verkabelung sollen pro Tür etwa 1,7 kg eingespart werden.

Aussagen in diesem Video müssen nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.

Oli als kleines Kraftwerk: Er ist V2L-fähig

Mit seinem 40- kWh-Akku und einer Steckdosenleistung von 3,6 kW (das entspricht einer 230-V-16-AmpereHaushaltssteckdose) kann der Oli theoretisch ein 3.000-Watt-Elektrogerät etwa 12 Stunden lang mit Strom versorgen.

Es stecken also viele Ideen im ungewöhnlichen Oli, mit dem die Marke einmal mehr bewusst volles Risiko ging, da man auch „die Kreativität in der Produktion vorantreiben“ wolle, erklärt Citroën-Designchef Pierre Leclercq und will mit der Studie durchaus Reales ankündigen:

„Es macht keinen Sinn, coole Materialien oder Designs zu entwickeln, die keinen Einfluss auf zukünftige Serienfahrzeuge haben werden. Deshalb ist die Aufnahme des neuen Logos in den Oli von großer Bedeutung, denn so wie man Elemente des Designs und der Technologie in zukünftigen Modellen wiederfinden wird, wird die neue Interpretation des Citroën Schriftzuges unser neuer Standard sein.“

Was uns Pressesprecher Christopher Rux bestätigt. Noch weiter geht Citroën CEO Vincent Cobée, der selbstbewusst verlauten lässt: 

„Er ist unser Wegweiser für die Lösung, die Sie in zehn Jahren als einziges Fahrzeug für Ihre Familie brauchen werden.“

Was bedeutet das?

Mit dem Oli lehnt sich Citroën wieder extrem weit aus dem (Klapp-)Fenster. Und bringt mit einem optischen Paukenschlag ein knuffiges Bündel neuer Ideen ein, von denen es viele der Nachhaltigsten hoffentlich in die künftigen Serienfahrzeuge schaffen. Womit Citroën einen riesigen Vorteil gegenüber vielen anderen etablierten Marken hat: Die Franzosen können sich sowohl inhaltlich als auch optisch mehr erlauben als so manches Start-up. Auf dass das viele Kunden und nicht nur eingefleischte Citroënisti zu schätzen wissen.

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